Action made in Thailand
Dass der Thailänder Tony Jaa nicht nur aufgrund des doppelten Vokals im Nachnamen ein ernst zu nehmender Nachfolger von Bruce Lee ist, hat er mit Prachya Pinkaews Ong-Bak 2003 eindrucksvoll bewiesen. Mit Muay Boran, einer mit Kung-Fu gekreuzten Variante des Thaiboxens, machte er eine Kampfsportart kinotauglich, die er, Legendenbildung muss sein, bei einer Reise durch die Dörfer Thailands den letzten praktizierenden Meistern abgeschaut hatte. Tony Jaa ist klein und schmal wie Bruce Lee und Stephen Chow, allerdings ohne die ausgeprägten Gesichtszüge und Muskelpakete des einen und den rhetorischen Witz des anderen. Mit seinen langen Haaren erinnert er etwas an Jackie Chan, doch er besitzt nicht dessen Verschmitztheit und Urbanität; Jaa stinkt nach Dorf. Er ist schnell und akrobatisch wie Jet Li, aber seine Bewegungsabläufe entstammen einem anderen Universum. Tony Jaa trat nicht in die Fußstapfen dieser Action-Heroen. Er flog mit einem gewaltigen Satz über sie hinweg direkt auf die Fontanelle eines jeden Gegners, der sich ihm in den Weg stellte. Im Ergebnis war Ong-Bak die ideale Mischung aus der Rohheit eines frühen Bruce-Lee- und der vergnügten Haudrauf-Naivität eines Bud-Spencer-Films, auf die man seit dem Ende der Bahnhofskinos sehnlichts gewartet hatte.
So simpel er seine Handlung strickt, so geschickt ist Ong-Bak bei der Inszenierung seines Stars, der hier in seiner ersten Rolle zu sehen ist. Nachdem er sich in einer schönen Auftaktszene aus einer Menge schlammbeschmierter junger Männer bei einem Wettkampf hervorgetan hat, ist Tony Jaa erst mal Zurückhaltung auferlegt. Eine erste Konfrontation in einem Fight Club erledigt er mit nur einer eleganten Bewegung. Wenn die aufgestaute Energie sich dann schließlich in einer Folge von drei Kämpfen gegen zunehmend psychopathische Muskelberge entlädt, gibt es kein Halten mehr. Ohne alle Tricks, ohne Seile und digitale Effekte, entfesselt Tony Jaa ein Folge so noch nicht gesehener Schlag- und Kicktechniken, bei denen häufig Ellenbogen und Knie eingesetzt werden.
Dass auffällig oft das Wort "Thailand" zu sehen war und die Story leicht nationalistische Untertöne hatte, erhöhte noch das Gefühl, dem längst fälligen Coming-out eines Kampfstils beizuwohnen, von dessen spektakulärem Potenzial man sich auch im Nachfolger Revenge of the Warrior (OT: Tom yum goong, 2005) überzeugen kann. Auch dieser zweite Film des Teams Prachya Pinkaew und Tony Jaa beherzigt alle Regeln, die spätestens seit Bruce Lees internationalem Durchbruch Enter the Dragon (1973) für das Vollkörperkontaktsport-Genre gelten: Verzicht auf männliche Oberbekleidung und weibliche Figuren, Respekt vor der regionalen Kampfkunst-Tradition gepaart mit individueller Weiterentwicklung der Kicks, unterdrückter Nationalstolz, der als Ein-Mann-Rache-Feldzug gegen die oft ausländischen Ausbeuter entfesselt wird, und ein Plot, der bei narrativem Minimalaufwand ein Maximum an Kämpfen erlaubt.
In Revenge of the Warrior ist es keine entwendete Buddhastatue, die Tony Jaa zur Weißglut und die Handlung vorantreibt, sondern ein geklauter Elefant. Um ihn aus den Fängen einer kulinarischen Mafia zu befreien, die Yuppies mit Delikatessen aussterbender Tierarten verköstigt, muss Jaa nach Australien und, klar, ordentlich draufhauen. Der Aufbruch vom guten Dorf in die böse Stadt, die Ausbeutung eines Nationalsymbols durch internationale Schurken, die ständige Promotion der Marke "Thailand": Dass man diesem narrativen Muster diesmal nicht mehr ganz so geneigt ist wie in Ong-Bak, hat nicht nur mit seiner simplen Wiederholung, sondern auch mit den etwas pomadigeren Fight-Sequenzen zu tun. Wieder arbeitet Jaa vornehmlich mit Knien und Ellenbogen, spaltet Schlüsselbeine und knackt Fontanellen, fliegt über Häuser und durch Scheiben und liefert unglaubliche Stunts. Doch der Wille, den Vorgänger zu übertrumpfen, äußert sich auch in einer comichaften Übersteigerung der Fights, was ihnen viel von ihrer Rauheit und Direktheit nimmt. Vor allem Jaas Amoklauf durch ein Gebäude voller Gegner, die er reihenweise wegkickt, und sein Schlusskampf gegen drei überdimensionierte Wrestling-Klöpse erinnern zu sehr an Videospielsequenzen, um die Intensität des Vorgängers zu erreichen.
Wer es noch grobschlächtiger mag, kann sich Nachschlag in Born to Fight (OT: Kerd ma lui, 2004) holen, bei dem Panna Rittikrai Regie führte, der bei fast allen großen Action-Produktionen aus Thailand für die Kampfchoreografien verantwortlich zeichnet. Der Auftakt ist furios: Bei der Verfolgung eines Drogenbosses durch Cops kommt es zu allerhand Fights auf den Dächern zweier fahrender Laster. Dabei wirbeln die Körper durch die Luft, allerdings fallen sie niemals direkt auf den Boden, sondern knallen immer erst mal auf eine Dachkante oder einen Vorsprung. Vor allem eine Szene, in der einer der Akteure zwischen der Wänden der Lkw hin und her prallt und schließlich nur um Haaresbreite von einem der Räder verfehlt wird, lässt einen an den thailändischen Sicherheitsvorkehrungen für Stuntmen zweifeln.
Das Geschehen verlagert sich schließlich in ein Dorf, das bei den Vorbereitungen zu einem Fest, zu dem Sportler aus Bangkok angereist sind, von Truppen überfallen wird, die drohen, alle umzubringen, wenn der verhaftete Boss nicht freikommt. Nach einiger erlittener Pein raffen sich Sportler und Dorfbewohner schließlich zu einer vereinten Leistungsschau thailändischer Tugenden und Trittvarianten auf. Ein Einbeiniger wirbelt durch die Lüfte, ein Fußballer kickt Handgranaten in die gegnerischen Reihen, ein kleines Mädchen offenbart bei Tony Jaa abgeschaute Knochenbrecher-Qualitäten. Der Versuch, die Action ganz basisdemokratisch auf viele unterschiedliche Akteure zu verteilen, ist an sich sehr sympathisch, doch trotz aller Stunts bleibt das Geschehen blass, da eine entscheidende Genreregel verletzt wird: Es darf nur einen geben. Ob nun Lee oder Jaa, es fehlt eine zentrale Figur, ein charismatischer Meister aller Klassen, dessen nackter und geschundener Oberkörper die Blicke des Publikums magisch auf sich zieht.
Prachya Pinkaews neuester Film Chocolate, der gerade auf DVD erschienen ist, zeigt vor allem, dass sich ein junges, autistisches Mädchen als zentrale Figur eines Fight Films überhaupt nicht eignet. Auch wenn die nach den Credits und im Making-of gezeigten Sequenzen den Beweis zu erbringen versuchen, dass der Körper der Schauspielerin Nicharee "Jeeja" Vismistananda während der Dreharbeiten genauso intensiv in Anspruch genommen wurde und genauso viele Blessuren erlitten hat wie der ihrer im Film häufig zitierten Vorbilder Tony Jaa und Bruce Lee: Im Getümmel der wie immer sorgsam von Panna Rittikrai choreografierten Actionsequenzen mangelt es ihrem schmalen Körper an der nötigen Präsenz und Schnelligkeit, die den Blick des Zuschauers fesselt und von den unfassbar stupiden Dialogen ablenkt.
Warten wir also auf Ong-Bak 2, in dem Tony Jaa so tolle Kampftechniken wie Tiger Taming Staff, Giant Falling Sweep und den Samurai Slasher hinzugelernt hat. Seine Mission: "To unite all martial arts into one":
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