16 Mai 2010

Poet der Hölle


Das Werk des 1957 in den USA geborenen Filmemachers und Autors Buddy Giovinazzo ist ebenso schmal wie wichtig für die Geschichte des amerikanischen Underground-Kinos. Aufgewachsen in Staten Island, einem der damals heruntergekommensten Viertel New Yorks, in dem auch seine beiden ersten Spielfilme angesiedelt sind, begann Giovinazzo Mitte der 70er Jahre, Super8-Filme zu drehen. Gemeinsam mit seinem Bruder Rick, der später die Musik zu seinen Filmen schrieb, gründtete Giovinazzo eine Punkband, verlegte sich nach ersten Auftritten im legendären CBGBs aber auf das Drehen von Videos für befreundete Bands. In den frühen 80ern folgten Kurzfilme wie Lobotomy und The Christmas Album, 1986 kam dann Combat Shock heraus, eine bis heute gültige Studie über urbanen und psychischen Zerfall. Dieses Thema findet sich auch in den späteren Werken No Way Home (1996) und Life Is Hot in Cracktown (2009) wieder, Armut, Sucht, Kriminalität, kaputte Familien und Gewalt sind allgegenwärtig. Die Filme zeichnet eine radikal pessimistische Grundhaltung aus sowie der Mut, ungeschminkte Bilder für ein Dasein jenseits des Existenzminimus zu finden.

Das Leben ist heiß in den Filmen von Buddy Giovinazzo, die Figuren schwitzen, sie stehen unter Druck, sind kurz vorm Explodieren. Die Wohnungen sind keine Zufluchtsorte, sondern verwanzte Dreckslöcher, aus denen man lieber in die verfallenen Straßen flüchtet, in den Familien gibt es keine Geborgenheit, sondern Stress und Verachtung, die Gesellschaft ist so fern wie der Mond. Die Städte sehen aus wie im Krieg zerstört und wie vom Schimmel zerfressen, die Macht liegt in den Händen von Zuhältern und Drogendealern, die alle Fäden der Underground-Ökonomie in ihren Händen halten. Es gibt keine Solidarität zwischen den Figuren, jeder kämpft und stirbt für sich allein. Buddy Giovinazzo: „Ich war immer interessiert an den Themen Armut und Gewalt, ich weiß nicht wirklich, warum. Ich denke, es sind die Menschen, die durch das gesellschaftliche Raster fallen, die mich verfolgen. Deren Geschichten berühren mich, sind so viel bewegender als die der mehr oder weniger Normalen, die wir tagtäglich auf der Straße treffen.“

Im Rahmen der Reihe „Bizarre Cinema“ wird Buddy Giovinazzo sein Werk im B-Movie vorstellen sowie drei Filme, die ihn maßgeblich beeinflusst haben.

Freitag, 11. Juni, 21 Uhr, Double-Feature:

Joe – Rache für Amerika, USA 1970, 107 Min., VHS, DF, Regie: John G. Avildsen, Darsteller: Peter Boyle, Dennis Patrick, Susan Sarandon

Eraserhead, USA 1976, 89 Min, 35mm, OF, Regie: David Lynch, Darsteller: Jack Nance, Charlotte Stewart, Judith Roberts

Der Einfluss von Eraserhead auf Combat Shock liegt auf der Hand: Junge Familienväter am Rande des Nervenzusammenbruchs fliehen vor der Hölle der Verantwortung und dem Geplärr des deformierten Nachwuchses – bei Lynch in eine Spiegelwelt hinter der Heizung, bei Giovinazzo in die Straßen von Staten Island, die noch desolater aussehen als die Industrieruinen von Pittsburgh. Eine andere Art urbanen Alptraum präsentierte Rocky-Regisseur Avildsen im zu Unrecht vergessenen Joe, in dem der beängstigende Peter Boyle als rassistischer Rächer des kleinen Mannes ein Massaker unter Hippies veranstaltet, gemeinsam mit einem Familienvater, der seine Tochter an die Drogen verloren glaubt. Da weder eine Filmkopie noch eine DVD aufzutreiben waren, zeigen wir Joe in allerschönstem VHS-Color. Buddy Giovinazzo: „Was Joe für mich so außergewöhnlich macht, ist, wie direkt der Rassismus der Hauptfigur gezeigt wird. Die Wahrheit wird erzählt, ohne jegliche Versuche, die Figur sympathisch zu machen. Dieser Film ist wie Combat Shock die Zeitkapsel einer Stadt, New York in den 70ern. Dieser Film hat Peter Boyles Karriere gemacht.“

Samstag, 12. Juni, 20 Uhr:

Combat Shock – Uncut (mit Vorfilm Maniac 2), USA 1986, 100 Min., 16mm, OF, Regie: Buddy Giovinazzo, Darsteller: Rick Giovinazzo, Veronica Stork, Mitch Maglio

Fast ohne Geld drehte Buddy Giovinazzo in den Straßen von Staten Island mit dieser Fabel über einen Vietnam-Heimkehrer einen der Meilensteine des US-Undergroundkinos der 80er Jahre. Den allgegenwärtigen Verfall, der alle Gesichter, Häuser, Dinge befallen hat, meint man fast riechen zu können, ebenso wie die abgelaufene Milch, die im unvergesslichen Finale eine Rolle spielt. Vorweg zeigen wir den Promo-Trailer zu Maniac 2: Mr. Robbie, den Giovinazzo 1989 mit Joe Spinell kurz vor dessen Tod gedreht hat.

Life Is Hot in Cracktown

Samstag, 12. Juni, 22 Uhr:

Life Is Hot in Cracktown, USA 2009, 99 Min., 35mm, OF, Regie: Buddy Giovinazzo, Darsteller: Evan Ross, Desmond Harrington, Lara Flynn Boyle

Buddy Giovinazzos neuestes Werk, eine Verfilmung seines ersten Romans, ist eine Art Short Cuts der Mittel- und Hoffnungslosen. Atmosphärisch dicht und mit seinem gewohnten Gespür für die Ängste und Träume der Armen und Süchtigen, erzählt Giovinazzo die komplex miteinander verwobenen Geschichten einer Vielzahl von Figuren, für die jeder neue Tag ein Überlebenskampf ist. Auf dem Filmfest Oldenburg wurde der Film letztes Jahr begeistert gefeiert.

Sonntag, 13. Juni, 15.30 Uhr:

Pink Flamingos, USA 1972, 100 Min., 35mm, OmU, Regie: John Waters, Darsteller: Divine, David Lochary, Mink Stole

„Kannibalismus, Vergewaltigung, eine debile Oma im Laufstall, das genüssliche Verzehren von Hundekot – Underground-Regisseur John Waters verhöhnt alle Tabus der geheiligten Kulturgüter. Wie der Originaltitel androht: An exercise in poor taste.“ (Katholischer Filmdienst). Wenn man aber lang und genau genug hinschaut, das hat Buddy Giovinazzo im Gegensatz zu den Kirchenvätern verstanden: Dann wird Schönheit und Wahrheit daraus. Buddy Giovinazzo: „Der Film zeigte mir, dass jedermann einen Film machen kann. Pink Flamingos wurde ohne jedes Budget gedreht, mit Freunden als Schauspieler und Crew, und ich war total inspiriert. Einfach eine Kamera auftreiben und einen Film machen.“

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