Georg K. Glaser war Schriftsteller und Schmied. 1988 besuchte der Filmemacher Harun Farocki den damals 78-Jährigen in seiner Werkstatt im Pariser Viertel Marais, filmte ihn bei der Arbeit und beim Sprechen. Wenn Farocki Fragen stellt, Glaser seinen Hammer sinken lässt, überlegt und in Sätzen antwortet, die er beim Nachdenken gerade verfasst zu haben scheint, hat man nicht das Gefühl einer Unterbrechung. Das Schmieden von Kupfer und das Schmieden von Gedanken wirkt bei Glaser aus einem Guss. Für beides braucht er einfaches Werkzeug, Hammer, Kupferplatte, Amboss, klare Worte, aus denen er, davon legt Farockis Film Zeugnis ab, wunderschöne Objekte und Gedanken formt, wie es sie kein zweites Mal in der Welt gibt.
Was so mühelos und einfach wirkt, ist das Ergebnis einer gründlichen Durchdringung der Materie. Man sieht, wie Glaser eine glatte Kupferplatte durch Schläge mit einem Hammer erst in eine runde Form bringt und dann das Metall an den Ränder dieser werdenden Schale immer weiter vor sich hertreibt (wie man eine Zahnpastatube ausdrückt). Glaser sagt, dass er die Moleküle des durch die Schläge sich erwärmenden Kupfers an den Platz bringt, an dem er sie haben möchte. Und tatsächlich haben sie fast etwas von der schwarzen Kunst des Alchemikers, all diese verschieden geformten Vasen, Aschenbecher, Amphoren, Schalen in der Werkstatt, die aus einfachen Metallplatten hervorgegangen sind. Kein Stück gleicht dem anderen, alle tragen an ihrer Oberfläche die Hammerspuren des Schöpfers, oder vielleicht sollte man sagen: Sie sind diese Hammerschläge. Manchmal schafft Glaser Dinge, damit die Erinnerung an sie nicht von dieser Welt verschwindet.
Während die Kamera von Ingo Kratisch Glaser bei der Arbeit zuschaut, fragt Farocki: Ob das Wissen, wo mit dem Hammer das Kupfer zu treffen zu, ein intellektuelles oder eher ein instinktives sei. Glaser antwortet, dass dieses Wissen, das Wissen aller Hand-Arbeiter, irgendwo dazwischen liege. Die Entscheidung, wo der Hammer trifft, ist keine bewusste, entspringt keiner vorherigen Reflexion, aber einem durch die Erfahrung entstandenen Wissen, einer unbewussten, in den Körper übergegangenen Erinnerung an alle vorhergegangenen Schläge, an dem Hand, Ellenbogen, Schulter, Auge und Hunderte anderer Muskeln und Gelenke des Arbeiters teilhaben. Jeder Hammerschlag ist eine hochkomplexe Aktion, ein Nexus menschlicher Erfahrung und Intention, der sich durch keine Maschine der Welt systematisieren und reproduzieren lässt.
Im Rahmen der von Ute Holl kuratierten Farocki-Werkschau, die derzeit im Hamburger Metropolis Kino läuft, wurde Georg K. Glaser – Schriftsteller und Schmied im Anschluss an Wie man sieht gezeigt, der neben vielen anderen Dingen davon handelt, wie Maschinen erst die Hände des Arbeiters und dann sein prüfendes Auge überflüssig gemacht haben. Das Glaser-Porträt ist der Kontrapunkt zu dieser Universalgeschichte der Industrialisierung, der konzentrierte Blick auf einen Mann, der dieser Geschichte in Worten und Taten, die bei ihm nicht getrennt sind, widerstanden hat. Das Schöne an dem Film ist, dass er sich auf die Gegenwart von Glaser konzentriert, ihm beim Formen von Schalen zuschaut, ohne dieses Tun einer größeren Sozialgeschichte einzuverleiben. Ebenso wie die bewegte Lebensgeschichte von Glaser schwingen diese übergeordneten Dinge mit in jedem Schlag und Wort Glasers, sie werden erahnbar, ohne dass die Werkstatt verlassen werden muss. Schöne Einheit von Form und Inhalt: anhand des Partikularen, Unreproduzierbaren über den Lauf der Welt aufzuklären.
"Nach Jahrzehnten, dieser Tage erst, ist es mir bewusst geworden; wenn Bewusstsein einbegreift, Geschehnisse in Zusammenhängen zu sehen, ohne deswegen ihre Eigenart, um nicht zu sagen Selbständigkeit, zu beeinträchtigen, so wie Laternen über Toren weit voneinander entfernter, ummauerter Gehöfte doch einen Weg in die nächtliche Landschaft eintragen." (Georg K. Glaser, gefunden hier)
Weitere Informationen zu Leben und Werk Georg K. Glasers finden sich hier. Dort auch der Hinweis auf eine von Michael Rohrwasser herausgegebene Werkausgabe Glasers, von der bis jetzt ein Band erschienen ist. Derzeit auch verfügbar ist Glasers Hauptwerk Geheimnis und Gewalt.
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