Am Samstag, den 20. September, feiert um 21.15 Uhr im Metropolis ein Film Premiere, der schon letztes Jahr fertig werden sollte: der Science-Fiction-Streifen Taiketsu vom Hamburger Filmemacher Sven Knüppel und seinem Team vom Gula Mons Filmsyndikat. Es handelt sich um den in Deutschland sehr seltenen Fall einer Low-Budget-Produktion, die jenseits aller üblichen Förderungs- und TV-Kanäle entstanden ist und trotzdem in Look, Handlung und von den Effekten her als Blockbuster für ein Massenpublikum konzipiert ist. Knüppel und sein Team nutzten konsequent die Möglichkeiten des Bluescreen-Verfahrens, um die aufwendigen Hintergründe und Actionsequenzen des Epos um die Klassenkriege in einer Megalopolis der Zukunft glaubhaft darstellen zu können.
Eigentlich sollte Taiketsu auf dem Japanischen Filmfest im Mai 2007 Premiere feiern, doch einige Effekte waren nicht rechtzeitig fertig geworden und die Vorführung wurde fast zum Debakel. Heute spricht Sven Knüppel nur noch von einer "Preview" und freut sich darauf, nun endlich den fertigen Film präsentieren zu können. 2007 schaute The Wayward Cloud dem Team von Taiketsu bei den Dreharbeiten zu und sprach vor Kurzem mit Regisseur Sven Knüppel über die schwierige Entstehungsgeschichte des Films, das Elend der deutschen Filmdistribution und die Freude am Low-Budget-Filmemachen.
Setbesuch // April 2007
Szene 33, Innen, Tag, Apartment von Angela 9. Die Einrichtung ist spartanisch. In der Mitte des Raumes steht ein weißer Tisch, darauf eine Vase, aus der eine schmale Blume ragt. Ein Aschenbecher, zwei Farbtöpfchen. Rechts eine riesige Leinwand, auf der in Weiß und knalligem Rot eine Auferstehung dargestellt ist. Die Szene, die sich vor dem Gemälde abspielt, ist weniger freundlich. Es ist ein mit dunklen Andeutungen gespicktes Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Künstlerin Angela 9 und dem General Hiroshi Kurz, sie in Engel-Weiß, er in Gestapo-Schwarz gewandet, sie vielleicht eine Rebellin, er der Armeechef einer gigantischen Megalopolis der Zukunft.
Während Sarah Diener und Jens Ristedt sich langsam an ihre Rollen herantasten, hält sich der heimliche Hauptdarsteller dezent zurück. Es ist eine blaue Wand. Wie in den meisten der 54 Szenen des in Hamburg gedrehten Science-Fiction-Langfilms Taiketsu (japanisch für „Auseinandersetzung“) bildet sie den Hintergrund für die Aktionen der Schauspieler und wartet auf ihren Einsatz, der meist einige Tage nach den Dreharbeiten erfolgt. Der Bluescreen ist die Projektionsfläche, auf der der Hamburger Autor, Kameramann und Regisseur Sven Knüppel dann seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht: Welten entwerfen. Mithilfe eines PCs und einer Reihe von erschwinglichen Programmen lässt sich der blaue Hintergrund der Aufnahmen ausschneiden und durch eine virtuelle Welt ersetzen: futuristische Helikopter, Explosionen, Wohntürme, Rauch.
"Wir benutzen im Grunde dieselbe Technik wie bei Star Wars 3 und 300", erläutert Knüppel, während er vor seinem Schreibtisch sitzend einer Szene noch etwas mehr Nebel hinzufügt. Nur das Budget ist etwas kleiner. Knüppel beziffert die Kosten auf knapp 12.000 Euro, die er aus eigener Tasche bezahlt. "Wenn ich das anderen Regisseuren oder Leuten aus der Fernsehbranche erzähle, sagen die: 'Unmöglich'. Aber wir werden das Gegenteil beweisen. Kleine Budgets und Zeitdruck bedeuten auch Freiheit. Man muss sich dann halt Lösungen ausdenken, auf die andere nie kommen würden."
Und man braucht Freunde. Das gesamte Team von Taiketsu arbeitet ohne Gage am Projekt mit. Der Großteil der Schauspieler stammt aus Casting-Agenturen, für die Knüppel Promo-Rollen gedreht hat, der zweite Kameramann Jens Frank Sauer ist aus München angereist, wo auch der Spezialist Marc Williams an den visuellen Effekten bastelt, die Waffen und ein riesiges Motorrad werden vom professionellen Ausstatter Fabian Zell gebaut, die Kostüme von Mutter Knüppel in Heimarbeit genäht, und ohne Jens Ristedt, der auch am Drehbuch mitgewirkt hat, würde sowieso überhaupt nichts gehen.
Selbst die Stadt Hamburg leistet ihren Obulus: Sie stellt die Bauruinen, die der selbst ernannte Guerillafilmer Sven Knüppel und sein Team geentert haben, um die Kampfszenen des Films zu drehen: das abgerissene Libri-Haus an der Stresemannstraße, den Baakenhafen, die HafenCity und das brachliegende Altonaer Bahngelände. Hier spielt eine der spektakulärsten Szenen des Films, ein mit Explosionen und Kampfrobotern gespicktes Feuergefecht zwischen einem Trupp Klon-Soldatinnen und Rebellen. Das Einzige, was später nicht am Computer nachbearbeitet werden musste, war der Hamburger Himmel. Er war, wie fast immer während der Dreharbeiten, apokalyptisch grau.
Gespräch mit Sven Knüppel // August 2008
Warum hat Taiketsu jetzt zum zweiten Mal Premiere?
Die Vorführung vom Mai 2007 nennen wir nur noch "Preview". Wir hatten uns damals zu viel vorgenommen, einen 95-minütigen Film, der zu 60 Prozent aus Bluescreen- und Spezialeffekten besteht, kann man nicht in so kurzer Zeit, wie wir sie damals hatten, nicht fertigstellen. Es war utopisch, trotzdem haben wie alles versucht, ich hatte die vier Tage vorher durchgearbeitet und nicht geschlafen. Ich stand komplett neben mir. Der Abend war die Katharsis, jetzt kommt die Apotheose.
Wie ging es danach weiter?
Im Herbst haben wir ein paar Szenen nachgedreht, und dann haben wir uns an die Effekte gesetzt. Wir haben den Film komplett in seine Bestandteile zerlegt und für jede einzelne Einstellung neue Hintergründe und Effekte eingefügt. Und mit etwas Zeit und Muße klappte das auch, alles wurde sauberer, da flirrte nichts mehr. Uns war vor allem wichtig, den Film abzuschließen, daran scheitern die meisten Projekte. Dieser Durchhaltewillen hat uns viel verlorengegangenen Respekt zurückgebracht.
Wie finanziert man ein solches Projekt?
Das funktioniert nur, weil alle Beteiligten umsonst daran mitarbeiten, von den Schauspielern über Kameramann, Ausstatter, Effekte-Team bis zum Komponisten. Es ist ein Experiment, der Versuch, für sehr wenig Geld etwas fertigzustellen, für das Studios normalerweise riesige Budgets veranschlagen. Und es hat sich gelohnt: Auf der diesjährigen Berlinale gab uns jemand den Tipp, Taiketsu auf dem Marché de Cinéma in Cannes zu präsentieren. Also haben wir uns akkreditiert, einen Trailer, eine Promo-Mappe und eine Website fertiggestellt, und einer unser Leute hat vor Ort Kontakte geknüpft.
Mit Erfolg?
Ja, unser großer Vorteil war, dass Taiketsu ein Science-Fiction-Film ist, wovon es nur sehr wenige Filme gibt. Horror und Pornos gibt es wie Sand am Meer, aber mal ehrlich: Die Filme im SF-Regal in der Viedeothek kennt man doch schon seit Jahren auswendig, da kommt nur selten was Neues hinzu. Das macht das Genre für Käufer interessant. Wir haben jetzt einen Verleiher aus Holland, der Taiketsu dort ins Kino bringt, und vor allem verhandeln wir dank Cannes mit zwei US-Firmen über die Weltrechte. Hierzulande kriegt man zu hören: "Wie soll das denn gehen, wie wollt ihr gegen Star Wars bestehen?“ In den USA ist man begeistert, dass da jemand für wenig Kohle ein vollwertiges SF-Epos gedreht hat. Die haben das Production Value des Films auf 200.000 Euro taxiert. Ich habe also mit 12.000 Euro einen 200.000-Euro-Film gedreht.
Gab es Änderungswünsche der Amerikaner?
Die Handlung und die Effekte fanden sie sehr gelungen, sie haben uns aber vorgeschlagen, den Look des Films ingesamt künstlicher zu gestalten. Nach anfänglichen Bedenken gab ich ihnen Recht, denn so konnten wir die Brüche zwischen außerordentlich artifiziellen Sequenzen und eher realistischen Szenen überbrücken und einen eigenen Gesamtlook im Stil von 300 schaffen. Dank des Rats der Amerikaner wurden wir mutiger im Umgang mit den Digitaleffekten. Ich bin jetzt sehr stolz auf Taiketsu, er ist düsterer, schmutziger und insgesamt einheitlicher geworden.
Hast du einen Tipp für Filmemacher ohne Geld, aber mit Ideen?
Wie sagte schon Sergio Leone: Film ist die schönste Art, Film, Zeit und Freunde zu verlieren. Du musst es wollen, du musst es lieben, du musst es durchziehen. Und vor allem: Orientiere dich nicht an Filmhochschulen, Studios und Fernsehanstalten. Mit dem Geld, das dort für eine Szene aus einer 08/15-Beziehungsdrama einkalkuliert wird, drehe ich denen Lawrence von Arabien, inklusive Berber-Armee. Vor Kurzem habe ich das Buch The Making of Star Wars gelesen und hinterher dachte ich: Man braucht nur die Namen zu ändern, und das liest sich wie Bericht über unsere eigenen Dreharbeiten. Dieselben Abläufe, dieselben Probleme, derselbe Zeitdruck, derselbe Glaube aller Beteiligten.
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