20 Juli 2009

The Stars our Destination

The Wayward Cloud sehnt sich ins All und spricht mit einem Mann, der dort war

Dass vor 40 Jahren ein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt hat, liegt vielleicht auch daran, dass Raumfahrt damals noch sexy war. Sieht man sich zum Beispiel heute eine SF-Operette wie den italienischen Film Raumkreuzer Hydra von 1965 oder Episoden der britischen Serie UFO an, fallen einem vor allem die bunten Kostüme und Kulissen und der Fetischcharakter aller Körper und Dinge auf. Der Weltenraum als Versprechen auf unirdische Genüsse. Nicht Geist und Verstand waren die treibenden Kräfte zum Aufbruch ins All, sondern Eros und Sinnlichkeit.

Gabrielle Drake als Lt. Gay Ellis in UFO

Das Weltall als ein Ort, an dem nicht nur verwertbare Fakten auf die Menschheit warten, sondern grundlegend neue sinnliche und körperliche Erfahrungen, die das Bild vom Menschen und seiner Gesellschaft verändern könnten, ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Da langfristige und damit teure Weltraumforschung oft keinen klaren Verwertungsaspekt hat, spielt sie in der Politik kaum noch eine Rolle. "Für die Erde ins All" lautet das lahme Motto der deutschen Regierung, womit gemeint ist, dass nur solche Forschung finanziert wird, deren Ergebnisse sich kurz- bis mittelfristig zur Lösung konkreter Erdenprobleme einsetzen lassen.

"Wohin soll die Raumfahrt führen?", lautet der Untertitel des schönen Buches Heimat Weltall von Hans-Arthur Marsiske, in dem der Autor den derzeitigen Planungsstand der Raumfahrt untersucht und für langfristige Lösungen plädiert. Soll es weiterhin um die Struktur von Proteinkristallen, das Verhalten von Lebewesen in der Schwerelosigkeit und Erkenntnisse gehen, die zu besseren Verbrennungsmotoren für Autos und Flugzeugtriebwerke führen? Warten jenseits des Erdorbits vielleicht nicht Entdeckungen, die Verbrennungsmotoren ingesamt überflüssig machen? Verbunden mit dieser Frage ist eine Hoffnung, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, nämlich dass Raumfahrt nicht den Verwertungsinteressen des kapitalistischen Wirtschaftssystems untergeordnet sein wird, sondern Alternativen dazu aufzeigen kann.

Eine schöne Hommage an Gabrielle Drake,
die 1972 gemeinsam mit JG Ballard für
Harvey Cokliss’ Kurzfilm Crash! vor der Kamera stand,
findet sich bei Ballardian

Die spannendsten Passagen in Heimat Weltall befassen sich mit einem Thema, über das The Wayward Cloud auch mit dem Astronauten Hans W. Schlegel gesprochen hat: mit neuen Modellen kollektiver Organisationsformen, wie sie etwa an Bord der Internationalen Raumstation erprobt werden. Anders als die aus militärischer Konkurrenz hervorgegangene Apollo-Mission ist die Raumstation ein internationales Gemeinschaftsprojekt, das auf Kooperation zwischen Staaten beruht. Die ISS lässt sich als Experimentierfeld für unhierarchische Strukturen begreifen, auf dem die Astronauten lernen müssen, mit großen kulturellen Unterschieden umzugehen. Zwischen den an der Internationalen Raumstation beteiligten Staaten hat sich ein sogenanntes Barter-System etabliert, bezahlt wird untereinander nicht in Geldern, sondern in Materialien und Nutzungszeiten der Forschungseinrichtungen.

Wohin also soll die Reise gehen: zum Mars oder doch erst mal wieder auf den Mond? Zu interplanetaren oder gleich zu interstellaren Destinationen? Über diese Fragen und die Zusammenhänge zwischen Raumfahrt mit Klimaschutz, die Unterschiede zwischen russischen und amerikanischen Astronauten und den Anblick der Erde von oben hat The Wayward Cloud vor zwei Jahren mit dem deutschen Astronauten Hans Wilhelm Schlegel gesprochen. Damals bereitete sich Schlegel auf seine Mission an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) vor, die im Februar 2008 durchgeführt wurde. Seine Aufgabe bestand darin, das Forschungslabor Columbus, Hauptbeitrag der European Space Agency zur ISS, an die Raumstation anzudocken. Dafür musste er drei EVAs vornehmen – Extra Vehicular Activities, die Sahnehäubchen der bemannten Raumfahrt.

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Herr Schlegel, sind Sie manchmal traurig, dass Flüge zum Mond oder Mars derzeit nicht auf der politischen Tagesordnung stehen?

Hans Wilhelm Schlegel: Sowohl NASA als auch ESA haben ja vor Kurzem ihre Absicht erklärt, bemannte Flüge zum Mond zu senden, mit dem Fernziel, später zum Mars zu fliegen und dort eine bewohnbare Station einzurichten. Alles, was wir zurzeit tun, sind Meilensteine auf dem Weg dorthin. Dass das jenseits meiner beruflichen Karriere stattfindet, macht mich natürlich schon ein bisschen neidisch auf die nachfolgende Generation.

Worauf freuen Sie sich bei Ihrem bevorstehenden Flug am meisten?

Ich freue mich auf die Schwerelosigkeit, das ist eine einzigartige Erfahrung. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wir uns daran anpassen können und welche neue Möglichkeiten sie mit sich bringt. Es gibt kein Oben und Unten mehr, das wird alles zu einer Sache des Kopfes. Ich freue mich außerdem darauf, im Rahmen meiner EVA-Einsätze die ISS zu verlassen und die Erde durch mein Helmvisier direkt sehen zu können

Hans W. Schlegel, Astronaut

Werden Sie überhaupt Zeit haben, die Erde in Ruhe zu betrachten?

Der Zeitplan an Bord ist unheimlich eng, meine Hauptaugenmerk gilt deshalb den für mich neuen und komplexen Prozeduren, die ich in den letzten Monaten im Training immer wieder geübt habe. Ich kann mir nicht viele Umwege und Fehler leisten und werde mich immer wieder mit unerwarteten Problemen auseinandersetzen müssen, für die ich Lösungen finden muss. Aber zwischendrin werde ich immer wieder sekundenweise auf die Erde zurückblicken können.

Was bewirkt der Anblick der Erde von oben?

Diese Frage berührt eine der essenziellen Erfahrungen der Raumfahrt: Die gewohnten Maßstäbe geraten ins Schwanken: was oben und was unten ist, was groß und was klein, was schnell und was langsam. Ob Sie über oder unter der Erde fliegen, ist dort keine Frage der körperlichen Gewissheit, sondern des abstrakten Denkens. Wenn Sie zum Beispiel Afrika vor sich sehen, fliegen Sie gerade unter der Erde durch. 30 Sekunden später sehen Sie Madagaskar auftauchen, dann zieht 40 Minuten lang der Pazifische Ozean vorbei, dann für 10 Minuten Amerika, schließlich der Atlantik, und nach insgesamt 90 Minuten sind Sie wieder über Afrika. Das bringt die widersprüchlichsten Empfindungen mit sich. Wenn Sie über das Wasser des Pazifik fliegen, kommt Ihnen die Erde riesig vor: 40 Minuten nur Wasser! Wenn Sie dann kurze Zeit später wieder über Afrika sind, wird Ihnen klar, wie klein die Erde eigentlich ist. In diesen anderthalb Stunden haben Sie die Sonne einmal auf- und wieder untergehen sehen, am Tag macht das 16 Auf- und Untergänge. Das versetzt einen in Staunen und lässt einem Dinge klarer erkennen als am Boden.

Crew der zweiten Spacelab-Mission STS-55

Welche Erkenntnisse haben Sie auf Ihrem ersten Flug 1993 gewonnen, als Sie die zweite Spacelab-Mission begleiteten?

Entscheidend ist nicht nur, was man sieht, sondern was man da oben auch nicht mehr sieht. Man sieht nicht mehr die Hautfarbe der Menschen, keine politischen Systeme und Ländergrenzen, sondern nur geologische Strukturen wie das Nil-Delta, das sich grün vom Wüstensand abhebt. Man erkennt die Steppe der Etosha-Pfanne im Norden von Namibia, die farblich mit dem umliegenden Steppengelände kontrastiert. Von dem damals in Somalia herrschenden Bürgerkrieg und den deutschen Soldaten, die dort im Einsatz waren, konnten wir hingegen nichts sehen. Stattdessen sahen wir, wie dünn und endlich die Erdatmosphäre ist. Da überkam mich die Erkenntnis, weniger im Kopf als im Bauch und im Herzen: Meine Güte, das dort ist der Erdglobus. Mehr ist es nicht. Diese Einsicht bewirkt nicht nur, dass man sehr sorgfältig mit der Energie und dem Müll an Bord umzugehen beginnt, sondern man beginnt auch die Erde als ein großes Raumschiff zu begreifen, dessen Ressourcen endlich sind.

Warum ist das Forschungslabor Columbus, das Sie zur ISS bringen, nach einem Entdecker benannt, der durch einen Irrtum in die Geschichtsbücher gelangte?

Das ist doch die Grundhoffnung aller Wissenschaft: Dinge zu entdecken, an die wir zuvor nicht gedacht haben. Wir haben eine Hypothese, und dann machen wir ein Experiment, um diese zu bestätigen oder widerlegen. Wir müssen dabei immer auf Ergebnisse gefasst sein, die mit unserem bisherigen Modellen nicht zu erklären sind. Das passiert sehr oft und führt meistens zu entscheidenden Entwicklungsschritten in der Wissenschaft. Dabei haben wir einen großen Vorteil gegenüber Kolumbus, denn während die Seefahrtsnationen damals miteinander konkurrierten, betreiben wir solche Unternehmungen heute im globalen Rahmen. Die ISS ist ein Rollenmodell für die Kooperation der Nationen, denn es ziehen dabei nicht nur Russland und die USA, sondern auch Kanada, Japan und die 17 europäischen Mitgliedsländer der ESA an einem Strang.

Welche Art von Forschung wird in Columbus betrieben werden?

Es handelt sich um ein Allzwecklabor, das Experimente in den unterschiedlichsten Wissenschaftsfeldern erlaubt. Ein Großteil der Forschung wird im Bereich der Life Science, also Humanmedizin und Biologie, und in der Materialforschung stattfinden, also Gebieten, in denen die Schwerelosigkeit eine große Rolle spielt. Untersucht wird beispielsweise das Verhalten von Flüssigkeiten, deren Eigenschaften durch die Gravitation völlig überdeckt werden. Relevant sind solche Experimente für alle Produktionsprozesse von Materialien, die eine flüssige Phase durchlaufen, etwa beim Gießen von Turbinenschaufeln. Neben solchen Innenexperimenten bietet die ISS auch viele Möglichkeiten zur Außenforschung. Wir nehmen auf unserem Flug zum Beispiel das Sonnen-Observatorium SOLAR mit nach oben und eine neue atomare Uhr, die wir in Europa nutzen können.

Weiß auf gelbem Grund: die Etosha-Pfanne in Namibia
aus dem All fotografiert


Wer entscheidet, was auf der ISS geforscht wird?

Den Ausschlag geben die Wissenschaftler selbst. Wenn einer von ihnen eine Idee hat, kann er sie der ESA vortragen, die die Forschungen auswählt und koordiniert. Wenn der Vorschlag für gut befunden wird und die nötigen Voraussetzungen an Bord der ISS hergestellt werden können, kann das Experiment innerhalb von zwei Jahren starten.

Die Politik nimmt keinen Einfluss?

Doch, die europäischen Mitgliedsländer und Kanada, die die ESA und ihre Forschungsprogramme finanzieren, wollen, dass das aufgebrachte Geld wieder zurück in die Industrien des jeweiligen Landes fließt. Da Deutschland zirka 40 Prozent für die ISS zahlt, sollen diese Leistungen also auch zu 40 Prozent von der deutschen Industrie stammen. Columbus ist ein Teil davon: Die Hülle wurde in Italien gebaut und dann nach Bremen zur Firma EADS transportiert, wo das Labor ausgestattet und in Betrieb genommen wurde.

Wie sieht es mit Forschungen aus, die weniger wirtschaftliche als gesamtgesellschaftliche Bedeutung haben, etwa zum Klimawandel?

Das ist auf der ISS ein ganz wichtiges Forschungsgebiet. Es gibt ja bisher noch kein exaktes Klimamodell, die einzelnen Parameter und die Verkettung der Ursachen verstehen wir noch nicht. Wir werden unsere Werkzeuge auch dazu einsetzen, diese offenen Fragen zu beantworten. SOLAR untersucht zum Beispiel den Strahlungshaushalt der Sonne, der einen großen Einfluss auf unser Erdklima hat. Die nationalen Raumfahrtagenturen, die die ESA tragen, werden ja von den Regierungen finanziert und sind diesen auch rechenschaftspflichtig. Deshalb bin ich froh, dass wir für die ISS Geld ausgeben und die Forschung nicht Wirtschaftsunternehmen überlassen, die natürlich eigenständige Ziele haben.

Sehen Sie die ISS auch als ein gesellschaftspolitisches Versuchslabor?

Auf jeden Fall. Die Internationale Raumstation ist ein schon fünf Jahre dauerndes Experiment zur interkulturellen Kooperation. So lange schon sind immer zwei Astronauten unterschiedlicher Nationen an Bord, sobald Columbus oben ist, wird ein dritte dazukommen. Ein Hauptaspekt bei der Auswahl der Crews aller Länder ist ihre soziale und kulturelle Verträglichkeit. Wir absolvieren Schulungen, in denen wir lernen, wie Menschen aus anderen Kulturkreisen in bestimmten Situationen reagieren, da gibt es große Unterschiede. Nachdem die siebenköpfige Crew für unsere Mission benannt war, wurden wir erst mal für zehn Tage in das Canyon-Land von Utah geschickt, um in einer anstrengenden und ungewohnten Situation unsere Besonderheiten kennenzulernen und das Zusammenleben zu trainieren.

Können Sie Beispiele für kulturelle Unterschiede nennen?

Meine größte Lektion in dieser Hinsicht lernte ich, als ich 1995 nach Russland kam, um eine Ausbildung als Ersatzmann für die deutsch-russische Mission Mir’97 zu absolvieren. Da war ich Mitte 40 und dachte, ich hätte schon eine Menge gesehen. Ich bin heute noch glücklich für diese Gelegenheit, in eine andere Kultur einzutauchen und zu erkennen, wie subjektiv und vorurteilsbehaftet meine Wahrnehmung war. Vorher hatte ich lange in den USA gelebt, habe dort als Schüler ein Austauschjahr verbracht und später, Anfang der 90er Jahre, meine vorbereitende Ausbildung für meinen ersten Flug ins All im Rahmen der Spacelab-Mission hier im Johnson Space Center in Houston absolviert. Wenn Sie hier Menschen kennenlernen, werden Sie mit lachendem Gesicht begrüßt, was wir Europäer als sehr freundlich und offen empfinden. In Russland treffen Sie hingegen erst mal auf ernste Gesichter und prüfende Blicke, kaum einer lächelt. Ich fühlte mich anfangs nicht willkommen. Doch wenn man länger dort ist, stellt man fest, dass diese Strenge ebensowenig mit wahren Gefühlen zu tun hat wie die standardmäßige Freundlichkeit der Amerikaner. Das ist einfach ihre Art, Fremden zu begegnen. Auch im Umgang mit Problemen gibt es Unterschiede. Während Amerikaner sich fragen: Wie können wir das lösen?, stellen Russen die Frage: Warum ist das so? Da wird nicht gleich an das Ändern gedacht. Die goldene Mitte liegt in einem Kompromiss zwischen beiden Herangehensweisen, und das ist etwas, was wir an Bord der ISS lernen.

Astronauten haben also nicht nur im naturwissenschaftlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich eine Vorbildfunktion?

Was den respektvollen Umgang mit anderen und fremden Menschen betrifft schon. Wir versuchen, neue Dinge, die wir erfahren, und seien sie auch noch so abstrus, nicht schlichtweg zu leugnen und abzuwiegeln, sondern zu verstehen. Dieses Verständnis kann dann auch auf einen selbst abfärben. Ja, ich denke, wir Astronauten im internationalen Rahmen der ISS sind ein Rollenmodell für die Menschheit auf diesem unseren recht begrenzten Planeten.

Inner Vehicular Activity:
Schlegel auf dem Astronautenklo.
Die dazugehörige Sachgeschichte
aus der Sendung mit der Maus
ist leider nicht online,
eine Textfassung findet sich hier


Haben Sie sich schon einmal überlegt, mit welchen Worten Sie einen Alien begrüßen würden?

Nun ja, dahinter verbirgt sich ja eine ganz essenzielle menschliche Frage: Wie begegne ich einem Fremden? Freundlich, neugierig und zugleich vorsichtig, würde ich sagen.

Kehrt ein Astronaut als derselbe Mensch zurück, als der er aufgebrochen ist?

Kein Mensch, ob im Weltraum oder auf der Erde, bleibt derselbe. Wir verändern uns alle. Die Frage ist nur, wie viel und in welche Richtung. Ich glaube auch nicht, dass wir uns direkt durch Erlebnisse verändern, sondern durch den Austausch über diese Erlebnisse mit anderen Menschen. Interaktion und Kommunikation bringen Veränderung mit sich.

Bringen Sie Ihren sieben Kindern etwas aus dem All mit?

Ja, ich versuche schon, für jeden etwas dabeizuhaben. Aber das Wichtigste, was ich ihnen mitbringen kann, ist anschließend ein bisschen mehr Zeit und Aufmerksamkeit.

Wollen Ihre Kinder eigentlich auch Astronauten werden?

Ich selbst habe als Kind nie gewagt, Astronaut werden zu wollen, sondern hatte immer verschiedene Wünsche. Das ändert sich mit der Zeit. So ist das auch bei meinen Kindern. Einer meiner Söhne hat mal auf die Frage eines Besuchers, was er mal werden wolle, verschämt geantwortet: "Jaa, Astronaut ist schon ganz gut, aber eigentlich, eigentlich will ich ja Feuerwehrmann werden."

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