28 Februar 2010

Erinnerung, schnack

Was Nabokov für Wyra und das vorrevolutionäre Russland war, das ist der Schriftsteller Frank Schulz für das Dörfchen Hagen bei Stade: ein Erinnerungskünstler und Sprachmagier, der den Ort seiner Herkunft auf der Karte der Weltliteratur etabliert hat. In ihrem jeweiligen Exil, im Falle Nabokovs Berlin, Cambridge, die USA und die Schweiz, im Falle von Schulz das nördlich der Elbe gelegene Hamburg, erschufen beide Autoren die Paradiese ihrer Kindheit neu, indem sie Orte, Menschen, Sprachrhythmen der Vergangenheit nicht einfach chronologisch reproduzierten, sondern in komplex verschachtelten Romanen in einer Vielzahl von Figuren, Zeitebenen und Jargons auffächerten. Die Hagener Trilogie (Kolks blonde Bräute, Morbis fonticuli, Das Ouzo-Orakel) von Schulz, an der er fast 20 Jahre gearbeitet hat, hat gegenüber den Werken von Nabokov außerdem den großen Vorteil, ausgesprochen komisch zu sein. Kein Autor deutscher Sprache kann so genau und liebevoll die Illusionen, Kneipenrituale und sexuellen Fehlleistungen von Männern beschreiben, wowon man sich auch in Schulz’ soeben erschienenem Erzählband Mehr Liebe. Heikle Geschichten überzeugen kann. The Wayward Cloud sprach mit Frank Schulz über sein Coming-out in Hagen, Quiddje-Prosa und den zarten Sperma-Duft von Kastanienbäumen.


Herr Schulz, hat man in Hagen mittlerweile eine Straße nach Ihnen benannt?

Nein (lacht). Meine öffentliche Anerkennung als Schriftsteller dort liegt auch noch gar nicht so lange zurück. Mein Coming-out hatte ich 2007 bei einer Lesung in der Gaststätte Wiebusch im Rahmen der 875-Jahr-Feier des Dorfes. Das war sozusagen meine abschließende Initiation ins Dorfleben, und ich dachte nur: Um Gottes Willen, wie soll das denn gehen. Zuvor war ich dort als Schriftsteller noch gar nicht in Erscheinung getreten, ein paar Nachbarn wussten von meinen Büchern, und über die Jahre waren auch Leute hinzugezogen, die schon mal von mir gehört hatten. Aber mich in diesen Saal zu setzen, der zugleich Schauplatz einiger Ereignisse der Hagener Trilogie war, und vor all den alteingesessenen Ureinwohnern die Hosen runterzulassen – heiliger Strohsack, so aufgeregt war ich noch nie bei einer Lesung. Einige Vorbilder für Figuren aus meinen Büchern saßen damals im Saal, und ich hatte keine Ahnung, ob die sich wiedererkennen und was sie dann davon halten würden. Ist aber gut gegangen, niemand hat sich beschwert. Der Einzige, den ich sozusagen geoutet habe, war der Kneipenwirt Hinni, der ist schon tot und in seiner Würde sowieso unantastbar. Jeder kannte ihn, seine Kneipe war für das Dorf zugleich zentraler Veranstaltungsort, Kirche, Bürgermeisteramt, Jugendzentrum. Die Lesung damals funktionierte wohl auch deshalb so gut, weil jeder Anwesende in der von mir vorgetragenen Passage die Eigenheiten von Hinni wiedererkannt hat, darüber entstand der Konsens.



Hinni lebt!
Frank Schulz bei seiner Coming-out-Lesung am 28. Juni 2007
in der Gaststätte Wiebusch in Hagen


Wie viele Vorbilder für Figuren saßen damals im Publikum?

Schwierig zu sagen, weil drei zentrale Figuren damals schon tot waren. In der Beschreibung des Schützenfestes aus Morbis fonticuli könnten sich vielleicht drei oder vier Besucher als Kinder wiedergefunden haben. Da ich mich in der Hauptfigur am tiefsten durch den Kakao gezogen habe, dürfte aber keiner beleidigt gewesen sein.

Finden sich in Hagen mittlerweile Touristen auf literarischer Spurensuche ein?

Das soll schon vorgekommen sein. Die zwei Leute, die mir von so einem Besuch erzählt haben, klangen aber eher nicht so begeistert. Hagen hat sich seit damals enorm verändert, und nach meinem Geschmack nicht unbedingt zum Besseren. Das Dorf wurde eingemeindet, eine Birkenallee gefällt, Bürgersteige installiert, neue Siedlungen gebaut … Wenn man da heute hinfährt, kann man sich schon wie in Poppenbüttel vorkommen.

Könnte man anhand Ihrer Bücher das alte Dorf rekonstruieren?

Schwierig zu sagen. Bestimmte Beschreibungen orientieren sich an der Wirklichkeit, ich habe aber auch Änderungen vorgenommen, zum Beispiel indem ich einen Kastanienbaum an die zentrale Kreuzung versetzt habe, der dort nicht stand. Viele kleine Details wie dieses machen meine Werke dann doch zu Dichtungsprodukten und nicht zu Dorfführern.

Haben Sie vor, eines Tages nach Hagen zurückzukehren?

Ich bin sowieso relativ häufig dort, weil meine Eltern, Schwestern und einige Freunde noch dort leben, meine Großeltern sind dort begraben, meine Verbindung zum Ort ist sehr eng. Die Rückkehr ist für mich schon deshalb eine Option, weil ich eines Tages das Haus meiner Eltern erben werde. Ich weiß aber nicht, ob ich nur dort leben könnte, eine Zweitwohnung in Hamburg müsste schon sein.

Sie tragen also, wie der Dorfpunk Rocko Schamoni, Ihr Dorf immer mit sich rum?

Ja, und ich finde das auch ganz gut so. Hier im Hamburger Literaturbetrieb habe ich mich lange Zeit wie ein Bauer auf einer Cocktailparty gefühlt, und auch heute noch habe ich, etwas pathetisch gesagt, meine Herkunft nicht vergessen. Bei uns auf dem Dorf taten Leute, die etwas darstellten, gut daran, das runterzuspielen. Weil sie sonst mit einem untrüglichen Sinn für Bescheidenheit zurechtgestutzt worden wären. Das habe ich an Hagen immer sehr geschätzt, dass es, vielleicht durch die große Nähe zu Stade, immer einen liberaleren Sinn hatte als so manche andere Dörfer. Kleine Gemeinden sind ja per se erst mal schrecklich, aber Hagen war da großzügiger, obwohl es dort auch viel Klatsch und Tratsch gab. Manchmal frage ich mich aber auch, ob mein Heimatgefühl und mein positives Bild von Hagen der intensiven literarischen Beschäftigung mit dem Ort geschuldet sind. Aber als Hamburger fühle ich mich nach wie vor nicht, ich bin hier ein Quiddje und werde es wohl immer bleiben. Mein Grab hätte ich lieber am Hagener Mühlenteich als hier.

Heino Jaeger 1973, Bleistift, 36,5 x 51 cm

Wie erklären Sie sich die Konjunktur der Quiddje-Prosa der letzten Jahre, neben Ihrer Hagener Trilogie waren ja auch Heinz Strunks Fleisch ist mein Gemüse und Rocko Schamonis Dorfpunks sehr erfolgreich?

Ich glaube, der Erfolg dieser Bücher hat sehr viel mit der fortschreitenden Zersplitterung der Gesellschaft zu tun, es gibt heute keine großen, einheitlichen Entwürfe mehr. Als ich in den 80er Jahren mit der Arbeit an Kolks blonde Bräute begann, habe ich mich an Brösel-Werner, und Heino Jaeger orientiert, wegen der spezifischen Heimat-Färbung ihres Humors und ihrer Sprache. Dialekte werden heute ja in allen Kultursparten als Reservoir für ein bestimmtes Heimatempfinden genutzt, Komiker, Literaten, Musiker reüssieren mittlerweile mit spezifischen Jargons, das kommt nicht von ungefähr. Ich habe für ein Referat über die Sprache von Studenten mal herausgefunden, dass viele von ihnen darunter leiden, ihre regionalen Dialekte für das Hochdeutsche einzuebnen, weil sie sonst das Gefühl hatten, im Seminar nicht ernst genommen zu werden. In den letzten Jahren gab es eine Umkehr dieses Prozesses, ein Lob der Provinz.

Wann haben Sie Ihr Interesse für die Sprache und die Literatur entdeckt?

Mein erstes Heureka-Erlebnis hatte ich als Sechsjähriger, als ich die Bedeutung eines Wortes aus der Lesefibel herausfand, das wir bis dahin noch nicht durchgenommen hatten. Ich saß in der Küche, setzte die Buchstaben zusammen und rief „PFERD!“ oder etwas Ähnliches. Das war ein prägendes Erlebnis à la „Ich bin der Entdecker der Welt!“. Mit elf habe ich angefangen, Tagebuch zu führen, das war ein sinnliches Vergnügen für mich, mit einem Füllfederhalter mit dicker Tinte, die ein Relief hinterließ, in das Notizheft zu schreiben, das mir mein Vater geschenkt hatte. Die nächste Raketenstufe zündete ich mit 13, 14, als ich begann, massenweise Plagiate von Agatha-Christie-Krimis zu schreiben, die von einem hanebüchenen Indizienwahn geprägt waren. Dieses im wahrsten Sinne fantastische Vergnügen, allein zu Hause zu sitzen und vor mich hinzuspinnen, hat mich sehr stark gefangen genommen. Seit dem Zeitpunkt konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als zu schreiben. Gleichzeitig habe ich viel gelesen. Wir waren kein klassischer Bildungshaushalt, meine Mutter war zwar im Bertelsmann-Lesering, aber die meisten Bücher bekam ich von einem älteren Freund zugesteckt. Natürlich war ich dann eine Weile lang als Stubenhocker verschrien, aber Fußball konnte ich eh nicht, weshalb ich dann Torwart wurde. Spätestens mit 15, 16 wollte ich Schriftsteller werden. Mein Lebenstraum ist also in Erfüllung gegangen.

Wann sind Sie mit Ihren Werken erstmals an die Öffentlichkeit gegangen?

Mit 15 haben wir im Rahmen einer kirchlichen Jugendgruppe die Zeitung Der Schlüssel auf die Beine gestellt, wo wir eigene Texte veröffentlicht haben. Ich habe außerdem innerhalb des Freundeskreises Krimis verteilt, bei denen ich den Schluss wegließ, und dann musste geraten werden, wer der Mörder ist. Mit 15, als ich in Stade aufs Gymnasium ging, haben wir an einer Jugendseite für die Stader Nachrichten gebastelt, aus der dann leider nichts geworden ist. Das alles kam aber zu einem abrupten Ende, als ich mit 16 in die Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann in Hamburg ging. Da war erst mal Schluss mit Schreiben.

Heino Jaeger 1973, Bleistift, 36,5 x 50,9 cm

Können Sie heute vom Schreiben leben?

Seit ein paar Jahren zeitweise ja. Ich führe jetzt ein Schriftstellerleben, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Ich habe eine zweite Wohnung gemietet, wo ich jeden Tag mein Schreibwerk vollbringe, vormittags drei bis vier Stunden und nach einer Mittagspause noch einmal drei, vier Stunden. Im Moment kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als hier jeden Tag zu sitzen und zu dichten. Das war natürlich nicht immer so, aber ich habe jetzt einen neuen Vertrag mit meinem Verlag Galiani, der aus Eichborn Berlin hervorgegangen ist. Ich habe einen Vorschuss für zwei weitere Bücher bekommen, die nächsten zweieinhalb Jahre sind damit gerettet. Das ist das erste Mal in meiner Biografie, dass ich mich als Schriftsteller empfinde, weil ich, zumindest für die nächsten beiden Jahre, keine anderen Nebenjobs machen muss. Als ich beispielsweise Das Ouzo-Orakel fertig hatte, war ich pleite und musste mir erst mal eine Arbeit suchen.

Worum geht es in den zwei neuen Büchern?

Es geht um einen Hartz-IV-Empfänger namens Onno Viets, der Detektiv wird. Eine Rückkehr zu den Agatha-Cristie-Zeiten also, ich habe den Eindruck, da muss ich mich noch rehabilitieren. Das war schon lange eine Idee von mir, die ich nach Beendigung der Trilogie umsetzen wollte. Dass die 15 Jahre in Anspruch nimmt, hatte ich mir ja auch nie träumen lassen. Die Krimis sollen in Hamburg spielen, aber vielleicht wird die Stadt ein bisschen verfremdet. Als Ideal für das erste Buch schwebt mir eine literarische Melange aus meinem Lieblingsfilm Fargo und Twin Peaks vor. Ich stelle mir ein Hamburg vor, wo in jeder Ecke ein Hering herumliegt oder ein Shantychor steht und wo das Wetter merkwürdige Kapriolen schlägt. Das zweite Buch plane ich eher als klassischen Whodunit in der Tradition Agatha Christies. Außerdem habe ich gehört, dass man von allem, wo „Krimi“ draufsteht, gleich 2000 Exemplare mehr verkauft.

Ihre Werke zeichnen sich durch eine große Genauigkeit bei der Schilderung von Orten, Milieus und Dialekten aus. Ist es Ihnen wichtig, dass die Dinge wiedererkennbar sind?

Ja, ich brauche immer eine Anschauung der Realität, um einen Einstieg zu finden, das nimmt manchmal absurde Formen an. Eine Szene im Krimi, an dem ich gerade arbeite, soll zum Beispiel auf der Hudtwalckerbrücke spielen. Ich konnte ums Verrecken nicht an meinem Schreibtisch sitzen und die Szene imaginieren, ohne mir die Brücke angesehen zu haben. Dabei geht es vor allem um die Details, die eine Szene erst lebendig und glaubwürdig machen. Tatsächlich entdeckte ich an der Brücke eine eigentümliche Mauer, die ich mir nie hätte ausmalen können, die ich mir aber nun zunutze machen kann.

Sie könnten die Details auch erfinden, niemand wird es prüfen und Sie zur Rechenschaft ziehen.

Mir fällt das schwer. Das ist wie mit dem Kastanienbaum an der Hagener Kreuzung: Ich brauche erst mal einen Ausschnitt der Realität, um dann Dinge hinzuzudichten, verschwinden zu lassen oder umzugestalten. Ob ich die Hudtwalckerbrücke letztlich so beschreibe, wie sie ist, steht ja auch noch nicht fest.

Ab welchem Punkt ist es für Sie wichtig, zu erfinden und zu fiktionalisieren?

Dieser Prozess ist schwer zu beschreiben und hängt von vielen Dingen ab. Die Kastanie habe ich beispielsweise an die Kreuzung gesetzt, weil ich irgendwo gelesen hatte, dass der Duft ihrer Früchte dem von Sperma ähnelt. Das passte gut zur pubertären Grundgestimmtheit der dort spielenden Passagen. Es geht bei solchen Entscheidungen um das Gefüge der einzelnen Szenen selbst, aber auch um das Motivgeflecht des gesamten Werks, in das sich die Details einfügen müssen. Manchmal ist die Realität da hinderlich, manchmal ist sie so poetisch oder überdeterminiert, dass es schon wieder wehtut. Nach dem Berliner Bordellbesitzer Otto Schwanz kann man einfach keine Figur benennen.

In Mehr Liebe gibt es immerhin eine Figur namens Dieter Fotzenschuch.

Das musste so bleiben. Ich habe die Erzählung „Trugnattern“ einigen befreundeten Autoren vorgetragen, und hinterher war die eine Hälfte der Meinung, dass solche Namenswitze gar nicht gehen. Ich wollte den Namen behalten, wusste aber nicht so genau zu sagen, warum. Karen Duve kam mir zu Hilfe und sagte: „Das muss so bleiben, der hat die Last seines Namens zu tragen.“ Das traf genau das Dilemma des Dieter Fotzenschuch, der vielleicht auch deshalb so ein anrüchiger Charakter geworden ist, weil er eine Haltung zu seinem Namen finden musste.

Heino Jaeger 1975, Tusche, 25 x 37,5 cm

Suchen Sie gezielt nach Typen und Orten, die Sie literarisch verwenden können?

Ja, ich gehe gerne los. Für den Krimi werde ich zum Beispiel demnächst mit einem Freund in die Ritze auf der Reeperbahn gehen, wo ich Jahre nicht mehr war. Da ich mich sehr schwer damit tue, über Kreise zu schreiben, in denen ich mich nicht auskenne, muss ich sie mir entweder näher ansehen oder ihrer Beschreibung einen fantastischen Touch geben. Auch wenn das von David Foster Wallace schon mit großer Brillanz durchexerziert worden ist, würde ich gerne mal eine Kreuzfahrt machen und die Leute dort beobachten. Ein überschaubares Gebilde wie ein Schiff, mit einer relativ geschlossenen soziologischen Gruppe von Menschen, das finde ich reizvoll. Ich würde mir auch gern mal einen Free-Fighting-Kampf ansehen, für den Krimi.

Schreiben Sie Ihre Beobachtungen immer gleich auf?

Ja, ich muss mir alles aufschreiben, sonst ist es weg, ich vergesse alles. Vielleicht bleiben ein paar Eindrücke hängen, aber die Details gehen flöten. Sehr hilfreich ist auch ein Diktiergerät, manchmal reichen zwei Wörter, die ich draufspreche, dann kommt die Erinnerung zurück. Meine Notizen unterteile ich in „Gedanken, Einfälle, Beobachtungen“, „Sätze, Dialogteile, Wendungen“, „Erinnerungen“ und „Vokabeln“. Manchmal entstehen Geschichten, indem ich aus einem aufgeschnappten Dialog oder Witz eine Geschichte entwickle.

In Ihrem neuen Buch geht es um die Liebe, wie haben Sie sich diesem Thema genähert?

Mein Leitmotiv war der Satz von Marie von Ebner- Eschenbach: „Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.“ Dieser grundlegene Befund über die Bedürftigkeit oder gar Notdurft der Liebe hat mich interessiert, und dabei wollte ich zwei Themenkomplexen besonderen Raum geben, dem Pop, bei dem es ja fast immer nur um diese eine Emotion geht, und der Gewalt als eine Art Anti-Liebe. Mit Gewalt hatte ich mich auch schon in Bezug auf die Krimis sehr beschäftigt, das Thema ist auch eine Obsession von mir. Ich hasse Gewalt wie die Pest, bin aber trotzdem fasziniert davon. Mein Nachdenken darüber, wie ich dieses Thema in dem Band über Liebe einbringen kann, wurde mir irgendwann zu populärwissenschaftlich und lexikalisch, und ich war sehr froh, als mir die „Trilogie der Gewalt“ wieder einfiel, die ich schon vor vielen Jahren geschrieben habe. Ich fand, dass sie von der Länge, dem Ton und der Stoßrichtung her einen geeigneten Kontrapunkt innerhalb des Bandes bildeten.

Ist der Großvater der einzige Mensch, den man „auf eine ganz und gar reine Art“ lieben kann, wie es in einer Geschichte heißt?

Vielleicht, oder? Mit seinen Eltern hat man mal Schwierigkeiten, mit seiner Frau hat man mal Schwierigkeiten, mit seinen Freunden hat man Schwierigkeiten, nur mit seinen Großeltern nicht. Mit meinem Opa hatte ich eigentlich nichts, was uns verband, außer eben die Verwandtschaft. Wir mochten uns und haben nie etwas voneinander verlangt. Wir haben beisammen gesessen und uns aneinander erfreut, er hat mir eine Zigarre gegeben, wenn ich ihn besuchte, wir haben nicht viel miteiander geredet. Ich habe den Kerl aus ganzem, reinem Herzen geliebt, aber das wurde mir erst so richtig klar, als er weg war.

Hat Liebe immer eine illusorische Komponente oder besteht sie gerade darin, die Wahrheit zu akzeptieren?

Ich glaube, wenn man sich verknallt, spielt ein gewisses Idealbild immer eine Rolle. Aber sobald man anfängt, richtig zu lieben, wird dieses Idealbild eher hinderlich. Jedenfalls habe ich das so bei mir beobachtet. Als ich mich vor 25 Jahren in meine Frau verknallt habe, musste ich mich erst mal an gewissen Erwartungen und Prägungen abarbeiten. Nach und nach habe ich entdeckt, wie meine Frau wirklich ist, und als ich dann entdeckt hatte, dass sie mir „sogar so“ gefällt, war es Liebe.

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