21 Dezember 2008

Der Film zum Fest

Für alle, die neben Drei Nüsse für Aschenbrödel und Ist das Leben nicht schön? noch Lust auf einen weiteren Weihnachtsfilm haben, hier ein Tipp, der sich in jeder gut sortierten Videothek im Thriller-Regal findet: David Cronenbergs Tödliche Versprechen (OT: Eastern Promises). Schnee, eine unbefleckte Mutterschaft und Viggo Mortensen als charismatischer Erlöser! Der Text und das Interview zum Film sind bebildert mit Fotos aus Danzig Baldaevs Russian Criminal Tattoo Encyclopedia, die einen großen Einfluss auf Cronenbergs Film hatte.


Über Tödliche Versprechen

Die russische Mafia, so viel macht schon die erste Szene unmissverständlich klar, unterscheidet sich von der italienischen durch die Wahl der Waffen: Man tötet gern aus der Nähe und benutzt dazu Klingen. Das geht meist ganz still vonstatten, mit durchschnittener Kehle lässt sich schlecht schreien, es bringt aber jede Menge Blut mit sich. Viel fließt davon schon in den ersten fünf Minuten von Tödliche Versprechen: aus dem Hals eines Mafiagangsters und aus dem Leib einer Schwangeren. Wenig später wird diese im Hospital unter den Händen der Krankenschwester Anna (Naomi Watts) sterben, nur ihr Baby wird gerettet, und Anna macht sich auf die Suche nach den Angehörigen der Toten.

Wie A History of Violence führt David Cronenbergs Nachfolge-Werk mitten hinein in die gefährliche und seltsame Welt des organisierten Verbrechens. Anna ist seine Führerin in den Hades der "vory v zakone", der russischen Mafia in London, die ihr Geld vor allem mit Mädchenhandel und Prostitution macht. Chef der Bande ist Semyon (Armin Müller-Stahl), der hinter der Fassade seiner großväterlichen Gemütlichkeit und seines russischen Restaurants gnadenlose Brutalität und eine straffe Organisation verbirgt. Ärger macht ihm nur sein unbeständiger Sohn Kirill (Vincent Cassel), der sich gemeinsam mit seinem Freund und Fahrer Nikolai (Viggo Mortensen) zu Höherem berufen fühlt.


Vieles verbindet Nikolai mit der Figur des Tom Stall aus A History of Violence, den auch Viggo Mortensen verkörperte: Zum einen ist da sein enigmatisches Auftreten, akzentuiert durch einen schwarzen Ledermantel und eine dunkle Sonnenbrille, die nicht nur seinen Körper, sondern sein ganzes Wesen undurchschaubar machen. Im Umgang mit Anna ist er bedrohlich, aber auch ein zartfühlender Gentleman, der ihr Motorrad repariert. Zum anderen ist er wie Tom Stall aufs Überleben trainiert und besitzt eine schon fast ins Lächerliche übertriebene Effizienz beim Töten. Dies ist ein Mann, der seine Zigarette auf der eigenen Zunge ausdrückt, bevor er einem Toten mit einer Zange die Fingerkuppen abschneidet.

Die von Viggo Mortensen wunderbar ausgespielte Ambivalenz seiner Figur bildet das Herz von Tödliche Versprechen, das den Plot vorantreibt und die von mysteriösen Codes geprägte Welt der vory v zakone pulsieren lässt. Nikolai verzaubert nicht nur Kirill und Anna, sondern ein ganzes Tribunal hartgesottener Bosse, denen er seinen tätowierten Körper präsentieren muss. Die Tattoos beschreiben seinen bisherigen Lebensweg, seine Gefängnisaufenthalte und Morde, und belegen damit seine unbedingte Loyalität zur Organisation. Doch eine neue Tätowierung, die seinen neuen Status innerhalb der Organisation und damit seine Identität festschreiben soll, wird ihm kurz danach fast zum Verhängnis. In einem Dampfbad versuchen ihn zwei Killer mit Teppichmessern fertigzumachen, und selten hat man im Kino so intensiv verfolgen können, wie jemand um seine eigene Haut kämpft. In aller Stille, versteht sich.


Ähnlich wie seine Hauptfigur ist Tödliche Versprechen ein faszinierender Bastard, hinter dessen konventioneller Genre-Oberfläche eine Vielzahl unheimlicher Facetten und Überraschungen warten. Der Film ist ein spannender Thriller und eine schwarze Komödie und er beleuchtet ganz nebenbei die homoerotischen Anziehungskräfte, die in hermetischen Männerbünden entstehen, deren Mitglieder sich gern in dunkles Leder kleiden. Am Ende aber, wenn all diese Hüllen fallen gelassen worden sind, steht die Handlung nackt wie der tätowierte Nikolai vorm erstaunten Zuschauer: Es ist ein Weihnachtsmärchen!

Interview mit David Cronenberg (Oktober 2007)

Herr Cronenberg, was fasziniert Sie am Thrillergenre?

Jedenfalls nicht Kriminalität an sich, wie sie etwa Martin Scorsese in Casino darstellt. Dort zeigt er sehr detailliert, wie die Mafia arbeitet, woher das Geld kommt und wie es gewaschen wird, wie die Spieler hereingelegt werden usw. So etwas gibt es in History of Violence und Tödliche Versprechen nicht. Was mich interessiert, ist das, was jedes gute Drama ausmacht: die Charaktere und ihre Konflikte. Wenn man sich mit den Figuren und ihrem Umfeld genau genug auseinandersetzt, kommen philosophische, gesellschaftliche und Gender-Fragen ganz von allein zum Vorschein. Gehaltvoll muss ein Plot sein: Wenn man drückt, kommt eine Menge Saft raus. Das Genre ist Nebensache.

Haben Sie sich eng an die Vorlage gehalten?

Drehbuchschreiber betreiben meist nicht viel Recherche zu einem Thema, weil sie das Material gar nicht verwenden können. Ein Skript wäre 800 Seiten lang, wenn man detailliert beschreiben würde, wie die Figuren gekleidet sind und welche Farbe die Wände und Teppiche haben. Die Vorlage von Steven Knight war also wie die meisten Drehbücher sehr allgemein gehalten. Bei der Arbeit daran begannen ich und Viggo Mortensen mit eigenen Recherchen und entdeckten viele Dinge, die die Geschichte beeinflussten.


Was haben Sie verändert?

Einen starken Einfluss hatten zwei Entdeckungen von Viggo. Das Instrument von Schauspielern sind ja ihre Körper, deshalb beschäftigen sie sich intensiv mit ihren Frisuren, ihrem Make-up, mit allem, was ihr Spiel beeinflussen könnte. Als Viggo im Skript las, dass seine Figur Tätowierungen hat, fragte er sich: Wie viele sind es, wo sind sie, was stellen sie dar, warum habe ich sie? Er stieß er auf das Buch Russian Criminal Tattoo Encyclopedia von Danzig Baldaev und den Film The Mark of Cain, den seine Freundin Alix Lambert in russischen Hochsicherheitsgefängnissen gedreht hatte. Beide dokumentieren die Subkultur des Tätowierens in Russland, die in vorsowjetische Zeiten zurückreicht. Es handelt sich um ein kompliziertes System der Identifikation und der gegenseitigen Anerkennung. Man existiert dort nicht, wenn man keine Tattoos hat. Diese Erkenntnisse hatten großen Einfluss auf den Film, besonders auf zwei entscheidende Szenen, in denen Viggo sich nackt präsentiert.

Vor allem der Kampf im Dampfbad erinnert an Ihre früheren Werke, die sich intensiv mit dem menschlichen Körper befassten.

Das ist eine typische Bemerkung von Filmkritikern, die ihre eigene Arbeit mit meiner verwechseln. Während eines Drehs mache ich mir Gedanken über das Licht, die Kameraperspektiven, die Schauspieler, die Kleidung, die Ausstattung, jeden Tag muss ich Tausende von kleinen Entscheidungen treffen. Was hilft es mir in einer solchen Situation, darüber nachzudenken, ob das irgendwas mit einem Film zu tun hat, den ich vor 30 Jahren gemacht habe? Ich trage ja keine Liste mit mir herum, auf der ich Cronenbergsche Eigenschaften abhake: Body Horror, sinistre Forschungseinrichtungen, urbane Entfremdung usw.


Hat der Tod von Alexander Litwinenko den Film beeinflusst?

Ja, das war wirklich eine merkwürdige Sache. Als wir begannen, sprach niemand über die russischen Verbrechersyndikate in London. Dann, nachdem wir ein paar Wochen gedreht hatten, starb Litwinenko, und die russische Mafia war in aller Welt Thema Nummer eins. Das alles passierte ganz in der Nähe des Hotels, in dem Viggo und ich wohnten. Einen halben Block entfernt befand sich ein Haus des Milliardärs Boris Beresowski. Eines Tages gingen wir an diesem Gebäude vorbei und die Straße war voller Polizisten in Schutzanzügen. Später erfuhren wir, dass sie auch dort Polonium-Spuren entdeckt hatten. Es hat den Film nicht verändert, aber es hat, wie soll ich sagen, die Arbeit daran aufregender gemacht. (Cronenberg schneuzt sich die Nase) Mich haben sie auch erwischt!

Gab es russische Reaktionen auf den Film?

Über das Internet und durch russische Freunde haben wir erfahren, dass die russischen Kriminellen unseren Film mögen. Sie haben kein Problem damit, als Verbrecher dargestellt zu werden, aber sie wollen korrekt dargestellt werden. Ihnen gefiel die Authentizität der Tattoos und der russische Slang, bei dem wir uns viel Mühe gegeben haben.

Hier ein kleiner Ausschnitt aus Alix Lamberts Mark of Cain:

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