16 März 2011

Ein Maler des Deutschen Reiches

HEINO JAEGER
Malerei Zeichnungen Druckgraphik
Eröffnung Freitag, den 18. März 2011, um 20 Uhr
Es spricht Joska Pintschovius
Dauer der Ausstellung bis 15. April 2011
Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 11 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung
Galerie Christian Zwang
Paulinenallee 28, Hamburg-Eimsbüttel


Die folgenden Interviews mit Joska Pintschovius, Frank Schulz und Rocko Schamoni sind zuerst in der taz nord vom 14. Januar 2008 erschienen.

The Wayward Cloud: Joska Pintschovius, wann sind Sie Heino Jaeger zum ersten Mal begegnet?

Joska Pintschovius: Das war Mitte der 60er-Jahre in Schleswig, wo wir beide beim Landesmuseum arbeiteten. Er schlich damals immer mit einem urtümlichen Mantel durch die Flure, der aus Krankenhausdecken während des Krieges gemacht worden war. Irgendwann gingen wir dann mal gemeinsam essen. Er wohnte in einem evangelischen Stift und bei den ersten Treffen erzählte er von seinem Nachbarn, der in seinem Raum ständig auf und ab ging und sagte: „Ist das schrecklich.“

Er machte damals schon die Menschen nach?

Das ging wohl schon in der HfbK los. Seine Kommilitonen scharten sich um ihn, weil er Leute nachmachte oder Stegreifgeschichten erzählte. Sein Professor Alfred Mahlau, der sonst großen Einfluss auf seine Schüler nahm, hielt sich bei Jaeger völlig zurück, weil er wohl mit seinem Stil und seiner Person nichts anfangen konnte.

Welche Wirkung hatte Jaeger auf Menschen?

Der normale Bürger war verunsichert von ihm. Man konnte ihn nicht in die Künstler-Schublade stecken, denn er führte sich nicht auf wie einer. Er sprach ganz normal mit einem, aber plötzlich schwante einem: Der verarscht dich doch. Das war Jaeger selbst gar nicht bewusst. Ich war diesem Mann richtiggehend verfallen, weil er unglaublich amüsant war. Man lernte durch ihn, die Umgebung genauer zu beobachten – wir nannten uns „die Röntgengeräte“. Das war zum Teil qualvoll, aber auch sehr bereichernd. Diese Genauigkeit, auch in seinen Kritiken und Urteilen, verunsicherte die Menschen.

Wie setzte er seine Beobachtungen künstlerisch um?

Im Grunde war er der begabtere Maler. Am Anfang stand bei ihm die Aufnahme visueller Eindrücke, die er hinterher genau wiedergeben konnte, er hatte die Gabe eines Eidetikers. Er malte also nicht nach der Natur, sondern nach dem, was er sich im Kopf zusammengestellt hatte. Bei diesem Vorgang entstanden dann auch die Geschichten. Sie sind keine Satiren, keine Kabarett-Texte, sie sind noch nicht mal komisch im eigentlichen Sinne, es sind wiedergegebene Bilder.

Arbeitete Jaeger an seinen Geschichten?

Überhaupt nicht, sie entstanden spontan und er hat sie auch nicht aufgeschrieben. Das kam erst später, als er anfing, für den Rundfunk zu arbeiten. Am witzigsten sind aber seine Stegreifgeschichten, die manchmal nur so aus ihm heraussprudelten. Ich habe einige davon mitgeschnitten, die müssen unbedingt auch noch veröffentlicht werden.

Was inspirierte Jaeger?

Merkwürdige Typen, Monomanen, Spinner. Mit denen kamen wir ja aufgrund der Museumsarbeit oft in Berührung, wir besuchten sie und sahen und hörten ihnen zu. Bei vielen Figuren der Sendung Dr. Jaeger antwortet weiß ich genau, welche Menschen als Inspiration dienten. Nur dass sie Jaeger sie miteinander zu neuen und noch viel abstruseren Figuren verband.

Wonach suchten Sie auf ihren vielen gemeinsamen Reisen?

Es ging um Stimmungen. In Paris, London oder Belgien suchten wir nur ganz bestimmte Gegenden auf, wir fuhren nur mit bestimmten Zügen. Die Gründerzeit um 1900 war für uns der Höhepunkt der europäischen Kultur. In diese tauchten wir stimmungsmäßig ein und beklagten die Nachkriegspopeligkeit der Deutschen.

Warum ist Heino Jaeger nicht längst berühmt?

Seine Zeitgenossen waren durch ihn verunsichert, wahrgenommen wurde er nur von Künstlern, die damals schon seine Bilder kauften oder seine Komik schätzten, zum Beispiel Loriot, Knut Kiesewetter oder Hanns Dieter Hüsch. Richtig entdeckt wurde er erst durch die nächste Generation, die ihn selbst nicht mehr persönlich kannte, also Leute wie Frank Schulz und Olli Dittrich. „Dittsche“ ist eine eindeutige Jaeger-Figur. Seitdem Man glaubt es nicht heraus ist, melden sich auch viele junge Jaeger-Fans bei mir. Ich bin immer verblüfft, wie genau sie in Kunst und Leben Jaegers bewandert sind.


The Wayward Cloud: Frank Schulz, wann haben Sie Heino Jaeger für sich entdeckt?

Frank Schulz: Zum ersten Mal habe ich ihn in den 70er-Jahren im Radio gehört. Ich weiß nicht, ob ich damals noch zu jung war oder zu dumm, aber da hat es noch nicht gezündet. Dann gab es eine zweite Stufe Anfang der 80er, als mir ein Freund ein Jaeger-Stück auf Platte vorspielte. Da war ich schon viel interessierter, bin dem aber nicht weiter nachgegangen. Die dritte und entscheidende Stufe kam 1991. Ein damaliger Kollege von mir war ein Riesenfan von Jaeger, was auch bei mir zu einer Verehrung geführt hat, die seitdem nicht wieder aufgehört hat.

Gab es damals noch viele andere Fans?

Es gab einen kleinen Zirkel, in dem seine vergriffenen Platten und Kassetten mit Aufnahmen von ihm weitergereicht wurden. Sobald einer Feuer fing, ergab sich sofort ein Kontakt zu einem anderen Jaeger-Fan, der wieder einen anderen kannte usw.

War das Publikum seiner Zeit zu beschränkt für den Humor Jaegers, wie Eckhard Henscheid behauptet?

Ich bin skeptisch, ob es gerechtfertigt ist, das damalige Publikum zu verteufeln, weil es an den falschen Stellen lachte. Vielleicht muss man, um Jaeger zu verstehen, erst mal in einen bestimmten Lach-Modus geraten. Es gibt ja keine klassischen Pointen bei Jaeger, da kann es schon passieren, dass man an anderen Stellen lacht als dort, wo die Lachreize gesetzt sind, wenn man sie so nennen kann. Nach dem, was ich über Jaeger gehört habe, war Jaeger auch toleranter mit seinem Publikum als Henscheid.

Was fasziniert Sie an Jaegers Umgang mit Sprache?

Gesprochene Sprache ist für mich etwas Vitales und Umfassendes, sie hat mit Libido und Schönheit und Heimat zu tun. Und Jaeger besaß die erstaunliche Fähigkeit, nicht nur den Inhalt, sondern auch den Ton gesprochener Sprache genau wiederzugeben. Er spulte sie nicht wie ein Aufnahmegerät ab, sondern berücksichtigte alle Aspekte des Gehörten mit und gab es durch Betonungen, Pausen, sanfte Übertragungen und leichte Verrückungen auf eine Art und Weise wieder, dass man manchmal vor lauter Begeisterung aus der Haut fahren möchte.

Hatte Jaeger einen Einfluss auf die Hagener Trilogie?

Es ist eigentlich nicht so, dass ich Jaeger gehört und daraufhin meinen Stil entwickelt habe, sondern dass ich in ihm den Meister dessen entdeckt habe, was ich sowieso schon immer tat. Als Kind, als ich mit einem Freund die Hagener Dorfhonoratioren nachäffte, und als Schriftsteller, als ich in Kolks blonde Bräute meine Figuren durch ihre Sprachgewohnheiten charakterisierte. Erst in Morbus fonticuli habe ich Heino Jaeger ganz bewusst als Leitmotiv eingearbeitet.

Was sehen Sie als Quelle von Jaegers Humor: seine Melancholie oder seine Lebensfreude?

Ich fürchte, dass lässt sich nicht trennen. Schließlich gibt es für Lach- und Weintränen auch nur eine Drüse.


The Wayward Cloud: Rocko Schamoni, hat sich Ihnen die Jaegersche Komik gleich beim ersten Hören erschlossen?

Rocko Schamoni: Ja, ich habe mich gleich in Jaeger verliebt. 1990 lieh mir ein Bekannter Vinyl-Weißpressungen mit Heino-Jaeger-Material. Als ich mir die anhörte, ging ich gleich an die Decke, so bizarre Hörspiele hatte ich nie zuvor gehört. Die Sachen waren aus seiner Spätphase, als er schon leicht verrückt war. Das war so abwegig und bar jeder Pointe, dass es niemals im Radio gelaufen wäre, und das gefiel mir.

Waren Sie dann enttäuscht, als Sie seine früheren Aufnahmen hörten?

Hätte ich ihn in den 70ern über seine Radiosendungen kennengelernt, hätte ich ihn wohl für einen ganz normalen Gagvogel gehalten, einiges ist ganz eindeutig NDR-Humor von 1978. Aber auch viele seiner älteren Sachen sind absolut zeitlos. Wenn er groteske Situationen nimmt und sich dann sprachlich mäandernd in den vollkommenen Wahnsinn hineinbewegt, kann man nicht erkennen, aus welcher Zeit das stammt.

Interessiert Sie das grafische Werk von Heino Jaeger?

Bis vor zwei Jahren wusste ich nicht mal, dass er auch als Maler bedeutend ist. Vor Kurzem dann habe ich bei einer Ausstellung in der Galerie Zwang seine Werke gesehen, und seitdem ist sein Werk als darstellender Künstler für mich fast noch wichtiger als seine Wortschöpfungen. Er lernte ja zeitgleich mit Horst Jansson bei Alfred Mahlau an der HfbK und hat einen ähnlich genialischen und sicheren Strich wie Jansson, nur dass Jaeger weitaus komischer, härter und tiefer mit seinen Sujets umging. Der hat wirklich verrückte Sachen gemacht. Ich habe mir gerade eine Zeichnung von ihm gekauft.

Warum ist Jaeger nicht berühmt geworden?

Er war nicht einzuordnen. Er hat sich verweigert und nicht verständlich gemacht, er ist nicht in die großen Sendungen gegangen, sondern hat nur seinen eigenen Kosmos bearbeitet. Er war nicht im Geringsten kompatibel mit den Marktmechanismen. Das ist natürlich einerseits tragisch, aber auf der anderen Seite macht ihn das natürlich wahnsinnig attraktiv und großartig. Das war jemand, der sich nicht hat verzehren lassen. Dafür bewundere ich ihn sehr.

Stimmt es, dass Sie über Jaeger einen Film machen wollen?

Ja, seit ungefähr einem Jahr plane ich mit Lars Jessen, einen Spielfilm über das Leben Heino Jaegers zu machen. Mir geht es dabei um eine ganz bestimmte Zeit, in der sich die Wege vieler besonderer Hamburger Figuren kreuzten, Menschen wie Norbert „Boxpinz“ Grupe, Wolfgang „Wolli“ Köhler, Hubert Fichte und Heino Jaeger. In deren Umfeld etablierte sich zwischen 1970 und 1976 eine der wichtigsten Musikszenen Deutschlands. Das ist für mich eine goldene und bislang noch unerzählte Ära deutscher Pop- und Kulturgeschichte, in der wahnsinniges Material steckt.


Zurzeit sind zwei Filme zu Heino Jaeger in Arbeit, zum einen ein Dokumentarfilm von Gerd Kroske mit dem Arbeitstitel Heino Jaeger – vergessen, zum anderen der im Gespräch von Schamoni erwähnte Spielfilm. Olli Dittrich, der Jaeger spielen soll, spricht von einem „biografischen Spielfilm“, an dessen szenischem Grundgerüst neben Schamoni und Regisseur Lars Jessen (die auch zusammen den schönen Dorfpunks gemacht haben) auch Jaegers engster Freund Joska Pintschovius mitarbeitet. Dass mich angesichts des Projekts trotzdem ein leichtes Unbehagen beschleicht, liegt an dem Wesensmerkmal des sogenannten Biopics, die Figur, die Zeit und die Orte, die es angeblich ins Gedächtnis rufen will, ein für allemal hinter dem Schleier nostalgischen Produktionsdesigns, kokeliger Kostüme und zeitgenössischer Schauspielervisagen verschwinden zu lassen. Was mit in aller Welt bekannten Charakterfressen wie Adolf Hitler und Johnnie Cash funktionieren kann, versagt oft angesichts unbekannterer Gesichtszüge. Die vielen nur von Fahndungsfotos bekannten Phantommasken der RAF-Terroristen oder gar die fast vollständig hinter seinem grafischen und akustischem Werk verborgene Figur Heino Jaegers laufen Gefahr, durch krampfhaft um Ähnlichkeit bemühte Mimen für immer zu schlechten Kopien ihrer selbst degradiert zu werden.


Um Heino Jaeger gerecht zu werden, könnte ich mir eine ähnliche Strategie wie in Harald Bergmanns Brinkmanns Zorn vorstellen, in dem Schauspieler Eckart Rohde Originaltonaufnahmen von Rolf-Dieter Brinkmann lippensynchron nachsprach. Olli Dittrich nicht als Verkörperer seines großen Vorbilds, sondern als eine Art Marionette oder Medium, durch das hindurch der Meister in die Gegenwart hinein spricht. Das Leben eines Künstlers in die Gegenwart zu holen, der Zeit seines Lebens auf der Flucht vor ihr war, scheint mir außerdem nur möglich durch eine filmische Form, die der heutigen Gegenwart den Spiegel ihrer eigenen Hässlichkeit vor Augen führt. Reine Nostalgie ist da fehl am Platze.


Kroskes Heino Jaeger – vergessen gibt „anhand von Bildern, Zeichnungen, Fotos und Filmmaterialien“ Einblick in Jaegers Werk und Leben. Gespannt bin ich vor allem auf die Filmmaterialien. Neben dem Hinweis auf Helmut Förnbachers Kurzfilm Heino Jaeger – ein Maler des Deutschen Reiches lässt sich Joska Pintschovius’ großartigem Text „Heino Jaeger: Eine erzählte Biographie“ (aus Man glaubt es nicht) entnehmen, dass die Freunde bei vielen ihrer Reisen in die architektonische und militärische Vergangenheit des Landes häufig eine Kamera dabei hatten. Eine Zeitlang trugen sie sich sogar mit dem Gedanken, einen Deutschlandfilm nach dem Vorbild von Fellinis Roma zu drehen. Bei Probeaufnahmen zu dem bald wieder aufgegebenem Projekt postierten sie sich eines Tages vor dem Berliner Europacenter: „kaum waren wir arbeitsbereit, flackerte in einer der unteren Etagen ein Feuerschein, der sich rasch zu einem lodernden Brand entwickelte“.

Keine Kommentare: