Porträts des Schauspielers Devid Striesow beginnen normalerweise so: "Gesehen haben Sie ihn bestimmt schon mal. Nicht auf einem Titelbild. Auch nicht bei einer Galavorstellung oder einer Preisverleihung. Und schon gar nicht in den Klatschspalten der Boulevardpresse. Sondern dort, wo Devid Striesow in den letzten Jahren präsenter war als alle anderen deutschen Schauspieler: auf der Bühne, der Leinwand und im Fernsehen. Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr an sein Gesicht, aber seine Rolle werden Sie nicht vergessen haben." Oder so ähnlich. The Wayward Cloud bildet jetzt keine Ausnahme mehr.
Ergänzen sollte man allerdings, dass Striesows Chamäleonhaftigkeit, sein Talent zur Einfühlung in die von ihm verkörperten Figuren, einhergeht mit seiner nahezu einzigartigen Gabe, diese Figuren in seinem Spiel auch erst zu schaffen. Ob seine vagen und zugleich äußerst präsenten Männerfiguren der Berliner Schule, den Matratzenverkäufer aus Hans-Christian Schmids Lichter oder den Risikokapitalisten aus Yella, immer erweitert Striesow die von ihm verkörperten Typen um Facetten, Bewegungen, mimische Eigenheiten und schafft damit Figuren, wie sie so noch nie zuvor sehen waren. Devid Striesow ist mehr als ein Darsteller, er ist ein (Er-)Finder von Formen und Gesten, John Cassavetes hätte mit ihm seine Freude gehabt.
Welchen schauspielerischen Reichtum Striesow in sich birgt, wird man ab 9. April in dem Film So glücklich war ich noch nie sehen können, den der Regisseur und Autor Alexander Adolph ihm auf den Leib geschrieben hat. Darin spielt er auf unnachahmliche Weise einen Hochstapler, einen jener empathischen Performance-Künstler, bei denen die Grenzen zwischen bewusster Darstellung und intuitiver Einfühlung ständig am Verschwimmen sind.
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Das folgende Interview mit Devid Striesow fand im Oktober 2007 in Berlin statt. Anlass war der Film Das Herz ist ein dunkler Wald von Nicolette Krebitz, in dem er einen Mann spielt, der zwei bürgerliche Ehen, Existenzen und Väterrollen gleichzeitig führt.
Herr Striesow, was hat Sie an der Rolle eines Mannes mit Doppelleben interessiert?
Devid Striesow: Vor allem reizte mich, dass er Geige spielte, ein Instrument, auf dem ich im zarten Alter von sechs zu üben begann. Neben der Arbeit mit Nina Hoss und Nicolette Krebitz war es außerdem das ungewöhnliche Drehbuch, das mich die Rolle annehmen ließ. Es passiert nicht oft, dass ein Skript auf halber Strecke plötzlich eine so ungewöhnliche Wendung nimmt und sich erzählerisch in einen Bereich vorwagt, zu dem einem als Schauspieler erst mal die Bilder im Kopf fehlen. Ich wollte herausfinden, was da passiert.
Auch Sie ja führen ja oft eine Art Doppelleben, wenn Sie mehrere Filme gleichzeitig drehen.
Stimmt, parallel zu Das Herz ist ein dunkler Wald habe ich auch Die Fälscher (Regie: Stefan Ruzowitzky) und eine Folge von Bella Block gedreht, in zwei Städten. Wenn ich abends in Potsdam fertig war, fuhr ich zum Nachtdreh nach Hamburg, und am nächsten Morgen kehrte ich wieder zurück. Zwischendrin habe ich auch noch am Theater gespielt. Das macht man eine Zeitlang mit, weil man geschmeichelt ist von den ganzen Rollenangeboten, und dann merkt man, das es nicht mehr gut ist für einen. Alles Private bleibt auf der Strecke, man kann keine Kontakte pflegen oder Freunde besuchen. Zwei Jahre habe ich das durchgehalten. 2005 und 2006 habe ich insgesamt 25 Filme gemacht.
Verwechselt man dann nicht manchmal die Rollen?
Nein. Die Figuren stellen sich erst her, wenn man das entsprechende Kostüm anhat, wenn der Raum und die Kamera und die anderen Schauspieler da sind. Das ist genau wie beim Theater: Wenn der Vorhang hochgeht, fallen die Begebenheiten des Tages von einem ab, man lässt alles hinter sich und konzentriert sich nur auf seine Rolle. Hinterher ist man manchmal selbst ganz erstaunt, wie unterschiedlich man in Filmen aussehen kann. In Die Fälscher und Das Herz ist ein dunkler Wald bin ich zum Beispiel etwas rundlicher, während ich im kurz danach gedrehten Yella (Regie: Christian Petzold) ein ganz schmales Gesicht habe. Das hat was mit dem Denken und nichts mit der Ernährung zu tun.
Wie nähern Sie sich Ihren Rollen?
Ich bin eher der intuitive Typ. Vieles entsteht bei mir über die Kleidung einer Figur und die Dinge, mit denen sie sich umgibt. Der Risikokapitalist aus Yella fährt zum Beispiel einen Audi A6 und trägt einen Aktenkoffer und einen Joop-Anzug. Sobald ich da reinschlüpfte, wusste ich, wie die Figur tickt. Oder der Matratzenhändler aus Lichter: Die Brille, die ich während des Drehs trug, hatte sieben Dioptrien und war sehr schwer. Ich lief also wirklich wie blind durch die Gegend, musste mir das Gestell ständig auf der Nase hochschieben und bekam Fettflecke auf den Gläsern. Das erinnerte mich an einen Freund meines Bruders, der hatte genauso eine Brille und war sehr fahrig. Ich habe ihn dann einfach nachgespielt. Langes Reden über die Szenen bewirkt bei mir oft das Gegenteil. Wenn der Regisseur und die anderen Schauspieler sich zusammensetzen und stundenlang über die Konzeption ihrer Rollen reden, werde ich immer schweigsamer. Ich kann das nicht. Wenn mir etwas unklar ist, sage ich immer: "Lasst es uns spielen."
Sind Kostüme für Sie eher eine Hilfe oder eine Behinderung?
Zum Beispiel in Uniformen kann die Figur auch schnell mal verschwinden. Wir haben lange überlegt, ob ich in Die Fälscher diesen Nazi-Mantel tragen soll, der wirkt ja, als ob da ein Eisenschrank auf einen zukommt. Ich wollte ihn aber unbedingt tragen, weil ich ein Vorbild vor Augen hatte, nämlich einen SS-Mann aus Bruno Apitz’ Roman Nackt unter Wölfen. Das Buch habe ich als Kind verschlungen, und seitdem hatte ich diese in einen Mantel gehüllte Figur vor Augen, die ich immer schon mal spielen wollte.
Hat Ihre persönliche Entwicklung Einfluss auf Ihre Rollenauswahl?
Nicht in dem Sinne, dass ich versuche, mich durch bestimmte Rollen selbst zu therapieren. Das Spiel an sich ist für mich Therapie. Das ist ein kindlicher Vorgang. Ich kann mich dabei entspannen und zugleich so konzentrieren, dass alles andere unwichtig wird. Vor ein paar Jahren habe ich zum Beispiel während einer privaten Trennungsphase den Hamlet gespielt. Mir ging es damals nicht gut, ich aß zu wenig, und dann stand ich bei der Premiere auf der Bühne und sprach mein "Sein oder Nichtsein", und meine Beine schlotterten. Aber ich habe die drei Stunden durchgehalten, und hinterher ging es mir besser.
Gibt es Rollen, die Sie unbedingt mal spielen möchten?
Ich würde sehr gern mal einen Dirigenten spielen, weil mich dessen Repertoire an Bewegungen interessiert. Ich habe ein Jahr lang Musik studiert, und es hat mich immer fasziniert, wie ein Dirigent nur durch Gesten einem solchen Apparat Leben einhauchen kann. Alle sitzen gelangweilt herum, unterhalten sich, bohren in der Nase, und dann kommt er rein, hebt an, und sofort herrscht Ruhe und alle sind hochkonzentriert.
Würden Sie einen Bond-Bösewicht spielen?
Ja, unbedingt. Dann könnte ich die Tradition von Gert Fröbe, Curd Jürgens und all den anderen wunderbaren deutschen Bösewichtern fortführen. Mein Bruder und ich haben uns sogar vor Kurzem die nötigen Schoßhunde dafür gekauft, zwei englische Bulldoggen, die könnten dann neben meinem Thron sitzen.
Hat Hollywood sich schon gemeldet?
Bisher noch nicht. Das hätte aber auch keinen Sinn, ich kann nämlich kein Englisch. In der Schule habe ich Russisch gelernt. Ich finde aber auch die Produktionsbedingungen in den USA nicht sehr reizvoll, diese Schnelligkeit, dieser Druck. Das ist noch einen Schritt weiter weg vom Rhythmus und der Arbeitsweise des Theaters, die mir eigentlich am meisten liegen. Beim Film lernt man ja, ganz schnell etwas herzustellen, aber es fehlt der Raum, um es zu erproben und herauszufinden, wie man es verbessern kann. Das Theater trainiert.
Sie haben den Ruf, selten zur Ruhe zu kommen und in den Drehpausen gern herumzualbern. Stört das nicht die Konzentration?
Nein, im Gegenteil, ich brauche das, um meine Energie hochzuhalten. Wenn nichts passiert, schlafe ich ganz schnell ein. Die Umbaupausen werden ja oft sehr lang, und Film besteht hauptsächlich aus Warten. Ich empfinde diese Phasen als sehr schwierig, wenn ich da nicht in Aktion bleibe, fällt es mir sehr schwer, wieder in meine Rolle hineinzukommen. Hippelig zu sein ist meine Art, mich zu konzentrieren. Das kann meine Kollegen auch schon mal nerven. Anfang dieses Jahres hatte ich zum Beispiel einen schwierigen Dreh, wo es dann eskalierte und ich angefahren wurde: "Nun hör aber mal auf. Du machst mich ganz verrückt." Das war jemand, der zur Konzentration Ruhe brauchte. Ich habe mich dann zum ersten Mal gefragt, was ich verkehrt mache, und versuche seitdem, ein bisschen anders damit umzugehen. Aber letztlich braucht es diese Energie. Davon profitieren alle am Set.
Sie sind bisher vor allem durch Nebenrollen bekannt geworden, haben Sie keine Lust auf Hauptrollen?
Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebendarsteller interessiert mich überhaupt nicht. Christian Petzold hat mir mal erzählt, dass man in Frankreich diese Begriff nicht mal kennt. Hauptrollen gibt es pro Film ja immer nur eine, alles andere sind dann schon Nebenrollen, das sagt aber überhaupts nichts darüber aus, wie spannend oder komplex sie sind.
Waren Sie deshalb nicht bei der diesjährigen Gala des Deutschen Filmpreises, wo Sie als bester männlicher Nebendarsteller in Die Fälscher ausgezeichnet wurden?
Na ja, der eigentliche Grund war, dass ich auf dem Rückweg aus meinem Urlaub in Kroatien eine Autopanne hatte und nicht mehr rechtzeitig nach Berlin kam. Aber ich war ganz froh darüber, ich finde solche Auftritte nur furchtbar. Wenn da wenigstens Masken fallen würden, aber das ist ja ein reiner Jahrmarkt der Eitelkeiten, vor dem ich Bammel habe. Das konnte ich schon als Kind nicht. Als ich am Musik-Konservatorium von Rostock Geige lernte, musste ich häufig vorspielen. Ich musste auf ein Podest in einem festlichen Raum steigen, in der ersten Reihe saßen die Lehrer an einem langen Tisch, neben mir stand meine Korepetitorin – das war der nackte Horror. Mir lief der Schweiß runter, und ich war immer schlecht. Noch heute laufe ich weg, wenn ich eine größere Ansammlung von Leuten sehe.
Davon werden im Laufe Ihrer Karriere wohl noch viele auf Sie warten.
Dann komme ich halt immer ein bisschen später.
In welcher Form können Sie denn dann überhaupt die Anerkennung des Publikums entgegennehmen?
Neulich morgen, als ich spazieren ging, kam mir ein Typ entgegen und rief mir zu: "Ich habe dich neulich im Kino gesehen. Das war echt gut." Und ging weiter. Das hat mir gefallen. Aber zu oft sollte es auch nicht passieren.
Sie möchten lieber unerkannt bleiben?
Ja, Unauffälligkeit ist nicht die schlechteste Auszeichnung für einen Schauspieler. Das größte Kompliment, das ich je erhalten habe, bestand darin, dass nach der Premiere von Lichter viele Leute den Regisseur Hans-Christian Schmid fragten, wo er denn diesen Matratzenverkäufer mit den dicken Brillengläsern aufgetrieben habe. Die dachten, den Mann gäbe es wirklich.
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TV-Tipps mit Devid Striesow:
Sonntag, 8 Februar, 16 Uhr, arte: Marseille (2004) von Angela Schanelec
Wiederholung am Samstag, 14. Februar, 15.40 Uhr
Montag, 9. Februar, 21 Uhr, arte: Yella (2007) von Christian Petzold
Wiederholung am Sonntag, 15. Februar, 16.10 Uhr
Sonntag, 15. Februar, 20.15 Uhr, ARD: Tatort: Neuland (2009) von Manuel Flurin Hendry
Dienstag, 3. März, 20.15 Uhr, 3sat: Valerie (2006) von Birgit Möller
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