09 März 2010

Ball und Schwert

Ogami Itto kommt auf eine kleine Lichtung im Wald. In ihrer Mitte befindet sich ein Brunnen, um den drei Männer mit Schwertern gruppiert sind. Einer von ihnen hält das Seil des Brunneneimers, in dem Ittos Sohn Daigoro über der Öffnung des Brunnens schaukelt. Es ist dunkel und still, gesprochen wird kein Wort, alles ist so klar wie das Mondlicht, das durch die Wipfel der Bäume schimmert. In dem Moment, in dem Itto sein Schwert zieht und den ersten Schritt macht, beginnt der Fall seines Sohnes in die Tiefe des Brunnens. Noch bevor der Klang eines auftreffenden Eimers zu hören ist, liegen drei Männer tot am Boden und der Vater steht mit einem Fuß auf dem Seil, an dessen anderem Ende sein Sohn baumelt.

Ich weiß nicht mehr genau, ob diese kurze Szene sich in Schwert der Rache, Am Totenfluss oder Der Wind des Todes ereignet, ich weiß aber, dass ich noch nie eine so aufregende Kampfsequenz gesehen habe. Die drei ersten Filme der ingesamt sechsteiligen Lone Wolf and Cub-Reihe hat Kenji Misumi 1972 inszeniert, und das ich ihre Einzelheiten nicht mehr so genau auseinanderhalten kann, liegt auch an ihrer ungeheuren Dichte an visuellen Einfällen und der raschen Folge außerordentlicher Ereignisse, die sich in diesen Werken ganz selbstverständlich aneinanderreihen. Jedes Duell ist ein kleines Wunder an überraschenden Perspektiven und kühnen Schnitten, die der Gewalt eine nahezu lyrische Qualität verliehen. Blutfontänen schießen vor goldenen Sonnenuntergängen in den Himmel, Köpfe rollen durch schimmerndes Herbstlaub, gleich darauf folgen Landschaftsaufnahmen, in denen das Breitwandformat in seiner ganzen Pracht genutzt wird.


Vielleicht kann man die drei Meisterwerke Mizumis mit dem Aston Martin von James Bond vergleichen, hochkomprimierte Wunderwerke (kein Film ist länger als 90 Minuten, wo ist diese Kunst eigentlich hin?), in denen die Funktion nicht die Form bestimmt, sondern die Form eine absurd hohe Zahl von Funktionen verbirgt, die auf Knopfdruck hervorschießen, wenn es für den Helden mal wieder eng wird. Die Holzkarre, in der Itto seinen Sohn Daigoro hinter sich herzieht, ist eine Art Edo-Zeit-Vorläufer von Bonds Luxusschlitten, ein Arsenal tödlicher Klingen und rotierender Messer springt bei schnellen Verfolgungsjagden aus verborgenen Hohlräumen hervor und metzelt die Gegner nieder.

Die Geschichte Ogami Ittos beruht auf einer Manga-Serie von Kazuo Koike und Goseki Kojima: Nachdem er durch eine Verschwörung seine Frau und seine Stellung am Hof des Shogun verloren hat, reist Itto Rache suchend durch das Japan der Edo-Zeit und vermietet seine Dienste an das unterdrückte Landvolk. Dass ich den zweiten Teil als den besten in Erinnerung habe, liegt wohl daran, dass er keine Zeit auf die Exposition verwenden muss und gleich mit einem gespaltenen Kopf loslegen kann. In eine der tollsten Szenen in Schwert der Rache, der die Vorgeschichte um den Verrat des Yagyu-Clans und ihres Oberhauptes Lord Retsudo an Ogami Itto und dessen Wandlung vom loyalen Samurai zum käuflichen Rächer erzählt, stellt der Scharfrichter seinen Sohn vor die Wahl zwischen einem friedlichen Tod und einem Leben auf dem blutigen Pfad durch die Hölle – repräsentiert durch einen Ball und ein Schwert!

Ogami Itto verdingt sich für ein Kopfgeld von 500 Goldstücken (egal, wie viele Köpfe rollen sollen) als Auftragskiller, immer mit den Schergen des Yagyu-Clans dicht auf seinen Fersen. Ein zentrales Geheimnis der Figur des Ogami Itto besteht darin, dass sein Handeln, das immer einer höheren Macht und nicht eigenen Entscheidungen unterworfen ist, trotzdem von ethischen Grundsätzen bestimmt zu sein scheint. Erst tötet er im Auftrag des Shogun, später für alle, die ihm 500 Goldstücke bringen, aber trotzdem erwischt er immer die Richtigen, die Bösen, obwohl man sich da nicht ganz sicher sein kann. Jedenfalls sind die Filme Misumis wie die besten Samurai-Filme Akira Kurosawas erdverbunden, antiidealistisch, radikal demokratisch, sie haben das Leid der Ärmsten, der Bauern, der Prostituierten im Blick, mit denen Ogami Itto auf seinen Reisen Berührung kommt. In einer weiteren fantastischen Szene sogar sehr nah, wenn sich nach dem Untergang eines Schiffes Itto und eine fremde Prostituierte ausziehen und den nackten Daigoro wärmend in ihre Mitte nehmen.

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Lone Wolf and Cub auf Arte:

Freitag. 12. März, 0.35 Uhr: Schwert der Rache

Freitag, 19. März, 0.50 Uhr: Am Totenfluss

Freitag, 26. März, 0.15 Uhr: Der Wind des Todes

Die Teile 4 bis 6 laufen an den folgenden Freitagen

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