15 Juni 2008
Hose runter!
Im Blog von Christoph Hochhäusler war vor Kurzem ein fiktives Gespräch zwischen einem "Ich“" und einer "Sie" über die Frauenfiguren im deutschen Kino zu lesen, in dem die Frage aufgeworfen wurde, warum sie, vor allem in den Filmen der Berliner Schule, nur als "Opfer und Gespenster, Hysterikerinnen und ätherische Wesen" auftauchen. In einem Kommentar merkte ich an, dass das Problem auch eine Kehrseite hat, nämlich den Mangel an wirklich starken Männerfiguren, die den Frauen das Wasser reichen könnten. Oft, bei Klaus Lemke und Christian Petzold, bei Rainer Knepperges und Dominik Graf, stehen die Typen am Rand und schauen dem Treiben der Damen zu. Christoph Hochhäusler fragte, woran das liegt. Hier einige Überlegungen zum Thema.
Wie die Frage nach den Frauenfiguren lässt sich auch die nach den Männern auf unterschiedliche Weise beantworten. Ein Aspekt sind sicherlich Genre und Vorbilder. Im deutschen Kino stehen ja einige Genres gar nicht zur Verfügung, die geradezu durch ihre charismatische Männerrollen definiert sind: der Western zum Beispiel und sein futuristischer Ableger, der SF-Film; Kriegsfilme gibt es hier ebensowenig wie das ganze Weltrettergenre a la Bond und Stirb langsam; nicht mal zünftige Gangsterfilme gibt es hier, sondern nur ihr bundesdeutsches Komplement: den Krimi. Und in dem geht es ja weniger um eiskalte Engel und einsame Wölfe im Großstadtdschungel, die sich im Widerstreit von Überlebenswillen und Pflichtbewusstsein ihr eigenes moralisches Gesetz zurechtzimmern müssen und daran in wahrer Größe scheitern oder überleben, sondern: um Beamte mit Repräsentationspflicht, die Teamplayer sein müssen.
Dominik Graf, ein Meister in der Subversion von Genres, nutzt diese Beschränkung für seine eigenen Zwecke: "Deshalb drehe ich auch keine Gangsterfilme, sondern nur Filme über die Polizei. Dieser Behörden-Apparat, in der meistens über Kaffeekassen und Aktenordner gestritten wird – genau das ist für mich der ideale Ausgangspunkt, um sozusagen in die dunkelsten Gefilde des Universums aufzubrechen." Zwei starke Kommissare, die diese Bewegung vom Behördenalltag in die dunklen Gefilde aushalten, sind für mich Borowski (Axel Milberg, Tatort) und Tauber (Edgar Selge, Polizeiruf 110). Beide sind Eigenbrötler, machen ihren Dienst nie ganz nach Vorschrift und geraten durch ihre Sensibilität, ihr feines Sensorium für die eigenen und fremden Selbstlügen und Sehnsüchte meist in komplexe Beziehungen zu den Tätern und Opfern. Sie sind geistig und emotional immer in Bewegung, immer gefährdet, manipuliert zu werden von den anderen, gleichzeitig aber, oder gerade deswegen, mit einem fein getunten Gerechtigkeitsempfinden gesegnet, das sich nicht immer mit dem geltenden Recht unter einen Hut bringen lässt.
Ansonsten gibt es in Deutschland vor allem (Melo-)Dramen und Beziehungskomödien, zwei Genres, die starke Männerfiguren nicht gerade begünstigen. Dominik Graf begründet die starken Frauenfiguren in seinen 20.15-Uhr-Melos mit den Konventionen des klassischen Melodramas, in dem es meist die Frauen sind, die aus den unerträglich gewordenen Verhältnissen ausbrechen, während die Männer berufliche und persönliche Probleme in sich reinfressen. (Allein Martina Gedeck in Deine besten Jahre müsste ja eigentlich alle Klagen verstummen lassen, dass es im deutschen Film keine starken Frauen gibt). Und Beziehungskomödien zielen seit Doris Dörries Männer eh auf die Persiflierung des "starken Geschlechts" und seines Selbstverständnisses.
Sieht man sich mal die Männerfiguren in den Filmen der Berliner Schule an, fällt vor allem eins auf: Devid Striesow (Yella, Bungalow, Montag kommen die Fenster, Falscher Bekenner, Marseille). Also ein Schauspieler, dessen Porträt in den Magazinen meistens mit den Worten beginnt: "An sein Gesicht können Sie sich vielleicht nicht erinnern, aber gesehen haben Sie ihn bestimmt schon mal." Oder so ähnlich. Ins Negative gewendet könnte man sagen: Die männlichen Protagonisten der Berliner Schule sind ungreifbar, vage, passiv, eher unauffällig. Man könnte aber auch in den Chor der Striesow-Fans einstimmen und sagen: Sie sind vielseitig, wandelbar, eingestimmt auf die Bedürfnisse ihres Gegenübers. Eigentlich sind sie Frauenfiguren sehr ähnlich, den Gespenstern und ätherischen Wesen, die "Sie" bei Hochhäusler beklagt. In Yella ist das klassische Verhältnis, die Frau als Projektion des Mannes, sogar umgekehrt: Striesows Venture Capitalist ist ein Phantom von Yella, eine Manifestation ihrer Idealvorstellungen von einem Kerl/ihrer selbst, die mit Gesten, Blicken, Worten die Welt (des Kapitals) beherrscht.
Hmm. Man könnte ewig weiter sinnieren. Zum Beispiel über Axel Prahl und die von ihm verkörperten Figuren. Der Blog lädt geradezu ein zu diesem Schreiben, ein bisschen formlos, seinen Gegenstand beim Schreiben erst findend. Befreiend, aber auch ein bisschen beängstigend. Wo hört man auf?
Vielleicht noch ein paar Worte zu einer Konstellation, die eine große Faszination auf deutsche (und andere) Regisseure auszuüben scheint: Mädchen-Paare, die die Männer komplett überfordern. Ihnen buchstäblich die Hosen ausziehen, wie es Nina Proll und Claudia Basrawi mit dem armen Telekom-Manager Harald Winter in Die Quereinsteigerinnen machen. Man findet sie manchmal bei Klaus Lemke (Arabische Nächte, Träum weiter, Julia, Finale, Running out of Cool) und in geradezu klassicher Ausprägung in Christian Petzolds Gespenster. Sogar im deutschen Dokumentarfilm haben Mädchengangs gerade Konjunktur, in Prinzessinnenbad und Draußen bleiben zeigen sie, dass man auch ohne Jungs viel Spaß haben kann. Mädchen-Paare sind der wahr gewordene Männer-(Alb-)Traum: Blond und brünett zugleich, ab und zu mal lesbische Einlagen darbietend, einfach mehr Frau, als nur eine einzige sein kann. Aber eben auch entsprechend unberechenbar und undurchschaubar, ständig im Wandel, spielend wie in Rivettes Celine und Julie fahren Boot, bedrohlich wie in Mulholland Drive.
Christian Petzold: "In guten Filmen gibt es viele Bilder von der Frau, die alle davon erzählen, dass es nicht nur das eine Bild gibt." Merkwürdig, dass dieser Satz nicht halb so interessant und wahr klingen würde, wenn er von Männern handelt.
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2 Kommentare:
Hallo Julia,
HOSE RUNTER --- sehr interessanter Text auf Deinem (sowieso sehr schönen) Blog.
Die erste Antwort, die aus dem Kulturwald schallt, wenn man nach der Abwesenheit der „klassischen” Männerfiguren fragt, lautet ja: „Drittes Reich”.
Aber die männliche Heldenfigur war schon vorher eine Ausnahme, glaube ich. Natürlich, unter Goebbels Oberleitung ist Hans Albers auf der Kanonenkugel geritten und Luis Trenker hat mit dem Berg gekämpft --- aber es gab nicht annähernd das Selbstbewusstsein, die Dynamik und erotische Strahlkraft von, sagen wir, James Cagney, Cary Grant oder Henry Fonda im deutschen Kino. Auch die Männlichkeit von John Wayne, Clark Gable oder Robert Mitchum hatte nie ein Gegenüber. Die besten Regisseure vor und auch während der Nazizeit haben selten in den Heldengenres gearbeitet (etwa im Bergfilm als dem „deutschen Western”) und - mit der großen Ausnahme Fritz Langs - auch keine neuen Genres begründet. Die Männerfiguren bei Murnau (Nosferatu, Der letzte Mann, Faust, Tartüffe), Wiene (Das Cabinett des Dr. Caligari), Lubitsch (Die Puppe, Die Austernprinzessin, Madame Dubarry etc.), Pabst (Die Büchse der Pandora!), Sternberg (Der blaue Engel), Sirk (La Habanera), Schünzel (Victor und Victoria) usw. haben fast immer einen Schlag ins Lächerliche, wenn die Lächerlichkeit nicht sogar direkt Thema ist. Und die Gesichter, die einem sofort einfallen sind dann doch eher „Charakterschauspieler”: Peter Lorre, Heinrich George, Conrad Veidt, Gustaf Gründgens (der als „Schränker” in „M” ein toller Gangsterchef ist, aber eben doch weit davon entfernt, ein „Held” zu sein) und nicht die Harry Piels des deutschen Films. Und Fritz Lang, der überragende Innovator des Genrekinos (Abenteuer: Die Spinnen, Agenten: Spione, Science Fiction: Die Frau im Mond, Metropolis, Superhelden: Dr. Mabuse, Fantasy: Die Nibelungen) hat selten überzeugende männliche Helden hervorgebracht, finde ich...
Vielleicht ist diese Perspektive auch ungerecht, weil durch die Schablone des amerikanischen Erfolges gesehen...
Christoph
Noch was...
Wenn ich an Hans Albers, „den dicken Lehmann” Otto Wernicke oder an Leute wie Raddatz, Rühmann, Jannings denke - die in ihrer Zeit durchaus Idolcharakter hatten und Frauenherzen haben höher schlagen lassen - dann fällt mir auf, wie sehr sich unser Männerbild verändert hat. Albers etwa kommt mir gemütlich-väterlich, wenn nicht sogar (auf „Hausfrauenart”) feminin vor, die „amerikanischen” Attribute der Männlichkeit jedenfalls fehlen ihm völlig: die Sparsamkeit der Worte und Gesten (Gary Cooper), der „harte“ leistungsfähige Körper, der Flor der Einsamkeit...
Ich ertappe mich dabei, mich ein bisschen zu schämen für diese Männer. Seltsam eigentlich.
C.H.
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