Die Martial-Arts-Filme aus Hongkong, die von den späten 60ern bis in die frühen 80er den asiatischen Kinomarkt beherrschten, bilden heutzutage den mannigfaltigsten Genre-Korpus, den die Filmgeschichte zu bieten hat. Die Fülle an Formen, Figuren und Fabeln, die Firmen wie Golden Harvest und die Shaw Brothers damals am Fließband herausbrachten, verdankt sich zum einen eines streng arbeitsteiligen Produktionsprozesses, zum anderen dem Talent der Mitarbeiter, seien es Schauspielstars wie Ti Lung, Jimmy Wang Yu, David Chiang und Bruce Lee oder bekannte Regisseure wie King Hu und Chang Cheh.
Doch auch im Schatten großer Namen blühte damals ein cineastisches Schlaraffenland, in dem die Suche nach Handschriften ebenso überflüssig ist wie die Herleitung lateinischer Gattungsbezeichnungen in einem Schmetterlingsgarten. Wie hat es doch der Kölner Regisseur und Filmkritiker Rainer Knepperges so schön auf den Punkt gebracht: "Die Parole der Autorenschaft ist wie ein hilfloses Sich-Bekreuzigen vor der unüberschaubaren Zahl der Produktionen. Die muss selbst dem fleißigsten Filmkritiker ein Graus sein – dem wollüstigen Zuschauer hingegen ist sie das Paradies, ein verwachsener Irrgarten voller Rätsel."
Anlass dieser eleganten Verweigerung war Das unbesiegbare Schwert der Shaolin (1977) von Chu Yuan. Tatsächlich spottet dieser Film, der um die Enthüllung der Identität des mysteriösen Banditen Mei Hu kreist, jedem Versuch einer Nacherzählung. Fast jede der Dutzende von mit magischen Fähigkeiten begabten Figuren kommt infrage, die der von Ti Lung gespielte Held mal retten, mal töten muss, nicht ohne dabei selbst in Verdacht zu geraten. Hier ist nichts, wie es scheint, alles ist im permanenten Wandel und Werden begriffen, auf nichts ist Verlass, sondern muss erst im Kampf für kurze Zeit stillgestellt werden. Und da allen Figuren auch noch jeweils eine Farbe zugeordnet ist, schillern die wunderbaren Studiokulissen in allen Schattierungen des Regenbogens.
Auch in den Filmen von King Hu verlaufen die Konfrontationen nicht geradlinig, Freund und Feind geben sich einander und dem Zuschauer erst nach vielen Finten und Ausweichmanövern preis. Kung Fu ist bei ihm nicht die plumpe Zurschaustellung trainierter Körperfertigkeiten, sondern hat mehr mit der Kunst des Zauberers und des Jongleurs zu tun: verbergen, enthüllen, ablenken, aufpassen, dass kein Ball auf den Boden fällt. In einem King-Hu-Film ist alles Kung Fu, es offenbart sich in der Eleganz der Bewegungen, der Präzison, mit der in seinen berühmten Gasthaus-Szenen Gäste bedient und Tische gedeckt werden, der Genauigkeit, mit der jeder den anderen taxiert. Und wie bei Stephen Chow ist jede Figur, egal welchen Standes oder welchen Geschlechts, potenziell ein verborgener Meister.
Ein sehr schönes Beipiel für die von King Hu perfektionierte Ästhetik des Aufschubs ist der vor Kurzem auf DVD erschienene Der letzte Kampf des Lee Khan von 1973. In der in der Wüste gelegenen Herberge, in der fast die gesamte Handlung des Films spielt, ist niemand der, als der er sich ausgibt. Ob Gäste, Kellnerinnen, Buchhalter, Betrunkene, Sänger, Spieler oder die Besitzerin Madame Wendy, hier hat jeder etwas vorm anderen zu verbergen: Kampfkünste, dunkle Geheimnisse, Identitäten. Schließlich herrscht Krieg in China, zwischen den mongolischen Invasoren unter der Führung des Fürsten Lee Khan und den Rebellen von General Zhu, und in der Herberge soll eine gestohlene Karte übergeben werden, die den Kampf entscheiden könnte.
Doch der Kampf beginnt bei Hu nicht mit geballten Fäusten und entblößten Brüsten, sondern schon viel früher, bei den Blicken und Bewegungen, mit denen sich die Figuren taxieren und positionieren, mit geschickten Finten, Ablenkungen und Verzögerungen, die zugleich für Komik und für Spannung sorgen. Jeder Schnitt, jede Kamerabewegung vermittelt neue Perspektiven auf das komplizierte, aber immer klare Geschehen, in das die meist schwerelosen Kampfszenen, in denen die Figuren über Tische und Geländer fliegen, nahtlos eingebettet sind. Den Männerfiguren stehen ebenbürtige Frauen gegenüber, wie überhaupt King Hus Filme sich durch eine radikal egalitäre Grundhaltung auszeichnen.
Der letzte Kampf des Lee Khan ist Teil einer trotz des Fehlens von Bonusmaterial unbedingt zu empfehlenden "King Hu Collection", bei der auch schon der Director’s Cut seines poetischen Meisterwerks Ein Hauch von Zen (1969) erschienen ist. Diese Fassung, die erst 1975 bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt wurde und dort mit dem Großen Technik-Preis ausgezeichnet wurde, ist am Montag, den 4. August, ab 21 Uhr auf Arte zu sehen. Die Mutter aller Bambuswald-Kämpfe sollte man auf keinen Fall verpassen!
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