27 Juni 2008

Hildegard Westerkamp

Nachtrag zu "Wolken über Columbine"

Interessante Gedanken zur Verwendung von Sound in Elephant und Last Days finden sich in Randolph Jordans Interview-Artikel "The Work of Hildegard Westerkamp in the Films of Gus van Sant". Darin erzählt Westerkamp über die Verwendung ihrer für gänzlich andersartige Kontexte geschaffenen Kompositionen Beneath the Forest Floor und Türen der Wahrnehmung in Elephant:
"The excerpts were applied in the film with a very sensitive compositional ear in conjunction with all the other sounds in the film, i.e. within its own strong context, so that the take on a life of their own – quite apart from, and without destroying, how they exist in the original composition."
Jordan spricht über die vielfältigen Weisen, wie Westerkamps Soundscapes die Figuren und Orte van Sants de- und rekontextualisieren, neue Zugänge zu ihnen öffnen, fernab von den herkömmlichen musikalischen Akzentuierungs- und Dramatisierungsmechanismen, mit denen Motivationen und Befindlichkeiten von Charakteren empathisch rübergebracht werden sollen. Doch um nichts anderes als Empathie, Einfühlung, Anteilnahme geht es in den Filmen van Sants und der Musik Westerkamps, jedoch keine, die mit vorgegebenen psychologischen Rastern arbeitet, sondern eine, die in Bewegung und offen für die jeweilige Umgebung ist.

Gehen ist das zentrale Organisationsprinzip dieser Ästhetik. Viele Kompositionen Westerkamps entstehen als sogenannte Soundwalks durch bestimmte Terrains und Regionen (Wüsten, Wälder, an Flüssen entlang), bei denen sie jedes auch noch so kleine Geräusch aufzeichnet, weil in ihm der Schlüssel zu einem tieferen Zugang zum Selbst und zur Umgebung verborgen sein kann. Van Sants Filme Gerry, Elephant und Last Days lassen sich entsprechend vielleicht als Imagewalks bezeichnen, die ihren Figuren auf langen Gängen folgen, in einem Geh-Tempo, das langsam genug ist, um die Registrierung kleinster Details der Umgebung zu erlauben, aber zu schnell, als dass die Figuren jemals in konventionellen dramatischen Situationen erstarren. Westerkamp zufolge erlauben diese Fahrten eine Verbindung des Zuschauers mit den inneren Welten der Protagonisten:
"The presence of extended walking shots in van Sant’s film is a brillant way of connecting inner worlds between the peole on the screen and us viewers. The close-up shots of a person moving, sometimes only the head from the back, together with the accompanying sounds/soundscapes, create that inner connectedness from viewer to person on screen."
Wie ist diese Verbindung zwischen Zuschauer und Figur beschaffen? Was unterscheidet sie von konventionellen Identifikatiosmustern? Ich denke, bei der Beantwortung dieser Frage muss man gegenüber der Ausrufung einer neuen Form von Empathie und der Postulierung einer neuen Einfühlsamkeit, die auf der geschärften Aufmerksamkeit gegenüber Details wie Sounds und Gesten gründet, ebenso skeptisch sein wie van Sant es angesichts der geläufigen Erklärungsmuster für Columbine ist. Wie ich hier schon angedeute habe: Die Helden von Elephant sind nicht Elias und Michelle, zwei Figuren, die einen Blick haben für das, was um sie herum vorgeht. Vielmehr sind es John und vor allem Benny: weil sie nicht nur schauen, sondern auch handeln. Warum kehrt Benny, nachdem er einem Mädchen aus dem Fenster geholfen hat, wieder zurück in die Flure, bewegt sich auf das Geräusch der Schüsse zu und versucht sich Eric von hinten zu nähern? Das ist, so glaube ich, das zentrale Geheimnis von Elephant, nicht die Frage nach den Motiven der Täter.

Keine Kommentare: