25 Januar 2009

Blaxploitation-Jingles

Oder: Wie das Radio für Trashfilme warb

Gerade höre ich auf Byte.fm Klaus Walters wunderbare (lies: die Welt zu einem schöneren Ort machende) Sendung Was ist Musik. Es läuft Why (The King of Love Is Dead) von Nina Simone, und es ist schwierig, gleichzeitig etwas Vernünftiges aufzuschreiben. Vielleicht wird docfish ja eines Tages über diesen Song schreiben, hier auf The Wayward Cloud, wo er ab sofort über schwarze Populärkultur in Ton und Bild und vielleicht auch etwas zur Synchronisationskunst von Rainer Brandt schreiben wird. Den Anfang macht seine Serie von und über Radio Commercials für Blaxploitation-Filme der 70er Jahre, die durch göttliche Fügung in seine Hände gelangt sind. Stop, look and listen!

Willkommen docfish!

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In den 90er Jahren fuhr ich regelmäßig mit einem Freund in die USA, um Schallplatten zu kaufen. Genauer gesagt, Soul & Funk 45s hatten es uns angetan. Wir klapperten Städte im Mietwagen ab und fragten uns durch, bis wir Privatpersonen oder Plattenläden gefunden hatten, die uns das Zeug verkauften, und schwer beladen fuhren wir nach ein paar Wochen wieder nach Hause. Unseren vielleicht größten Fund hatten wir in Jackson im Bundesstaat Mississippi. Nachdem wir dem freundlichen Ehepaar, das einen Afroshop betrieb, erklärten, dass wir das Auto nicht, wie sie annahmen, im Flugzeug mitgenommen, sondern gemietet hatten, gaben sie uns den Tipp: "Ein paar Blocks weiter ist ein Plattenladen."

Wir also hin, ein großer bärtiger Mann saß gelangweilt hinterm Tresen. Wir fragten nach 45s, er darauf: "Wie viel wollt Ihr kaufen?" Wir: "So viele wie möglich." Daraufhin schmiss er drei Jungs aus dem Laden, schloss ab und forderte uns auf, ihm zu folgen. Hinter seinem Pick-up-Truck rasten wir durch die Stadt und endeten in einer düsteren Gegend vor einem Gebäude, das aussah wie eine Turnhalle. Natodraht war um den Eingang gewickelt, und Mr. James Bennett, unser Gönner, schloss die Tür auf und bog den gestachelten Einbruchsschutz zur Seite. Drinnen sah es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen war. Dreck, Papierkram und Schallplatten – in unvorstellbaren Mengen.

Mr. Bennett, so stellte sich raus, war der "Record-Man" von Jackson. Er war Radio-DJ, Plattenhändler, Konzertveranstalter, Tonstudiobesitzer, Produzent und schlussendlich der Mann, an dem man nicht vorbeikam, wenn man im tiefen Süden der USA eine Platte aufnehmen, promoten oder verkaufen wollte. Sein ehemaliger Laden war seit zehn Jahren zu, er hatte einen Vertrieb für Schallplatten aufgebaut, der mit dem Laden Pleite ging. Und jetzt war alles zu verkaufen, jede Platte einen Dollar, und davon gab es zirka eine Million! Mr. Bennett sagte uns, er hätte noch was zu tun und würde uns am Abend wieder abholen, und wir begannen uns mit einem batteriebetriebenem Plattenspieler durch die Massen der Platten zu hören. Alles, was uns gefiel, landete in einem Karton. Insgesamt verbrachten wir zwei Tage in dem Loch, und am zweiten Tag fand ich eine Kiste mit Tonbändern, allesamt beschriftet mit merkwürdigen Titeln wie Three the Hard Way oder Ghetto Warriors. Kurzum, ich habe diese Bänder gekauft und zurück in Hamburg angehört. Es handelte sich um Radio-Jingles, um Filme zu bewerben, die in lokalen Bahnhofskinos liefen: Blaxploitation-Filme!

Hollywood bestimmte in den 60er Jahren die mediale Präsenz afroamerikanischer Schauspieler. Sidney Poitier war der einzige Schwarze, der sich mit Hauptrollen als Star etablieren konnte. Er schuf mit seinen Rollen einen neuen Stereotyp mit alten Wurzeln, den des "schwarzen Heiligen", der dem weißen Mann half, seine Probleme zu lösen, um mit einem Schulterklopfen und dem Aufstieg in die Mittelschicht entlohnt zu werden.

Mit dem netten, hilfsbereiten und devoten Neger sollte es bald vorbei sein, als 1971 Melvin Van Peebles als Regisseur, Drehbuchschreiber, Darsteller und Soundtrack-Komponist Sweet Sweetback’s Baadasssss Song als komplette Independent-Produktion herausbrachte. Sweetback wird als rammelnder Superlover eingeführt, der sich vor einer Ansammlung Farbiger, aber eben auch libertärer Weißer vorführen lässt. Als er später auf die Hells Angels trifft, fickt er sich sprichwörtlich in die Freiheit. Radikalisiert wird er durch einen von Polizisten vermöbelten schwarzen Revolutionär, und nach einer langen Flucht vor seinen Peinigern verendet er eben nicht wie die auf ihn gehetzten Hunde in der Wüste, sondern es gelingt ihm über eine Bergkette nach Mexiko zu entkommen. Ein bis dahin undenkbares Filmende für einen farbigen Protagonisten und die endgültige Redefinition des afroamerikanischen Hollywood-Charakters. Der Film endet mit der Proklamation "a badasssss nigger is coming back to collect some dues", das darf man durchaus als Ankündigung für die folgende Welle der Blaxploitation-Filme verstehen.

Die beiden Filme, die den Erfolg von Sweetback konsolidieren sollten waren Shaft (1971) und Superfly (1972). Der Privatdetektiv Shaft war eine Art One-Man-Army, der James Bond für die schwarzen Kids. Superflys Youngblood Priest war dagegen ein Drogendealer, ein Pusher, der sich in den Straßen behauptete, um zu überleben. Youngblood Priest geht als Sieger gegen den weißen Mob hervor und kommt mit heiler Haut, einem Haufen Dollars und seiner Freundin davon, wärend Shaft sich als Großmaul und omnipotenter Lover gegen weiße Cops und korrupte Bandenbosse durchsetzt. Beide Filme sind eher im Gedächtnis geblieben wegen des Jive-Talks ihrer Protagonisten, der Sex-, Gewalt- und Actionszenen und wegen ihrer famosen Soundtracks von Curtis Mayfield bzw. Isaac Hayes. Nichtsdestoweniger waren es Kassenerfolge, und Hollywood legte nach.

"Blaxploitation" nannte man das Baby, und es folgte eine Reihe höchst amüsanter und obskurer Filme, die alle low budget und mit meist hanebüchenen Storys produziert wurden. Es gab den Black Western wie Boss Nigger (Untertitel: "He’s Black, He’s Brutal, He’s Boss"), eine Adaption der Sandalenfilme mit The Arena mit Pam Grier als weibliche Gladiatorin und schwarze Horrorfilme wie Blacula oder Blackenstein. Das Genre hatte seinen eigenen Kung-Fu-Helden mit Jim Kelly, der mit Enter the Dragon an der Seite von Bruce Lee bekannt wurde und schließlich seine Hauptrolle als Black Belt Jones erhielt. Ansonsten mussten sich die Protagonisten gegen Motorradbanden, korrupte Politiker, bösartige Polizisten und gegen die Mafia durchsetzen, alles begleitet von Soulmusik, Sex, Verfolgungsjagden und Schlägereien. Die Filme hielten, was die Titel versprachen: Three the Hard Way, Gordon’s War, The Black Gestapo, Hit Man, T.N.T. Jackson, Black Samurai usw.

Die beiden Ex-Football-Spieler Jim Brown and Fred "The Hammer" Williamson wurden Stars des Genres, genau wie die von Quentin Tarantino wieder entdeckte Pam Grier, die ihre erste Filmrolle übrigens in Russ Meyers Valley of the Dolls als Tänzerin hatte. In Foxy Brown (1974) spielt Grier einen bis an die Zähne bewaffneten Racheengel. Als ihr Freund von einer Drogendealerbande getötet wird, macht sie Hackfleisch aus den Mördern. Sie präsentiert sich als Nutte, um in die Dealer-Kreise zu kommen, dort angekommen wird sie gekidnappt, kratzt einem der Entführer die Augen aus, den anderen zündet sie einfach an, schließlich kastriert sie einen Dealer und präsentiert den abgetrennten Schwanz der Freundin des Dealers. Eine vergleichbar toughe Lady in der Geschichte des Kinos gibt höchstens noch Tura Satana ab.

Griers Bruder, der geniale Antonio Fargas (der später als Huggy Bear in Starsky & Hutch berühmt werden sollte) hält in dem Film eine von James Baldwin adaptierte Rede über das "Schwarzsein in Amerika", die, wenn ich mich recht erinnere, in der deutschen Fassung fehlt. Die ist dafür unglaublich komisch, wofür sich das geniale Synchronisationsbüro Rainer Brandt verantwortlich zeigt. (Als ein Paar sich anschickt, Sex zu haben, wird das mit "Na dann, Wasser Marsch" und "Trübsal ist nicht alles, was geblasen werden kann" kommentiert!) Ansonsten wird in dem Film munter Kokain geschnupft, lesbische Sexszenen fehlen auch nicht, Trash as trash can – einfach großes unterhaltsames Kino.

Noch zu erwähnen ist auf jeden Fall Rudy Ray Moore in seiner Rolle als Dolemite, der im echten Leben ein Priester war und seine Filme damit rechtfertigte, dass er ja auch leben muss. Sein Einfluss auf Richard Pryor, Eddie Murphy und Rappern wie Ice-T ist nicht hoch genug einzuschätzen. Seine Leibgarde im Film besteht aus einer in knappen Bikinis gekleideten Frauenarmee, die alles über den Haufen schießt, während er in Reimform Gags und mythisches Gebrabbel zum Besten gibt. Und wer die Filme nicht nach den Kriterien des Trash-B-Films beurteilen mag und nach Ernsthaftigkeit sucht, dem sei Across 110th Street empfohlen, in dem ein Kleingangster (Antonio Fargas) vergeblich den großen Coup versucht, um aus dem Ghetto zu kommen. Tarrantino hat die Eingangsszene in Jackie Brown adaptiert und den Bobby-Womack-Soundtrack gleich mit übernommen.

Der Blaxploitation-Film hatte als Genre nur eine kurze Lebensdauer, 1975/76 war der Zauber schon wieder vorbei. Die alten rassistischen Stereotypen waren durch neue ersetzt worden; das schwarze Publikum war es leid, nur Zuhälter, Drogendealer, Brutalo-Detektive oder Hot Pants tragende Killerbräute zu bestaunen. Genauso wie damals, als bei Sweet Sweetback die Kinos gestürmt wurden, blieb das Publikum jetzt fern. Der Blaxploitation-Boom war vorbei. Es war der eingangs erwähnte Melvin Van Peebles, der den Wunsch äußerte, dass das weiße Publikum das afroamerikanische Kino doch genauso betrachten solle wie den japanischen Film oder den italienischen. In diesem Sinne, viel Spaß mit meinen, inzwischen digitalisierten, Jingle-Schätzchen, die ich hier in wöchentlichen Abständen vorstellen werde. Beginnen werde ich – three is the magic number – mit dem eingangs schon erwähnten Three the Hard Way.










Die Handlung von Three The Hard Way ist schnell erzählt: Eine Gruppe von Neonazis wollen mit Hilfe eines ominösen Serums die schwarze Bevölkerung der USA auslöschen, aber sie haben die Rechnung ohne Jim Brown, Fred Williamson und Jim Kelly gemacht. Für den fantastischen Soundtrack wurden The Impressions engagiert, der Titelsong wirkt in dem Radio-Commercial wie eine Verheißung auf ein actiongeladenes Kinoerlebnis – und genau das ist der Streifen!

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Teil 2: Shaft In Africa












Shafts Aufgabe im dritten und letzten Shaft-Streifen: Er soll einer in Afrika operierenden Bande das Handwerk legen, die Immigranten nach Europa schleust und dort als Arbeitssklaven ausbeutet. "Brotherman in the Motherland" lautete der Untertitel, und da Repatriierungs-Visionen und afrofolkloristisches Brimborium bei schwarzen Amerikanern gerade en vogue waren, konnte auch Shaft in Africa als Erfolg verbucht werden, auch wenn der Film eher unter der Rubrik "kann man sehen, muss man aber nicht" einzustufen ist. Ohne Großstadtkulisse wirkt das Genre doch eher zahnlos. Besser als der Film ist eindeutig der Jingle! Nicht nur, dass die Four Tops mit ihrem majestätischen Are You Man Enough die musikalische Stoßrichtung vorgeben, nein, die letzte Zeile des Commercials hat es mir angetan: "If you don’t take your Mama, some other Dude will!" So will man Werbung hören, mit einer Drohung! Nix da mit unser Produkt ist billig und gut; wer diesen Film verpasst, ist seine Freundin los! Vorgetragen von der coolsten Stimme der Welt.

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Teil 3 der Serie: Darktown Strutters










Darktown Strutters schlägt dem Fass den Boden aus! Man muss den Film sehen, um den Wahnsinn, der sich von der ersten bis zur letzten Minute zwischen Slapstick, Musical, Parodie und Krimi verbreitet, zu glauben. Als die Mutter von Syreena (Tina Parks) verschwindet, macht sie sich mit ihrer All-Girl-Biker-Gang auf, um die alte Dame zu finden. Ku-Klux-Klan-Rassisten und bis zur kompletten Vertrottelung dargestellte Cops stellen sich ihr in den Weg. Selbstredend werden alle Gegner nach Strich und Faden vermöbelt und lächerlich gemacht. Als Treffpunkt der Gang dient das BBQ-Restaurant "Hog Heaven", dessen Besitzer sich, in seiner Funktion als Vorsitzender seiner Organisation "Louisville Cross", als Förderer der Black Community in Watts/L.A. ausgibt. Doch der Schweinerippchen und Soul-Food verkaufende Gastronom ist der Bösewicht, der nach dem Zufallsprinzip Afroamerikaner kidnappt, um sie in einer "Negro Making Machine" zu klonen und noch mehr Kunden für seine Restaurantkette zu gewinnen! Im Showdown stürmen die völlig überkandidelten Ghettobewohner die Villa des Schurken, und in einer der abgedrehtesten Schlägereien der Filmgeschichte wird Mama befreit und der teuflische Gastronom selbst geklont.

Der 1975 von Western- und Actionfilm-Veteran William Witney gedrehte Film markiert das herannahende Ende der Blaxploitation-Aera (aber nicht das Ende der Blaxploitation-Serie auf Wayward Cloud – wer sagt denn, dass wir hier chronologisch vorgehen müssen?). In seiner immer haarscharf am Klamauk vorbeischliddernden Erzählweise ist der Streifen das Äquivalent zu Peter Jacksons Braindead, der dem Splatter-Genre liebevoll das Lebenslicht ausblies. In Darktown Strutters wird alles parodiert, was stilbildend für das Genre war: Kung-Fu, Sex, Drogendealer, Pimps, korrupte Cops, Verschwörungstheorien und weiße Kapitalisten. Dazu hat der Film eine wunderschöne Austattung: Die Kostüme wurden offensichtlich im psychedelischen Delirium entworfen und sind irgendwo zwischen Disco-Chic und Sun-Ra anzusiedeln; die Motorräder müssen von Mechanikern auf LSD erbaut worden sein, und die Negro Making Machine könnte gut aus einer Bastelstunde sozial auffälliger Kleinkinder stammen. Türen gehen in dem Film nur deshalb auf, damit sie jemand an den Kopf geknallt bekommt, und Fenster haben die Funktion, jemanden hindurchzuschmeißen. In Darktown Strutters ist alles komplett im roten Bereich, durchgedreht und am Limit – und das mit einem Budget, das nicht mal eine kurze Dialogszene aus einem aktuellen Kinofilm finanzieren könnte.

Für Soulfans: Die Dramatics haben einen Auftritt als Gefangene von Louisville Cross und singen What You See Is What You Get, den Song, der auch dem Radio-Jingle für diese Woche etwas für mich Unwiderstehliches verleiht. In leider eher mittelmäßiger Qualität ist der Film hier auf Wayward Cloud zu sehen. 90 Minuten anarchistischer Irrsinn – viel Spaß!

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