Was für desaströse Auswirkungen ein Rauchverbot für das Kino haben kann, konnte man gut an Wong Kar-wais letztem Film My Blueberry Nights beobachten. In seinen Filmen aus Hongkong kräuselte sich der Zigarettenqualm vor Interieurs und Spiegeln, verlieh den Gesichtern und Körpern der Figuren eine Aura und dem Raum eine Textur und Tiefe, in der die Blicke und Gesten sich entfalten konnten. In Amerika müssen seine Hauptfiguren Elizabeth (Norah Jones) und Jeremy (Jude Law) vor die Tür des Cafes gehen, um eine Zigarette durchzuziehen. Da draußen frieren sie sich den Arsch ab und blasen hastig Rauch in die kalte Abendluft von New York. Wie sexy ist das denn.
In My Blueberry Nights gibt es keinen Kummer, der sich nicht mit einem Blaubeerkuchen und einem guten Gespräch aus der Welt schaffen ließe. In 2046 und In the Mood for Love hingegen herrscht das Gesetz einer unstillbaren Begierde, einer Sehnsucht, deren Objekt ebenso ungreifbar bleibt wie der Rauch der Zigaretten. Ist In the Mood for Love die vollkommene filmische Variation zum Thema der unerfüllten Liebe, ein perfekt choreografiertes Kammerspiel der Blicke, Gesten, Worte, Rauchringe, mit denen sich Liebende ihren eigenen Kosmos außerhalb der Zeit weben, so lässt sich 2046 als eine Folge von Sätzen beschreiben, die das Grundmotiv des Vorgängers variieren und fortführen. Nur die Tonart hat sich verändert, denn aus dem von Tony Leung mit unendlicher Eleganz verkörpertem romantischen Liebhaber ist ein melancholischer Zyniker geworden, der die Verführung zu einem kunstvollen Spiel verfeinert hat.
Musikalische Analogien drängen sich auf, weil Harmonien und Rhythmen das Arrangement von Bildern und Tönen bis in die Details bestimmen. Songs von Nat King Cole, Bel-Canto-Arien, alte chinesische Lieder und Filmthemen, unter anderem von Fassbinder-Komponist Peer Raben, schaffen den idealen Soundtrack für einen Bilderkosmos, in dem sich alles um die Modulation, das Arrangement, die Wiederholung körperlicher und räumlicher Konstellationen dreht. Keine Einstellung ist hier willkürlich, selbst minimalste Verschiebungen von Blickwinkeln offenbaren präzise das Auf und Ab des amourösen Reigens.
Durchbrochen wird dieser durch Abschnitte aus einem SF-Roman Chows, futuristischen Szenen aus 2046, einem Ort, an dem die Erinnerungen aller Menschen gespeichert sind. Zu erreichen ist er mit einem Zug, doch niemand, der dorthin gelangt ist, kam bisher zurück. Nur der Held des Romans hat sich wieder auf die lange Reise ins Vergessen gemacht. Der Film zeigt ihn im Zug, in dem Reich zwischen totaler Erinnerung und vollkommenen Vergessen, aus dem auch Wong Kar-wai seine immer gleichen, ständig sich wandelnden Bilder schöpft.
Im Jahr 2004 sprach The Wayward Cloud mit Wong Kar-wai über 2046 und die Unmöglichkeit, die Zeit anzuhalten – es sei denn, man ist Raucher oder Regisseur
The Wayward Cloud: In welchem Zusammenhang steht 2046 mit In the Mood for Love und Days of Being Wild?
Wong Kar-wai: Die Trilogie ist durch viele Figuren miteinander verbunden, deren Geschichten relativ chronologisch erzählt werden. Die beiden letzten Filme haben aber unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Es macht durchaus Sinn, 2046 vor In the Mood for Love zu sehen. Wenn der Zuschauer die Figur dieses Mannes interessant findet und herausfinden möchte, warum er so geworden ist, dann kann er in In the Mood for Love die Antwort darauf finden. Dieser Film ist für mich wie ein Kapitel aus 2046.
Haben die Filme einen autobiografischen Hintergrund?
1963 kam ich mit meinen Eltern nach Hongkong, ich war fünf, und dieser Umzug hat mich tief beeindruckt, denn Schanghai und Hongkong waren vollkommen unterschiedliche Städte. In Schanghai gab es sehr viel Platz, während in Hongkong alles eng war. Viele Menschen teilten sich kleine Wohnungen, und man bekam sehr viel von den Nachbarn mit, wie sie lebten, was sie sagten, welche Musik sie hörten, welche Filme sie sahen. Diese Bilder sind mir geblieben, und ich wollte einen Film aus ihnen machen.
Warum dauerte es so lange, den Film fertigzustellen?
Am Film sind viele Stars beteiligt, deren Zeitpläne miteinander koordiniert werden mussten. Wir mussten häufig warten, bis einer von ihnen einen Job abgeschlossen hatte. Der eigentliche Dreh begann erst vor 18 Monaten, und er zog sich lange hin, weil viele kreative Komponenten koordiniert werden mussten, etwa das CGI-Team in Frankreich und die Komponisten aus Japan und Deutschland.
Sind Sie manchmal neidisch auf Regisseure wie Johnnie To, der in den letzten fünf Jahren 13 Filme fertig gestellt hat?
Johnnie Tos Arbeitsweise unterscheidet sich sehr von der unseren, weil er nur als Regisseur fungiert, er besitzt nicht die Kontrolle über die gesamte Produktion, er muss sich nicht um die Finanzierung und die Distribution kümmern. Um diese Kontrolle zu erlangen, haben wir 1993 unsere eigene Produktionsfirma gegründet und uns den notwendigen kreativen Raum geschaffen. Wenn unser Team in Zukunft herangereift ist, wird sich für vielleicht auch für mich die Möglichkeit ergeben, mich mehr auf die Regie zu konzentrieren.
Was hat es mit der Zahl "2046" auf sich?
Der Titel bezieht sich auf das Versprechen der chinesischen Regierung an die Bürger von Hongkong, dass es nach der Übergabe 1997 für 50 Jahre keine Veränderungen geben wird. Für mich war der Gedanke faszinierend, wie man 50 Jahre die Zeit anhalten will. Ich frage mich, warum die Menschen so viel Angst vor Veränderungen haben. Auch in der Liebe geht es um die Sehnsucht nach Dauer. Wirst du dich verändern? Werde ich mich verändern? Können wir diesen Moment bewahren? Ich wollte mit 2046 eine Utopie schaffen, einen Ort und eine Zeit, wo sich niemals etwas ändert und wo wir die wertvollsten Momente des Lebens aufbewahren können. Das wirkt erst mal wie eine wunderschöne Idee, aber der Film zeigt auch, dass die Vergangenheit zu einer Last werden kann, die man gerne loswerden möchte.
Zeit und Vergänglichkeit spielen eine große Rolle in Ihren Filmen.
Ich bin Regisseur geworden, weil es mir erlaubt, die Zeit zu kontrollieren. In unserem Alltagsleben sind wir ihr ausgeliefert und haben keine Macht über sie. Aber im Film kann man eine Sekunde eine Ewigkeit dauern lassen, und man kann zehn Jahre in einer Sekunde geschehen lassen. Das ist das Privileg und das Vergnügen eines Regisseurs.
Sie haben nie eine Filmschule besucht. Glauben Sie, dass eine Ausbildung Ihren Stil beeinflusst hätte?
Ich bin sehr skeptisch, was die Erlernbarkeit des Filmemachens angeht. Mein Rat an angehende Filmstudenten ist immer, möglichst viele Filme zu sehen und sich auf möglichst viele Affären und Liebesgeschichten einzulassen. Dadurch lernt man mehr als in jedem Schulunterricht.
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