14 Dezember 2009

Perlen des Glücks

Desire und History Is Made at Night: zwei Frank-Borzage-Komödien der Masken – über die Unfähigkeit der Männer, die Oberfläche zu ignorieren

Ein Beitrag von Carmenito (zuerst erschienen in Steadycam Frühjahr 2004)

Gary Cooper und Marlene Dietrich in Desire

Das Leben kann sehr ungerecht sein. Da dreht einer einen Film, der zu Unrecht vergessen wird. Mehr als 50 Jahre später erlebt er seine Wiederaufführung – wird aber als die Arbeit eines anderen verkauft. Desire wurde 1936 von Frank Borzage für die Paramount gedreht und lief damals erfolgreich in den deutschen Kinos. Obwohl Ernst Lubitsch "nur" als Produzent fungierte, brachte 1988 die FiFiGe den Film als Ernst Lubitschs Sehnsucht unters Volk. Das ist typisch für die Rezeption Borzages in Deutschland, überhaupt in Europa. Von all seinen Filmen waren hierzulande nur 14 zu sehen – sei es im Kino oder im Fernsehen. Nicht einmal französische Kritiker, die in den fünfziger Jahren das amerikanische Kino neu entdeckten und viele unterbewertete Regisseure als auteurs adelten, mochten ihn in die Liste der 60 wichtigsten lebenden Hollywood-Regisseure aufnehmen. Borzage ist – und daran änderte auch die umfassende Retrospektive 2001 in San Sebastian nur wenig – ein schwer zu fassender Außenseiter, ein Phantom der Filmgeschichte. Einer, zu dem es passte, dass er mit seinem eigenen Film hinter einem anderen Regisseur zurückzutreten hatte.

Doch vielleicht muss man den Sachverhalt umdrehen, ins Positive verkehren: Der Meister des Melodrams ist mit dem Meister der Komödie eine einmalige Symbiose eingegangen. Lubitschs Witz und Zynismus treffen auf Borzages unschuldigen Romantizismus, der Humor kämpft gegen die Moral. Und vielleicht besteht der Spaß beim Betrachten von Desire gerade darin, Lubitsch- und Borzage-Insignien zu erkennen, ihr Aufeinanderprallen auf eine zweite, nächst höhere Stufe zu stellen und somit als besondere Qualität zu schätzen.

"Diamonds are a girl’s best friend" sollte Marilyn Monroe 20 Jahre später singen und damit den Warenwert der Dinge über menschliche Beziehungen stellen. Marlene Dietrich alias Madeleine de Beaupre ist da ein wenig bescheidener. Ihr reicht schon ein Perlenkollier. Perlen zum Glück lautete denn auch der deutsche Verleihtitel, unter dem Borzages Film 1936 in die deutschen Kinos und später ins DDR-Fernsehen kam. Schon zu Beginn, noch während des Vorspanns, sehen wir, wie ein Perlenkollier von einer Hand in die andere gleitet, dabei fast zu leuchten scheint. Das Gesicht der Frau ist nicht zu sehen, nur die Hände streichen zärtlich über den Schmuck, drücken ihn wie einen geliebten Gegenstand ans Herz. Die Perlen sind der Mittelpunkt der Einstellung und der Mittelpunkt des Films. Ein Fetisch, um den sich die Welt zu drehen scheint, der Reichtum und Luxus garantieren soll. Wie überhaupt den Dingen in diesem Film eine große Bedeutung zuerkannt wird. Als wir die Dietrich zum ersten Mal sehen, ist sie ganz in Weiß gekleidet und fährt eine weiße Limousine. In der nächsten Szene passt ihre schwarze Kleidung genau zum schwarzen Auto. Die Liebesgeschichte kommt dadurch in Gang, dass ein Auto auf das andere knallt. Mal überholt der eine den anderen und lässt ihn im Staub stehen, dann wieder signalisiert das vermeintliche Versagen des Motors die Bereitschaft zu neuerlicher Begegnung. Lubitsch/Borzage stellen die Charaktere mit dem Dekor auf eine Stufe, lassen sie fast darin versinken und definieren sie so durch ihre Umgebung. Alles pure Oberfläche, wollen uns Lubitsch/Borzage sagen.


Die Leichtigkeit, mit der Madeleine de Beaupre dieses Kollier an sich bringt, grenzt schon ans Unverschämte. Dem eigentlichen Besitzer, einem Pariser Juwelier, gibt sie sich als Gattin eines Psychiaters aus, der wiederum von "seiner" Frau nichts ahnt. Das raffinierte Luder spielt die beiden höflichen Herren so geschickt gegeneinander aus, dass sie glauben, sich einen Gefallen getan zu haben. Desire ist zu allererst eine Komödie der Masken und Verstellungen, des Lugs und Trugs, der falschen Identität und der Unfähigkeit der Männer, die Oberfläche zu ignorieren und hinter die Fassade zu schauen. Eine attraktive Frau gibt sich für eine andere aus und verlässt sich vor allem darauf, dass ihre Schönheit die Männer im wahrsten Wortsinn blenden, ihnen den Verstand rauben wird. Die Vorspiegelung falscher Tatsachen funktioniert aber nur, weil die drei Beteiligten nie zusammen verhandeln. Nur ein einziges Mal sind sie zu dritt in einer Einstellung vereint – doch da hat die Dietrich schon die Türklinke in der Hand. Zuvor hatte sie dieselbe Tür aufgeschlossen, obwohl sie schon offen war. Nur so konnte sie den Anschein erwecken, beim Psychiater zu Hause zu sein. Trouble in Paradise – dieses Spiel mit Illusion und Desillusionierung, mit offenen und geschlossenen Türen, ist typisch Lubitsch. Er hat diesem Film unzweifelhaft seinen Stempel aufgedrückt.

Auf der Flucht vor den Geleimten trifft Madeleine in der französischen Provinz Tom Bradley (Gary Cooper), einen Ingenieur aus Detroit, der in Spanien seinen Urlaub verbringen will. Doch auch das ist nur die halbe Wahrheit: Sein Chef hat ihm eine Reklame übers Reserverad gestreift, um so Werbung für das neueste Automodell zu machen. Bradley bemüht sich um die schöne Betrügerin, doch die ist noch im Dienst. Erst als sie ihre Aufgage, das Kollier sicher über die Grenze nach Spanien zu bringen, gefährdet sieht, spannt sie den ahnungslosen Amerikaner für ihre Zwecke ein. Die Inszenierung braucht dafür nur wenige Bilder. Schwupp – schon ist das Kollier in Bradleys Jackentasche verschwunden. Zur Ironie der Geschichte gehört es, dass das Manöver gar nicht nötig war: Die Grenzbeamten interessieren sich nicht für Madeleines Gepäck. Der Kamera reicht hierfür nur ein kurzer Blick. Die Beiläufigkeit und Ökonomie des Erzählens – und hier ist wieder Lubitsch zu entdecken – unterstreicht die Ironie noch. Man meint, das Entsetzen der Dietrich förmlich zu spüren. Der nun folgende Flirt, mit dem sie dem Amerikaner auf die Pelle rückt, dient einzig als Rückholaktion des wertvollen Schmucks. Doch dann kommt die Liebe ins Spiel – und die ist für ausgekochte Profis das größte Berufsrisiko. Darum wird sich Madeleine beharrlicht weigern, ihre Gefühle zu Tom einzugestehen – so wie sie zuvor vorgegeben hatte, ihn zu lieben. Desire ist auch ein Film über die Ungleichzeitigkeit der Liebe. Immer scheint etwas – ob Menschen oder Objekte – das Miteinander zu stören. Und erst im letzten Teil des Films wird die Kadrage Madeleine und Tom vereinen, ohne dass irgendein Autofenster oder in Möbelstück das Bild teilt und aus dem Gleichgewicht bringt.

Touched by Lubitsch: Marlene Dietrich

Desire ist ein wunderschöner Kontrast zu Marlene Dietrichs bisheriger Arbeit. Hatte sie sich bis dahin von Josef von Sternberg zum männermordenden Vamp formen lassen, beweist sie hier ihr komödiantisches Talent. Ihre exotische Distanz ist einer Menschlichkeit gewichen, die sie zwar nicht begehrlicher, aber doch irdischer, erreichbarer machte. Sie scheint wie befreit zu sein, sprüht förmlich vor Witz. Manchmal reicht ihr aber auch schon ein süffisantes Lächeln, um ihr (Vor-)Wissen zu signalisieren. Immer ist sie den Männern einen kleinen Schritt voraus. "Du bist mein Gefangener", sagt sie einmal, "bevor du mich kanntest, hast du nicht mal existiert." Da ist er wieder, der Lubitsch-Touch.

Doch am Schluss heilt die Liebe alle Wunden, und das macht Desire zu einem echten Borzage. Sie überwindet alle sozialen Schranken, moralischen Widerstände und geografischen Grenzen. Borzage war zutiefst überzeugt von der transzendierenden Kraft der Liebe. Zeit und Raum können überwunden, sogar ausgelöscht werden. Für die Liebenden wird die Wirklichkeit unwichtig. So verzichtet die mondäne Diebin auf schnelle Autos und weiße Negligés, um mit ihrem naiven Habenichts zusammenleben zu können. Vom dekadent-amoralischen Eurpa geht es ins bodenständig-pragmatische Detroit. Und ein kleines, für Borzage so typisches Wunder versöhnt die Vergangenheit mit der Zukunft: Madeleine gibt den Schmuck zurück, der Juwelier verzichtet auf eine strafrechtliche Verfolgung, zusammen mit dem Psychiater steht er als Trauzeuge parat. Dabei kann man nicht einmal behaupten, dass aus der Diebin ein ehrlicher Mensch geworden wäre. Sie hat einfach vor der Macht der romantischen Liebe die Waffen gestreckt. "Souls made great through love and adversity" – dieses Borzage’sche Diktum aus Street Angel gilt, nicht ganz so ausgeprägt, auch hier.

Unmittelbar mit Desire verwandt ist ein anderer Film: History Is Made at Night (... und ewig siegt die Liebe), der im Jahr darauf entstand. Ein romantisches Melodram, durch komödiantische Vignetten aufgelockert. Wieder hat Borzage – untypisch für ihn – einen Film im Milieu der Reichen und Schönen angesiedelt. Die Liebe muss hier aber nicht so sehr Klassenschranken überwinden, sondern sich gegen eine verständnislose Umwelt verteidigen. Die Hauptdarstellerin verliebt sich, wie Tom in Desire, in einen Europäer, den sie nach Amerika lockt. Und auch das Thema der Charade, des Vorspiegelns falscher Identitäten, wird wieder aufgenommen. Da gibt es einen Liebhaber, der keiner sein will, einen Einbrecher, der keiner ist, und einen blinden Passagier, der in der Schiffskombüse den Köchen die Soßen anrührt. Und am Schluss hält Borzage für seine Liebenden ein Wunder bereit, das jenes aus Desire um ein Vielfaches übertrifft. History Is Made at Night – was für ein ingeniöser, passender Titel. "It is not only the most romantic title in the history of the cinema but a profound expression of Borzage’s commitment to love over probability", schrieb Andrew Sarris bewundernd. Love over probability – das ist wie so oft die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick. Mann und Frau wissen sofort, dass sie zueinander gehören. Und doch nimmt ihre Liebe, aufgehalten durch Intigen, Rache, Mord und – ja, auch das! – eine Schiffskatastrophe riesige Umwege. "Souls made great through love and adversity", das gilt hier noch mehr als in Desire.

Love over probability:
Charles Boyer und Jean Arthur in
History Is Made at Night

Jean Arthur spielt Irene Vail, die sich von ihrem Mann Bruce (Colin Clive), einem eifersüchtigen Schiffseigner, scheiden lassen will. Der wiederum will ihr die Schuld für die Trennung in die Schuhe schieben. Darum schickt er seinen Chauffeur als vermeintlichen Liebhaber auf ihr Pariser Hotelzmmer, um beide in flagranti erwischen zu können. Da kommt Charles Boyer alias Paul Dumond ins Spiel. Vom nebenan liegenden Balkon hat er alles mit angehört. Wie ein Schatten, den Hut tief ins Gesicht gezogen, taucht er aus dem Dunkel auf, gibt vor, ein Juwelendieb zu sein und Irene als Geisel zu benötigen. Erst im Taxi wird er die Inszenierung auflösen und Irene den Schmuck zurückgeben.

Noch wissen wir (und Irene) nicht, wer Paul eigentlich ist. Zusammen trinken sie ein Glas Champagner im Chateau Bleu. Eigenartigerweise sind sie die einzigen Gäste in dem noblen Restaurant. Der Koch kocht nur für sie, die Band spielt nur für sie. Es ist, als hätte Borzage ein kleines Fantasia geschaffen, das die Außenwelt ausschließt. Zeit und Raum scheinen völlig entrückt. Doch noch trennt die beiden Liebenden eine Furcht, sich dem anderen zu öffnen, sich eine Blöße zu geben. Und so erfindet Borzage einen Mittler, der Irene und Paul einander näher bringt: Paul malt sich ein Gesicht, bei dem sich Daumen und Zeigefinger zu einem sprechenden Mund treffen, auf die linke Hand, nennt es "Coco" und lässt es die Fragen stellen, zu denen ihm der Mut fehlt: "Warum hast du geheiratet? Was hat denn dein Mann mit dieser Dummheit bezweckt?" Erst in der Maskerade, in der Vorgabe, jemand anders zu sein, gelingt die Annäherung. Ein Kunstgriff, der auch der verschlossenen Irene zugute kommt: Sie bittet "Coco", Paul zu sagen, dass er sie zum Tanzen auffordern möge.

Es folgt eine der schönsten Liebesszenen in Borzages Werk. Die Kamera geht ganz nahe an die beiden heran, isoliert sie von ihrer Umwelt und lässt sie so als das ideale Paar erscheinen. Zwei, die sich selbst genügen und alles um sich herum vergessen. Immer wieder blickt die Kamera auf die tanzenden Beine, die geschickt der Bewegung des anderen ausweichen oder folgen, sich verschränken und dann wieder voneinander lösen. Die Körper der beiden haben sich schon aneinander gewöhnt. Und mit einem Mal bekommt die Romanze etwas Märchenhaftes. Irene verliert, wie Aschenbrödel auf dem großen Ball, einen Schuh, Paul nimmt ihr wie der Prinz auch noch den zweiten ab. Später wird der Koch entgeistert auf die beiden Schuhe blicken, ein wenig weiter liegt der abgestreifte Pelzmantel. Symbole des Wohlstandes, die Irene nun nicht mehr braucht. Irene hat ihren Schutzmantel im wahrsten Sinne des Wortes abgelegt und teilt sich Paul mit, mehr als sie es jemals gegeüber Bruce gekonnt hätte: "Dies ist die Nacht, auf die ich immer gewartet habe." Lange muss dieser "Tango of Love" gedauert haben, denn mehr und mehr Musiker sind eingenickt, bis nur noch der Geiger aufspielt. In kleinen Ellipsen spart Borzage das Offensichtliche aus und lässt die Zeit dahinrasen. Oder sie wird gänzlich bedeutungslos: "Ein Mädchen aus Kansas kann einem Mann erst nach einem Jahr sagen, was ich jetzt sagen möchte. Doch ein halbes Jahr ist schon um." Später, als Paul gefragt wird, wie lange er Irene schon kenne, antwortet er: "Schon immer." History Is Made at Night ist ein Film über die Zeitlosigkeit der Liebe, über ihre Reinheit und Unantastbarkeit. Wenn zwei Menscen sich bei Borzage lieben, wird alles um sie herum bedeutungslos.

Tango of Love

Doch der "Tango of Love" ist auch ein Tango der Eifersucht. In kurzen Zwischenscnitten zeigt Borzage, wie Bruce den Chauffeur, den Paul zuvor beim vermeintlichen Schmuckraub niedergeschlagen hatte, tötet. Nun will er die Tat dem Nebenbuhler in die Schuhe schiebe. Dass Irene noch immer die Perlen trägt, die ihr Paul "gestohlen" hatte, reicht ihm als Bestätigung für ihren Seitensprung. Wie eine Schlinge, die sich immer weiter zuzieht, sind sie um ihren Hals gelegt. Aus dem Fetisch in Desire ist in History Is Made at Night eine Bedrohung geworden. Um Pauls Leben zu retten, willigt Irene ein, mit ihrem ungeliebten Mann nach New York zu gehen. Sich für den anderen aufopfern, vielleicht sogar sein Leben geben – auch das gehört elementar zum Romantizismus Borzages.

Aus der Romanze mit komischen Zwischentönen ist urplötzlich ein Melodram geworden. Paul erfährt aus der Zeitung, dass Irene mit ihrem Mann abgereist ist. Doch seine Intuition sagt ihm, dass etwas nicht stimmen kann. Schon in Seventh Heaven, als Charles Farrell im Schützengraben erblindet, riss die fast schon telepathische Verbindung zwischen ihm und Janet Gaynor nicht ab. In History Is Made at Night nimmt Borzage diesen zutiefst romantischen Gedanken noch einmal auf: Wie mit einem unsichtbaren Band sind die Liebenden miteinander verbunden. Körperliche Trennung, räumliche Distanz und die Unmöglichkeit zu kommunizieren sind dabei kein Hinderis. Konsequenz: Paul fährt mit dem Schiff nach New York. Mittlerweile haben wir erfahren, dass er der Geschäftsführer des Chateau Bleu ist. Der entgeisterte Koch, Cesare, ist sein bester Freund. Wie in Desire lüften sich hier erst nach und nach die wahren Identitäten und geben ihr Innerstes preis. Oder sie müssen, wie Irene, ihre Identität erst noch finden. Irene muss sich erst von dem Geld und Wohlstand ihres Mannes lösen und die romantische Liebe zu einem anderen akzeptieren. Erst die Liebe gibt ihr die Kraft, ihren eigenen Weg zu gehen und zu sich selbst zu finden. Das macht sie unmittelbar zur Geistesverwandten Madeleines, die in Desire allen Reichtümern entsagte und mit einem mittellosen Mann ein neues Leben begann. Borzage stellt die Liebe immer über die Dinge. Sie ist das Einzige, was zählt.

Für die Entfremdung zwischen Irene und Bruce hingegen hat Borzages ein treffendes Bild gefunden. Bruce hat ein Porträt von seiner Frau anfertigen lassen. Sie trägt darauf ein weißes Abendkleid, das jenem aus der Tanzszene mit Paul ähnelt. Doch ihr Ehemann wird sie so nie kennenlernen. Nur als (Ab-)Bild, als Kopie, wird er seine Frau besitzen. Während er ihr vom linken Bildrand aus das Porträt zeigt, steht Irene ganz rechts, in Schwarz gekleidet. Beide haben sich buchstäblich voneinander entfernt und sind nur durch eine Intrige aneinander gekettet. Dass Bruce seine Frau verlieren wird, ist – so viel ist in dieser Einstellung deutlich – unausweichlich.

Paul hat derweil einen Weg gefunden, Irene auf sich aufmerksam zu machen. Er hat ein nachlässig geführtes Lokal mithilfe seines Freundes Cesare kurzerhand in das beste Restaurant New Yorks verwandelt. Wie von Geisterhand gezogen, taucht Irene eines Abends mit ihrem Mann auf. Und nach einem kurzen Missverständnis – Irene muss vor Erleichterung über das Wiedersehen mit Paul so schallend lachen, dass es auf ihn beschämend wirkt – holen sie jenen Spaziergang nach, für den in Paris keine Zeit mehr war. Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht mehr – wie noch im Chateau Bleu – ignorieren. In Paris ist ein Unschuldiger wegen des Mordes an Bruces Chauffeur verhaftet worden. Paul muss zurückkehren, um den Mann (und sich selbst) zu entlasten. Der Entwurf einer absoluten Liebe, die sich selbst genügt und die Welt ausschließt, ist gescheitert. Vorerst.

Was nun folgt, mutet heute wie ein vorweggenommener Gegenentwurf zu Titanic an. Wo James Cameron über drei Stunden braucht, reichen Borzage 20 Minuten, um das Schiff – es gehört Bruce und hat den bezeichnenden Namen "Princess Irene" – in See stechen und mit einem Eisberg kollidieren zu lassen. Borzage hat die technische Seite der Spezialeffekte vernachlässigt. Authentizität ist seine Sache nicht. Die Tricks sind immer als solche erkennbar und erinnern in ihrer Künstlichkeit an die englischen Filme Hitchcocks, der gern Modelleisenbahnen durchs Bild rattern ließ. Borzage schert sich – im Gegensatz zu Cameron – wenig um die realistische Nachstellung einer Schiffskatastrophe. Was History Is Made at Night allerdings mit Titanic verbindet, ist die Macht der Liebe. Je mehr die Paare in beiden Filmen in Gefahr geraten, desto mehr rücken sie zusammen. "Denke nur an heute, an uns, an unsere Liebe", tröstet Paul die weinende Irene, während das Schiff auf Bruces Geheiß mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch den dichten Nebel gleitet, immer in Gefahr, mit einem der vielen, unsichtbaren Eisberge zu kollidieren. Da ist es nur folgerichtig, dass sie noch einmal dasselbe Mahl – Hummer Kardinal – zu sich nehmen und dieselbe Musik hören wie damals im Chateau Bleu. Hummer Kardinal? Cesare hat sich an Bord geschlichen, um Paul in Paris beizustehen. History Is Made at Night ist auch ein Film über eine große Männerfreundschaft.

Und doch ist etwas anders seit jenem Abend in Paris. Worte sind jetzt nicht mehr nötig, um sich gegenseitig die Liebe einzugestehen. Während sich Paul und Irene im Chateau Bleu noch hinter "Coco" versteckten, vertrauen sie nun einander vollends, gehen in ihrer Liebe auf. Einmal sitzen sie auf einer Treppe – das Schiff hat schon ordentlich Schlagseite – und sehen sich tief in die Augen. Irene hatte sich zuvor geweigert, ohne Paul ein Rettungsboot zu besteigen. Ein Weiterleben ohne den anderen erschien ihr sinlos. "Wie lieb du mich ansiehst. Woran denkst du?", fragt sie. "An dich." Ihre ganze Liebe füreinander ist in diesem Blick enthalten. Und nun kommt der Moment, wo Borzage – ganz der Romantiker – die Liebe über das Böse triumphieren lässt. Bruce, der mit der "Princess Irene" trotz der Eisberge unbedingt einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wollte und in seiner Eifersucht den Tod von Paul und Irene bewusst in Kauf genommen hatte, nimmt sich das Leben. Er erschießt sich vor einem Bild Irenes, das wie ein Altar anmutet. Und mit einem Mal scheint das Böse seine ganze Kraft zu verlieren. Wie von Zauberhand geführt, hört das Schiff zu sinken auf. Borzage bemüht sich erst gar nicht, eine Erklärung dafür zu finden. Wir sehen nur, wie schnell noch ein, zwei Schotten geschlossen werden, sodass – so muss man annehmen – kein Wasser mehr eindringen kann.

Warten auf das Wunder:
Jean Arthur will nicht gerettet werden


Es ist eines dieser Wunder, die Borzage so sehr liebte. Schon in Seventh Heaven weigerte sich Janet Gaynor, den Tod von Charles Farrell zu akzeptieren. So gelang es ihr, ihn zu den Lebenden zurückzuholen. In Disputed Passage liegt ein Arzt nach einem Bombenangriff in China im Koma. Die Medizin kann nicht mer helfen. Doch weil dieser Dr. Beaven zuvor eine alte Frau und ein Kind gerettet, sich also zum Leben bekannt hat, bleibt er vor dem Tod bewahrt. Dr. Beaven erwacht aus dem Koma – allerdings erst, als die Frau, der er nach China gefolgt war, an seinem Bett steht. Ein miracle also. Und mit diesem Wort endet auch Disputed Passage.

"Die grundlegende Sorge von Borzage ist das Heil seiner Helden", schrieb John Belton 1972 in einem bedeutenden Essay. Und so zeigt uns Borzage die Liebenden in der Schlusseinstellung in inniger Umarmung. Die anderen Menschen sind im Hintergrund ur schemenhaft zu erkennen. Wieder hat der Regisseur seine Protagonisten von der Umwelt isoliert. Als wären sie ins Chateau Bleu zurückgekehrt.

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Donnerstag, 17. Dezember, 14.30 Uhr (Filmbeginn 15 Uhr): Seniorenkino im Metropolis mit Kaffee, Kuchen und Desire

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