Am Freitag, den 30. Mai, um 21 Uhr läuft auf Arte der neue Film von Dominik Graf. Das Gelübde erzählt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der Begegnung des Dichters Clemens Brentano mit der Nonne Anna Katharina Emmerick, die die Wundmale Jesu trug und im frühen 19. Jahrhundert zu einer Volksheiligen wurde. Wie immer bei Filmen von Graf verrät die Inhaltsangabe wenig über das Werk, in dem erzählerisch wie auch formal immer wieder neue Perspektiven aufs Geschehen gesucht werden und das mühelos die Genres Kammerspiel, historisches Drama und Nunsploitation miteinander verbindet.
The Wayward Cloud sprach mit Dominik Graf über die Sehnsucht nach realen und filmischen Wundern, gescheiterte Kinoträume und den bedauerlichen Mangel an Geschmacklosigkeiten im deutschen Fernsehen.
Was hat Sie an dem historischen Stoff von Das Gelübde interessiert?
Die Modernität der beiden Hauptfiguren. Sie sind nicht das, wofür sie sich selbst halten, sie wechseln die Identitäten und spiegeln sich ineinander. Vor allem bei der Beschäftigung mit der Biografie Brentanos entdeckte ich sehr moderne Züge an ihm. Als er zur Emmerick ging, hatte sein Leben schon viele Phasen durchlaufen und er glaubte, endlich seine wahre Identität im christlichen Glauben gefunden zu haben. Er geht zur vermeintlichen Quelle dieses Glaubens, um Ordnung und Ruhe in sein Leben zu kriegen, doch stattdessen sprudelt ihm heillose Verwirrung entgegen. Ein zeitloser Stoff: Durch die Begegnung mit einem anderen lernt sich jemand noch einmal komplett neu kennen.
Ist die Sehnsucht nach einer eindeutigen Identität eine männliche Charaktereigenschaft?
Vielleicht ist die Sehnsucht nach Neuanfängen und die damit einhergehende Bereitschaft, das Alte zu zerstören, eine männliche Art, sich durchs Leben zu hangeln, damit man sich selbst nicht zu langweilig wird. Bei Brentano jedenfalls baut sich regelmäßig eine solche Springflut an Selbstdestruktivität auf, dass er irgendwann explodieren muss, damit zumindest für einen Augenblick wieder Tabula rasa ist. Diese Momente, wo alles kaputt ist und er vor Scham vergeht, empfindet er zugleich als die befreiendsten. Das kann ich persönlich ganz gut nachvollziehen.
Gibt es Parallelen zwischen heute und der Zeit von Das Gelübde?
Der Film spielt kurz nach den Napoleonischen Kriegen, die wie der Sturmwind am Ende einer Epoche über Europa hinweggegangen sind. Das finde ich sehr modern, auch wir haben gerade einen großen Sturm erlebt, den Zerfall der politischen Blöcke, der ein Vakuum hinterlassen hat, das vom Kapitalismus gefüllt wurde. In solchen Zeiten entsteht eine Sehnsucht nach Sicherheit und fundamentalen Wahrheiten, wie man sie heute ja auch wieder beobachten kann. Volksheilige wie Anna Katharina Emmerick stehen dann hoch im Kurs.
Fühlten Sie sich durch die historischen Anforderungen beim Dreh eingeengt?
Wir hatten alle riesigen Bammel, wegen der historischen Authentizität von Ausstattung, Gebäuden und Kostümen. Ich habe vorher ja noch nie eine Kutsche durchs Bild fahren lassen. Ich dachte, meine Arbeit würde hauptsächlich darin bestehen, ständig zu überprüfen, was stimmt und was nicht, und möglichst keine modernen Thermofenster ins Bild zu kriegen. Aber das war schnell vorbei, wir hatten bald das Gefühl einer großen Freiheit.
Auch Beschränkungen durch Budgets, Genres und TV-Formate scheinen Sie eher zu inspirieren als zu behindern.
Ja, das stimmt. Das liegt an meinen negativen Erfahrungen in Bezug auf große Budgets, die sehr einengend sein können. Die Sieger war in dieser Beziehung die schlimmste Erfahrung. Das war mein Versuch, einen epischen Kino-Thriller zu drehen, eine Art deutscher Pate. Doch es gab keine Chance, das notwendige Geld aufzutreiben oder es so einzusetzen, wie ich es geplant hatte. Seitdem habe ich das Gefühl, dass sich meine ganz großen Kinoträume in Deutschland nicht verwirklichen lassen. Je teurer Filme in Deutschland werden, desto schlechter sind sie leider zumeist auch.
Woran liegt das?
Je mehr Geld bei einem Film im Spiel ist, desto stärker ist der Einfluss auf Buch und Besetzung, desto mehr Leute reden mit. Ich bin absolut kein Autorenfilmer, aber ich glaube, dass ein wirklich guter Film den Konsens von nur ganz wenigen Leuten benötigt. Unser Kinoförderungs-System schwankt hektisch zwischen Filmkunst und wirtschaftlichem Erfolgsdruck hin und her und entscheidet sich dabei zumeist fürs jeweils Falsche. Dass ein Film ein kommerzieller Erfolg ist, entschuldigt ja keine Sekunde dafür, wenn er schlecht ist.
Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Mich nach der Decke strecken. Markus Busch nannte unsere gemeinsamen Filme "trojanische Pferde". Damit meint er vor allem die drei ZDF-Melodramen, die er geschrieben hat und die von außen betrachtet zunächst vieles bieten, was das Herz von TV-Produzenten und Zuschauern höher schlagen lassen könnte. Tränenreiche Frauendramen für die 20.15-Uhr-Schiene.
Ziel Ihrer Arbeit ist es, solche Erwartungen zu unterlaufen?
Diese drei Melos offenbarten ihren dunklen Inhalt sozusagen erst bei Nacht. Aber auch solche Strategien werden schwieriger, denn heute erwarten die meisten Zuschauer nur noch eine Art von verlässlichem Wellnessprogramm vom Fernsehen. Die Randgebiete und Nischen von Kino und Fernsehen sind zwar einfacher zu bedienen, so wie Filmfestivals, aber letzten Endes verkauft man sich da an eine blutarme Kunst-Behauptung und verliert den Kontakt zum echten, lebendigen Film. Das Ziel muss grundsätzlich weiterhin darin bestehen, im Mainstream zu bleiben, im Fernsehen, 20 Uhr 15, mit bekannten Schauspielern. Und an diesen Plätzen dann andersartig zu erzählen. Alles andere macht in diesem Job keinen Spaß.
Warum sind es bei Ihnen immer die Frauen, die ausbrechen und die Ordnung der Dinge bedrohen?
Das liegt im Genre begründet. Im klassischen Hollywood-Melodrama reagieren auch immer die Frauen zuerst auf die Bedrohungen der Hoffnungen. Anfangs versuchen sie noch alles zusammenzuhalten, den fremdgehenden Mann auszuhalten, die unerträgliche Familie usw. Aber wenn die heile Welt dann entzwei ist, entwickeln die Frauen im Melodram ihre wahre Kraft. Dann gehen sie oft auf Reisen und öffnen sich neuen Dingen, wie etwa die Heldinnen bei mir in Deine besten Jahre oder im Felsen. Vielleicht ist das aber auch nur ein männlicher Wunsch: Zeuge dieser Kraft zu werden, mit der sich da eine Frau durch die Wüste schleppt und am Ende etwas näher bei sich ankommt.
Neben Melodramen drehen Sie hauptsächlich Polizeifilme. Was fasziniert Sie an dem Genre?
Die Zuschauer sind in Polizeifilmen stets bereit, überraschende Plot-Wendungen mitzumachen, schwierige, komplexe Charaktere zu akzeptieren. Das Schönste an Polizeifilmen ist ja immer, wenn der Polizist sich am Ende sich selbst gegenübersteht und sich plötzlich im Spiegel sozusagen als ein anderer gewahr wird. Dieses Hineinschauen in die Abgründe des Ordnungshüters ist in allen guten Polizeifilmen schockierender als die Aufdeckung des Täters. Deshalb drehe ich auch keine Gangsterfilme, sondern nur Filme über die Polizei. Dieser Behörden-Apparat, in der meistens über Kaffeekassen und Aktenordner gestritten wird – genau das ist für mich der ideale Ausgangspunkt, um sozusagen in die dunkelsten Gefilde des Universums aufzubrechen.
Ist die Welt wirklich so unheil, wie Sie in Ihren Filmen dargestellt wird?
Ich fürchte, ja. Man will es nur nicht dauernd wahrhaben, und das ist ja auch verständlich. Für mich sind Ordnung und Chaos untrennbar miteinander verbunden. Und ich versuche meine Filme so zu machen, dass man den Eindruck hat, das Überraschende, der Abgrund, die Dunkelheit, aber auch das Exzessive im positiven, im genussfreudigen Sinn ist jederzeit möglich. Der eine Mensch sieht, dass der Boden gläsern ist und stets Dämonen unter seinen Füßen lauern, der andere schaut in den Himmel, so ist das nun mal.
Wie finden Sie die richtigen Darsteller für Ihre abgründigen Figuren?
Ich suche nach einer gewissen subversiven Kraft, am liebsten gerade bei den Schauspielern, die das Hauptabendprogramm bevölkern. Es macht mir eine unheimliche Freude zu entdecken, was für eine Tiefe beispielsweise in einem Mann wie Elmar Wepper steckt. Und das den Zuschauern auch zu zeigen. Neulich habe ich auf einem Castingband einer Schauspielerin einen Trailer gesehen, in dem Sascha Hehn auftauchte. Er sah völlig anders aus als in der Scharzwaldklinik, spielte großartig, und ich dachte: Der Mann muss sofort besetzt werden.
Was sehen Sie sich selbst im Fernsehen an?
Eigentlich so gut wie nichts außer Sport und Nachrichten. Zu den Anfangszeiten der Programmschienen, für die ich selber meine Filme drehe, schalte ich den Fernseher kaum mehr ein, nur wenn ich mit den Mitwirkenden bekannt oder befreundet bin. Wahrscheinlich werden in Deutschland mehr gute TV-Filme gemacht als je zuvor, und die Sachen sind alle handwerklich unglaublich in Ordnung. Aber mir fehlen die interessanten Ungelenkheiten, die Geschmacklosigkeiten, die wirklich gewagten Wendungen und Momente. Es ist alles okay – aber auch nicht viel mehr.
Bonus: Dominik Grafs 12 deutsche Lieblingsfilme!
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