Es beginnt mit einer Stimme und einem Blick: Nach der kurzen Einstellung eines leicht gewellten, grünen Ackers folgt die Aufnahme eines ähnlichen, nun aber herbstlich braun daliegenden Feldes, über das ein Mann auf die Kamera zugeht, dazu ertönt eine Stimme, die zugeschaltete Radiostationen in aller Welt begrüßt. Der Mann ist leicht gekleidet für Wetter und Jahreszeit, er trägt Jogginghose und ein aufgeknöpftes Polohemd, die Hände hat er in die Seiten gestemmt, was seinem Gang etwas Militärisches verleiht, stetig geht er auf die Kamera zu, die alles an ihm registriert, den die Gesichtszüge herabziehenden Schnurrbart, die Augenringe, den schwer gehenden Atem, den dunklen, distanzierten Blick, der aus weiter Ferne zu kommen scheint. Heino Jaeger schaut uns an.
In diesem Blick liegt eine Frage: Glaubst du, der du mich anstarrst, dass ich dir etwas mitzuteilen habe? Dass deine Gegenwart meine Vergangenheit zum Sprechen bringen kann? Gerd Kroskes neue Dokumentation Heino Jaeger – look before you kuck ist auch deshalb so großartig, weil er eine genau durchdachte und in eine konsequente Form gebrachte Antwort auf diese Frage darstellt. Schon der Anfang des Films macht deutlich, dass er an eine Vermittelbarkeit der Vergangenheit glaubt, aber nur zu ihren Bedingungen, nicht zu denen der Gegenwart. Folgerichtig führt keine Exposition, keine Lobrede, keine historische oder biografische Bestandsaufnahme in Leben, Werk oder Bedeutung von Heino Jaeger ein. Die Ferne, aus der Heino Jaeger schon in seiner eigenen Zeit zu kommen schien, sie wird an keinem Punkt dieses schönen Films an die Gegenwart verraten.
Statt auf Empathie und Erklärung setzt Kroske auf die schlagartige Erleuchtung oder langsame Infizierung mit dem Jaeger-Virus, das auch alle seine Interviewpartner befallen hat. Bei deren Auswahl verzichtete Kroske auf werbeträchtige Jaeger-Fans wie Olli Dittrich, Rocko Schamoni und Frank Schulz und konzentrierte sich auf durch direkten Kontakt kontaminierte Mitstreiter und Freunde wie Joska Pintschovius, Wolfgang Köhler, Christian Meurer oder eine Patientin des Sozialpsychiatrischen Heims in Bad Oldesloe, in dem Jaeger von 1988 bis zu seinem Tod 1997 gelebt hat. Sie berichten von ihren ersten Begegnungen mit Jaeger, von der Faszination, die von ihm ausging. Von den unheimlichen Folgen, die längeres Zusammensein mit Jaeger haben konnte, erzählt der Galerist Jürgen von Tomei: „Wenn man zwei Wochen mit ihm zusammen war, fing man zu sehen und zu hören wie er. Und das war nicht ganz ungefährlich, weil es plötzlich nichts mehr gab, was man ernst nehmen konnte.“
Die in seinen Stegreifgeschichten sich offenbarende Gabe Jaegers, das Sprechen und Gebaren der ihn umgebenden Menschen nachzuahmen und es zugleich durch minimale Verschiebungen im Sprechrhythmus, in der Wortwahl und in der Intonation zur Kenntlichkeit zu deformieren, ist zugleich Wesen seiner Kunst und der Grund für ihre Unsichtbarkeit. Damit der Zuschauer diesen durch Affirmation zersetzenden Blick auf die eigene Gegenwart lernen kann, hat Kroske viele Beispiele Jaegerscher Sprach- und Zeichenkunst integriert, wobei er immer das Material und das Aufzeichnungsmedium zeigt, auf dem Jaegers ephemere Spuren festgehalten worden sind. So ist der Film auch eine schöne Hommage an die analogen Medien der 70er geworden, an Tonbandgeräte, Schmalspurfilme, Schallplatten und Radio, an eine Zeit, die noch nicht von sich dachte, dass ihr alles verfügbar wäre, in der man noch suchen musste, genau hinsehen und -hören, wenn man die Welt ein Stück weit durchdringen wollte.
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Heino Jaeger – Look before you kuck läuft am 5.11. im Abaton. Als Gäste werden Gerd Kroske, Studio Braun und Olli Dittrich erwartet (ganz ohne Prominenz geht es nicht). Außerdem läuft der Film am 9.11. um 20 Uhr im Rahmen der Duisburger Filmwoche. Davor ist Harun Farockis neue Cinema-verité-Studie Ein neues Produkt zu sehen.
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