25 Juli 2008

Wahre und verborgene Meister

Die chinesischen Wochen bei The Wayward Cloud gehen in die zweite Runde, heute mit einem Special zu Stephen Chow und seinem komödiantischen Martial-Arts-Meisterwerk Kung Fu Hustle von 2005.

Stephen Chow (li.) und sein wächserner Meister

Über Kung Fu Hustle

Schanghai in den 40er Jahren war ein gefährliches, aber auch verdammt abwechslungsreiches Pflaster. Auf der einen Seite gab es glamouröse Clubs, Rotlichtviertel, schöne Frauen und elegante Herren in Smokings. Dies ist die Welt der Axt-Gang, die ihren Namen ihrem bevorzugten Arbeitsinstrument verdankt und nach erfolgreichen Blutbädern schon mal Tanzeinlagen à la Busby Berkeley zum Besten gibt. Auf der anderen Seite finden sich die Bewohner des Armenviertels Schweinestallgasse, die unter der Knute einer ketterauchenden Vermieterin (Yuen Qiu) und ihres duckmäuserigen Gatten fluchen, brüllen und schuften. Doch auch hier hat das Geschehen einen geheimen Rhythmus, einen Groove, einen exzessiven Charakter, etwa wenn Reissäcke mit dem Fuß in die Luft geschleudert werden.

Der Kurzschluss zwischen den beiden Welten erfolgt eines Tages durch den Glücksritter Sing (Stephen Chow) und seinen fetten Kumpel Gu, die in der Schweinestallgasse einen auf dicke Hose machen wollen und sich als Mitglieder der Axt-Gang ausgeben. Doch die Bewohner des Viertels sind für die beiden Tölpel eine Nummer zu groß – im wahrsten Sinnes des Wortes. Außerhalb der Menge, aus der sich Sing einen geeigneten Gegner herausgepicken will, erweisen sich selbst Alte und Kinder als durchtrainierte Muskelberge. Als die Situation eskaliert, ruft das die Axt-Gang auf den Plan, die ihren guten Ruf und die Kontrolle über die Stadt wiederherstellen will.

Die nun folgende Konfrontation zwischen dekadenten Stadtgimpeln und gewitztem Lumpenproletariat folgt dem Prinzip der permanenten Eskalation und Enthüllung. Für jeden Kämpfer, den die Axt-Gang ins Rennen schickt, entpuppt sich ein weiterer Viertelbewohner als Martial-Arts-Meister: Der Suppenkoch entfesselt mit seinem Nudelholz Tornados, die eiserne Faust des Schneiders spaltet Schädel mit 90 km/h. Als die beiden in einem der spektakulärsten Kämpfe des Films zwei Killern mit einer tödlichen Harfe zu unterliegen drohen, deren Klänge Gegner enthaupten können, müssen die Vermieterin und ihr Gatte ihre alten Kampftechniken entstauben: den Löwenschrei und die böse Shaolin-Technik, bei der der Gegner schwindelig getanzt wird.

Wie in vielen heutigen Actionfilmen kommt in Kung Fu Hustle bei der Eskalation der Kampfszenen der Computer zum Einsatz, doch selten wurde dabei so einfallsreich, anarchisch und witzig verfahren wie hier. Regisseur Stephen Chow, in seiner Heimat Hongkong vor allem dank seiner Komödien und seines Sprachwitzes ein beliebter Star, zieht dabei alle Register, die das Kino der bewegten Körper zu bieten hat: pure physische Action, derbster Slapstick, Tanzszenen und computeranimierter Shaolin-Wahnsinn wechseln in atemberaubendem Tempo ab. Höhepunkt dieses an Höhepunkten reichen Films ist der Kampf zwischen Sing und Killer Nummer eins, genannt das Biest. Die "Buddhas Hand"-Technik trifft auf die Kröten-Kampfkunst der Kwan-Lun-Schule, und Himmel und Erde sind danach nicht mehr, was sie vorher waren. Außerdem konnte sich Stephen Chow einen Jugendtraum erfüllen und die Muskeln seines entblößten Oberkörpers wie Bruce Lee spielen lassen. Garantiert ohne Spezialeffekte!

Interview mit Stephen Chow

Herr Chow, Sie sind ein großer Bruce-Lee-Fan. Glauben Sie, dass Bruce Lee bei Kampfszenen mit Computertechnik gearbeitet hätte?

Stephen Chow: Natürlich würde man bei Bruce Lee niemals digitale Effekte einsetzen. Er braucht das nicht, weil es an ihm nichts zu verbessern gibt. Er war und ist ein wahrer Meister. Gerade deshalb haben wir ja so viele Computererffekte eingesetzt, damit wir im Vergleich zu ihm nicht so schlecht aussehen. Wenn Bruce Lee noch am Leben und bei meinem Film dabei wäre, würde ich sämtliche digitalen Tricks nur bei mir anwenden, ich brauche das dringender.

Was genau macht Bruce Lee so einzigartig?

Leider bin ich ihm nie persönlich begegnet, was mich sehr traurig macht. Aber seit ich ihn das erste Mal auf der Leinwand gesehen habe, 1971 in dem Film Fist of Fury, war er für mich der Inbegriff eines Helden. Bei ihm gab es keinen Bruch zwischen seinem wahren Selbst und den von ihm dargestellten Figuren. Er war immer er selbst, ohne Verstellung. Das war für mich die Inspiration, selbst in die Filmbranche zu gehen – damit ich so werden konnte wie er. Es ging nicht darum, das zu tun, was er tat, sondern so zu werden, wie er war.


Viele der Darsteller in Kung Fu Hustle gehören ja noch der Generation von Bruce Lee an, wie war es, mit ihnen zu arbeiten?

Wenn man mit erfahrenen Leuten wie Yuen Wah oder Yuen Qiu arbeitet, dann braucht man eigentlich nicht mehr viel zu machen. Die wissen schon alles und brauchen meine Instruktionen gar nicht. Anders ist das bei einer jungen Schauspielerin wie Huang Sheng-yi, die das Lollipop Girl spielt. Sie kam gerade von der Schule und hatte noch keine professionellen Erfahrungen. Ihr musste ich helfen und sagen, was zu tun ist. Aber sie außerordentlich smart, und es gab keine Probleme.

War es nicht für Yuen Qiu (die Vermieterin) schwierig, nach 28 Jahren Leinwand-Abstinenz wieder vor die Kamera zu treten?

Nein. Ich kann mich noch an ihre erste Szene erinnern. Sie kommt aus ihrem Haus und muss sämtliche Bewohner des Viertels anbrüllen. Das ist eine sehr lange Szene mit viel Text, und wir mussten sie ungefähr 20-mal drehen. Das war ihr Aufwärmtraining, und danach war sie in hervorragender Form. Sie ist erstaunlich, auch wenn man bedenkt, dass sie für die Rolle in zwei Monaten 30 Pfund zunehmen musste. Sie sollte so aussehen wie die Vermieterin, die ich in Erinnerung habe.

Ist Kung Fu Hustle autobiografisch?

Ja, ich wollte Orte und Figuren Erinnerungen an meine Kindheit in Hongkong nachempfinden. Menschen wie dem Vermieter und der Vermieterin bin ich tatsächlich begegnet, und das Kung-Fu-Buch, das der kleine Junge für zehn Dollar kauft, habe ich selbst einmal besessen. Auch ich habe mal versucht, mir Kung Fu nach den Anleitungen eines solchen Heftchens selbst beizubringen. Diese Nostalgie war eine der Haupt-Inspirationsquellen für den Film, ich vermisse alle diese Dinge und würde sie gerne noch mal geschehen lassen.

Gibt es etwas, was sie an zeitgenössischen Martial-Arts-Filmen vermissen und selbst auf die Leinwand bringen wollten?

Mir ging es um spirituellen Kern von Kung Fu, also Mut, Entschlossenheit und Selbstvervollkommnung.

Ist Kung Fu heute nicht nur ein Entertainment-Phänomen?

Tatsächlich spielt es heute keine große Rolle mehr in China und Hongkong. In Hongkong gibt es zum Beispiel keine einzige Martial-Arts-Schule mehr, früher fand man sie überall. Heute gibt es nur noch Fitness-Studios und Thai-Boxing-Arenen. Darum ist es für mich wichtig, die Menschen an die Kunst des traditionellen Kung Fu zu erinnern. Auch wenn vieles davon heute nur noch als Entertainment benutzt wird, man kann es immer noch in echten Kämpfen einsetzen.

Haben Sie eine bevorzugte Kampftechnik?

Ich habe Wing Chun gelernt, eine Technik, die hauptsächlich zum Kämpfen benutzt wird. Es sieht ein bisschen langweilig und nicht sehr spekatulär aus – ist aber sehr wirkungsvoll.

Warum sind in Shaolin Soccer und Kung Fu Hustle die wahren Meister immer arme, heruntergekommene Typen, die vollkommen harmlos aussehen?

Eines der wichtigsten Themen in beiden Filmen ist für mich das Motiv des "verborgenen Meisters". Natürlich geht es auch um soziale Gegensätze und klassische Erzählmuster, in denen der Held von der Gosse zum Himmel aufsteigt. Aber es ist eine meiner grundlegenden Überzeugungen, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren einschätzen kann. Auch in dem Block, in dem ich aufwuchs, gab es einen solchen verborgenen Meister. Es war ein betagter Mann, den ich "alter Onkel" nannte und nie viel beachtet hatte. Eines Tages stellte sich heraus, dass er ein großer Kung-Fu-Meister ist. Solche Leute haben es gar nicht nötig zu verkünden, wie großartig sie sind. Deshalb wollte ich auch viele der alten Schauspieler wieder vor die Kamera kriegen. Wenn man sie sich so anschaut, würde man nie glauben, was sie alles draufhaben.

1 Kommentar:

Yin-und-Yang hat gesagt…

In den Kungfu-Filmen steckt immer auch ein Körnchen Wahrheit, wenn sie auch noch so phantastisch sind.