26 März 2009

Der Monsterking

Willkommen zum großen Monster-Wochenende mit Jörg Buttgereit! Los geht es am Samstag, den 28. März, um 20 Uhr im Berliner HAU 2 (Hallesches Ufer 32) mit Rough Cuts – Buttgereits Filmlektionen im HAU, Part 1: Monster (mehr dazu unten). Am Sonntag, dem 29. März, läuft dann ab 22.25 Uhr auf Arte Buttgereits neue Dokumentation Monsterland.


The Wayward Cloud hat sich mit Jörg Buttgereit über analoge und digitale, neue und alte Monster unterhalten (mit zwei Einwürfen von Thilo Gosejohann).

The Wayward Cloud: Hattest du einen festen Begriff von Monstern, bevor du mit der Arbeit an Monsterland begonnen hast?

Jörg Buttgereit: Mir ging es darum, sämtliche Monster vorzustellen, die mich in meinem Leben beeindruckt haben. Ich bin also weniger von einer festen Definition ausgegangen als von eigenen Erinnerungen und Vorlieben. Danach habe ich auch die Gesprächspartner ausgewählt, wobei einige der älteren Produktionen leider außen vor bleiben mussten. Ich hätte gerne mit jemandem gesprochen, der noch an King Kong von 1933 mitgewirkt hat, aber von der Crew ist niemand mehr am Leben. Das Filmmaterial aus dem Original ist übrigens auch viel teurer als das vom Remake von 2005, weshalb jetzt daraus eine Szene in Monsterland zu sehen ist. Mit Peter Jackson hätte ich auch gern gesprochen, aber der ist bis 2011 ausgebucht.

WC: Monsterland wirkt wie ein Requiem auf eine Zeit, als Monster noch von Hand gemacht wurden.

JB: Das stimmt, der Charme der Monster, die ich liebe, besteht darin, dass sie so künstlich und zusammengesetzt wirken, aber trotzdem eine Seele haben. Wenn die Japaner in ihre Godzilla-Kostüme schlüpfen, verleihen sie der Kreatur etwas Menschliches, mit dem man sich identifizieren kann. Das ist etwas, das durch die irgendwie noch immer seelenlose Computertechnologie zunehmend verloren geht. Kim Newman sagt ja auch an einer Stelle des Films, dass Monster eine vom Aussterben bedrohte Gattung sind.

WC: Deine Gesprächspartner kommen aus Japan und den USA. Welche Unterschiede gibt es zwischen östlichen und westlichen Monstern?

JB: Zuerst einmal muss man feststellen, dass es eine große Gemeinsamkeit gibt: In beiden Ländern waren die Monster meist Ausdruck realer Traumata oder Ängste, die durch diese Figuren verarbeitet wurden. Das lässt sich am besten an Godzilla erkennen, der ja, wie Joe Dante an einer Stelle anmerkt, die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki in fast schon allzu deutlicher Weise verkörpert. Für die USA lassen sich zum Beispiel die vielen mutierten Riesen-Insekten, die in den 1950er Jahren die Leinwände heimsuchten, als Verkörperungen der Angst vor einer kommunistischen Unterwanderung und Invasion sehen. In beiden Fällen ging es darum, die Angst in einem Wesen sichtbar zu machen und sie dadurch kontrollieren zu können. Der Unterschied zwischen Japan und den USA besteht vor allem darin, dass in Japan die Monster viel beliebter sind und schließlich zu Stars des Publikums werden. An Godzilla lässt sich sehr schön erkennen, wie aus einem fremden, zerstörerischen Feind im Laufe der Jahre schließlich ein Freund der Japaner wurde, eine Art Superheld, der das Land vor schlimmeren Gegnern bewahrte. Alle Japaner lieben Godzilla.

WC: Warum gibt es in Deutschland keine brauchbaren Monster?

JB: Deutschland hatte ja früher eine große Monster-Tradition, man denke nur an den Golem oder an die Horrorfilme der Stummfilmzeit. Das Problem ist, dass die meisten Künstler, die diese Tradition hätten fortführen können, zum Beispiel Karl Freund, Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, in den frühen 30er Jahren in die USA emigriert sind. Nach dem Krieg haben diese Leute gefehlt, es gab niemanden, der den Deutschen ihr dringend benötigtes Monster vorsetzen konnte. Der Bedarf an Grauen war für dieses Land wohl auch erst mal gedeckt. Aber die Auseinandersetzung mit den Nazi-Gräueln hätte vielleicht früher beginnen und anders verlaufen können, wenn wir ein eigenes Monster gehabt hätten das sich für uns mit unseren Ängsten auseinandersetzt.

WC: Mit welchem Monster ließe sich das deutsche Grauen verarbeiten?

JB: Im Grunde habe ich genau so ein Monster für Captain Berlin versus Hitler geschaffen. Adolf Hitler is back! Das ist das größte deutsche Monster. Die Amerikaner haben das schon in den 40er Jahren entdeckt und Hitler als Superbösewicht in Comics dargestellt.

WC: Ist Captain Berlin nicht auch ein Monster?

JB: Superhelden sind die moralische Instanz, die die Monster in Schach halten und die bösen Geister bezwingen können. Captain America ist ja nur erfunden worden, um Hitler zu verprügeln, und wir haben jetzt den deutschen Superhelden dazuerfunden. Aber der Urtyp eines Monsters steckt da auch schon drin.

Thilo Gosejohann: Wobei Captain Berlin ja keine Superkräfte hat. Im Gegenteil, kaum taucht er auf, kriegt er auf die Fresse und liegt auf dem Boden.

JB: Das liegt aber eher an unserem Unvermögen. Wenn wir Herrn Eichinger für Der Untergang 2 gewonnen hätten, könnte Captain Berlin vielleicht sogar fliegen.

Gutes gegen böses Monster: Captain Berlin versus Hitler

WC: In Monsterland kommen nur Männer zu Wort. Sind Frauen nicht von Monstern fasziniert?

JB: Ich habe überlegt, ob es Frauen gibt, die Monsterfilme gemacht haben, aber die gibt es kaum. Die Einzige, die sich zumindest ein bisschen im Genre getummelt hat, war Kathryn Bigelow, die damals mit James Cameron zusammen war. Aber Near Dark ist ja eigentlich kein Monster-, sondern ein Vampirfilm. Bei der Pressevorführung in Berlin kam hinterher auch eine Dame auf mich zu und fragte: „Warum sind denn da keine Frauen drin?“ Ich hab’ halt keine gefunden. Aber das ist okay, denn wie man ja auch bei der Convention G-Fest in Chicago sieht, sind Monster ein Nerd-Thema. Das ist einfach zu bescheuert, zu verspielt. Für das Thema wird man ja meistens in seiner Jugend begeistert, und da haben Mädchen einfach nicht diese Lust daran, ihre eigenen Grenzen auszuloten. Das ist die Ausnahme. Monika M., die Hauptdarstellerin aus Nekromantik 2, haben wir angesprochen, weil sie als einzige Frau in einem Fulci-Film saß. Wir dachten, ok, da ist was faul.

TG: Es stimmt ja auch nicht, dass Frauen nicht gerne Horrorfilme sehen. Sie drehen zwar selbst keine, aber mitgucken tun sie schon gern, wobei sie viel wegsehen.

WC: Ich habe auch oft den Eindruck, dass Frauen weniger die Gewalt abschreckt als die Künstlichkeit und Redundanz vieler Genres. Godzilla-Filme sind sich in ihrem Grundgehalt ja immer sehr ähnlich, aber die männlichen Nerds lieben es, die kleinen Differenzen zu registrieren.

JB: Godzilla ist natürlich auch eine prima Identifikationsfigur. Als Jugendlicher fühlt man sich ja genauso missverstanden und hat das gleiche Größenverhältnis zu seinen Spielzeugsoldaten. Godzilla ist für Jungs ein Role Model. Das gilt für viele Monster, die werden auch nicht verstanden von ihrer Umwelt.

WC: Welche Erklärung hast du damals deinen Eltern für deine Monsterlust gegeben?

JB: Die haben mich nie nach einer gefragt. Im Gegenteil, mein Vater war ein richtiger TV-Junkie, der sich gefreut hat, wenn ich mitgeguckt habe. Schon als ich vier war, hat er mich nachts geweckt, wenn King Kong oder Frankenstein im Fernsehen kam. Damals war das ja noch eine Seltenheit, dass solche Filme im TV ausgestahlt wurden. Wir haben uns die dann gemeinsam angesehen.

WC: Haben deine Eltern die Nekromantik-Filme gesehen?

JB: Ja, das hat aber auch keine große Reaktion gegeben. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater aus dem Kino kam und sagte, was er immer nach Filmen sagte: „War janz jut.“ Später hat er die Videokassette von Nekromantik an seine Kumpels verliehen. Die haben das wegkonsumiert wie jeden anderen Film auch.

WC: Warum haben wir Mitleid mit Monstern?

JB: Das liegt daran, dass sie uns letztlich so ähnlich sind. Sie sind allein, so wie wir uns häufig fühlen, sie sind unverstanden und verstoßen, und meistens gibt es etwas, was sie haben wollen: Fleisch, Blut, eine weiße Frau. Die damit einhergehende Einsamkeit können wir ebensogut nachvollziehen wie die daraus resultierende Lust, zurückzuschlagen.

WC: Wie erschafft man ein Monster?

JB: Monster haben immer etwas mit gesellschaftlichen Ängsten zu tun, das ist ein guter Ausgangspunkt für das Erschaffen eines neuen. So viel grundsätzlich neuartige schreckliche Sachen passieren ja aber nicht, dass man ständig neue Monster kreieren müsste. Ich habe mich lange gefragt, wann denn endlich die 9/11-Aufarbeitung stattfindet. In den letzten Jahren sind die ersten in diese Richtung gehenden Monster entstanden. Der Joker aus Christopher Nolans The Dark Knight verkörpert für mich den Terroristen als ein vollkommen irrationales Wesen, das überall und nirgends zugleich ist. Den Event selbst, den Angriff auf New York, stellt Cloverfield dar, in dem das weitgehend unsichtbare Monster die Symbole der Stadt zerstört. Wenn der Kopf der Freiheitsstatue durch die Gegend fliegt, erinnert das stark an das Zusammenbrechen der Zwillingstürme. Hier stürzen Wahrzeichen und mit ihnen der amerikanische Traum in sich zusammen.

Ein Monster für das 21. Jahrhundert?
Der Joker aus Cristopher Nolans The Dark Knight


WC: Das Spannende an solchen Filmen ist auch, dass in ihnen nicht nur die Angst vor der Zerstörung, sondern auch die Lust daran zum Ausdruck kommt.

JB: Aber das dauert immer eine Weile. Ich erinnere mich an lange Diskussionen und ein Interview mit J. D. Lees, dem Herausgeber der Godzilla-Fan-Zeitschrift G-Fan, das kurz nach dem 11. September 2001 erschien. Es ging um die Frage, ob man überhaupt noch Godzilla-Filme gucken dürfe, weil da ständig Wolkenkratzer zerstört werden. Diese Unsicherheit hat sehr lange angehalten.

WC: Joe Coleman sagt am Ende von Monsterland: „Die Meister des Horrors haben am meisten Angst. Wir wären nicht so besessen, wenn wir uns nicht vor Angst in die Hose scheißen würden.“ Trifft das auch auf dich zu?

JB: Ja, klar. Man beschäftigt sich mit diesen Dingen, weil man Angst vor ihnen hat. Hinter allem steckt die Furcht vor dem Tod. Wenn man damit nicht fertig wird, muss man einen Umgang damit finden und sich irgendwie darauf vorbereiten. Monster sind dafür ideal.

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Samstag, 28. März, 20 Uhr im HAU 2, Berlin: Rough Cuts – Buttgereits Filmlektionen im HAU, Part 1: Monster
Pressetext: In der Serie Rough Cuts nimmt Jörg Buttgereit sich Ikonen populärer Filmgenres vor, um sie in einmaligen Kurz-Inszenierungen thematisch zuzuspitzen. Monster sind das Rohmaterial des ersten Abends. Denn die klassischen Monster haben im neuen Jahrtausend angesichts neuer Bedrohungen ihren Schrecken verloren. Der Abend beschwört den berechenbaren Grusel der alten Creature-Features. Buttgereit zeigt monströse Kurzfilme, die er vor 25 Jahren gedreht hat. Nach einleitenden Worten von Dr. Julie Miess zur neuen Generation von Monsterheldinnen wird sich Adolfo Assor vor den Augen der Zuschauer in ein Monster verwandeln und Tote zum Leben erwecken. Die Inszenierung wird live vertont von Andrè Abshagen und Monika M. Im Anschluss laden DJ Buttgereit und VJ Mr. Target zur Monster-Lounge ins Foyer.

Sonntag, 29. März, 22.25 Uhr, Arte: Monsterland
Wiederholungen: 3. April um 0.55 Uhr und 9. April um 0.35 Uhr

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