27 November 2008

Schweigen brechen

The Wayward Cloud bricht sein Schweigen. Das klingt besser, bedeutungsvoller als: The Wayward Cloud ist zurück aus dem Urlaub. Oder: Sorry für die Sendepause. Das Schweigen brechen: Das klingt nach Gedankenfülle, die sich der Versprachlichung längere Zeit ganz bewusst enthalten hat, um sich dann aus freien Stücken und mit Sendungsbewusstsein wieder mitzuteilen. Volker Pantenburg hat ganz Recht, diese Enthaltsamkeit als eines der wesentlichen und bisher unterbewerteten Tugenden des Bloggens zu identifizieren, deren Schönheit auch gerade darin besteht, dass sie sich für den Leser nie ganz ausloten lässt. Das Schweigen eines Blogs, der einem ans Herz gewachsen ist, schafft eine bange Erwartungshaltung, die nie wirklich in Frustration umkippt, wenn das Warten auf ein neues Posting zu lange andauert, immer aber in der Freude des Beschenkten gipfelt, wenn dann wieder ein paar Worte, Bilder, Töne erscheinen.

Die Freude von The Wayward Cloud am Schreiben besteht im Suchen und Finden von Formen für die Dinge und Gedanken, die ihm gefallen. Ein wichtiger Teil dieser Form-Gebung ist das Auslassen, der Verzicht auf das Schreiben über oder auch nur das herablassende Erwähnen von Filmen und Meinungen, von denen in der Öffentlichkeit ohne Unterlass die Rede ist. The Wayward Cloud ist ein selbst geschnitzter Elfenbeinturm, eine Oase der Ruhe, in der Schweigen über fast alles herrscht, was in der Welt sich zuträgt. Das Besondere an einem Blog ist ja auch gerade, dass dieses Schweigen ein Stück weit vernehmbar wird, es verleiht Struktur und Spannung, als zeitlicher Abstand zwischen den Einträgen, als Insistenz auf bestimmten Gedanken und Motiven, die aufgrund der sie umgebenden Stille vielleicht ein wenig profilierter hervortreten.

Auch als Printjournalist schweigt man ja sehr viel, aus Überzeugung, Faulheit oder weil jemand anders den Auftrag bekommen hat. Doch im Print, im erwerbsorientierten Publizieren, wird dieses Schweigen nicht hörbar als ein interessegeleitetes, das einer Haltung entspricht. Die Verweigerung ist eine Geste, die in Zeitungen und Zeitschriften nicht abzubilden ist, außer als wortreiche Erläuterung der eigenen Beweggründe, die sich selbst in ihrem Doch-Sprechen-Wollen das Wasser abgräbt und sich vom nebenstehenden Jubel-Kommentar in ihrer Wirkung nicht unterscheidet. ("Pro und Contra" ist ja überhaupt eine der traurigsten Erfindungen des Pressewesens, kommt gleich nach Nachrufen und Leitartikeln.) Natürlich könnte man eine leere Seite abdrucken, aber diese Geste wird heutzutage eigentlich nie den Schreibern, sondern immer nur den Artdirectoren zugesprochen. Dann doch lieber konsequent die Schnauze halten.

Eine der wenigen sichtbaren Verweigerungshaltungen, die dem Filmkritiker bleibt, verdankt ihre für mich erstaunliche Wirkung auch der Tatsache, dass sie so selten genutzt wird: das Verlassen einer Pressevorführung mitten im Film, vielleicht auch schon nach fünf Minuten, denn mehr braucht es oft ja nicht, um zu erkennen, dass ein Film eine hoffnungslose Zeitverschwendung ist. Das passiert eigentlich nie, warum eigentlich? Sieht man mal von den Kritikern ab, die einen Auftrag haben oder als Redakteure sich eine informierte Meinung bilden müssen, bleiben immer noch viele freie Autoren übrig, die ihre Freiheit doch auch dahingehend nutzen könnten, statt sich den Arsch plattzusitzen etwas Schöneres mit ihrem Nachmittag anzufangen. Aufstehen und gehen: Das ist unprofessionell. Aber wann hat man sonst schon mal die Gelegenheit, der Professionalität eine öffentliche Absage zu erteilen.

Eine andere Freude des Bloggens: nicht das Schweigen, sondern das Erwähntwerden. Zwischen David Bordwell und New Filmkritik! Danke, Christoph Hochhäusler.

Ohne Worte, ein Geschenk, weitergereicht von Supposed Aura:


(Song: I'm A Living Sickness von Calico Wall; Film: Mods von Serge Bozon, 2002)

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