06 Dezember 2008

Join Us

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema
"Filme sind für mich wie das Labor eines Magiers, sie erlauben dir, mit den Händen eine Welt zu kreieren. Am meisten reizen mich Probleme, für die ich dann Lösungen finden muss. Sonst zählt nichts, nur das: aus fast nichts eine Illusion zu schaffen." (Mario Bava)
In der Reihe Bizarre Cinema laufen ausschließlich 35-mm-Kopien, was weniger dem Anspruch an die Qualität des Bildes geschuldet ist, die bei alten Archivfilmen oft nicht gut ist, sondern dem Gefühl der Authentizität und der Spannung, die sich aus den vielen Rissen, Schnitten, Flecken des Zelluloids ergibt. Mir kommt es so vor, als ob die Zuschauer die Hinweise von Vorführern und Vortragenden zum prekären Zustand der Kopien lieben. Das betrifft zum einen ihren singulären, auratischen Zustand als letzte Exemplare ihrer Art, zum anderen die bangen Fragen: Wird er reißen? Ist er vollständig? Letztes Jahr bei einer Vorführung von Infra Superman hat das ausverkaufte Haus bei jedem der mitgezählten acht Filmrisse frenetisch applaudiert. Das hat viel mit dem gemeinschaftlichen Aspekt des Schauens im Kino zu tun, wo sich die Emotionen gegenseitig verstärken, vielleicht aber auch mit einer Wiederkehr der Magie des Kinos im Sinne von Bava, als Innewerden der Tatsache, dass nicht nur der Film von Händen geschaffen ist, sondern auch seine Vorführung, bei deren Unterbrechung der arme Kerl oben in seiner Kabine schnell eine Lösung finden muss, damit die Illusion nicht allzu lange unterbrochen wird.

Spannend ist die Frage nach dem Zustand der Kopie auch für die Schnitt-Buchhalter, die bei jeder herausgeschnittenen Szene aufstöhnen, aber trotzdem glücklich sind, das Ding endlich mal wieder auf der Leinwand zu sehen.

Brüche, Lücken, Schnitte zeichnen nicht nur viele Kopien aus, die bei Bizarre Cinema aus, sie sind auch ein wesentliches Kennzeichen der Filme, die im Rahmen der Reihe laufen. Nicht nur im anatomischen Sinne, sondern auch erzählerisch, formal, produktionstechnisch. Noch lieber als Geschichten über verlorene, wiedergefundene und verbotene Kopien hören die Zuschauer Geschichten über die Finessen von Filmemachern wie Roger Corman, Lucio Fulci, Rolf Olsen und Mario Bava, die unter Budget- und Zeitdruck die Kunst der Improvisation perfektioniert haben, um mit fast nichts möglichst starke Effekte zu erzielen.

Koautorin Laura Betti erzählt über die Dreharbeiten zu Mario Bavas Bay of Blood, der auf dem Besitz des Produzenten Giuseppe Zaccariello gedreht wurde:
"Ein großer Teil der Handlung sollte sich im Wald abspielen. Aber wo war der Wald? Bava sagte: 'Macht euch keine Sorgen, ich mach euch einen Wald.' Er trieb dann einen Blumenhändler auf, der kleine Ästchen verkaufte, an denen ein paar Blätter hingen, und Bava ließ sie vor der Kamera tanzen. Wir mussten alle Einstellungen genau vor diesen Ästen drehen – wenn wir die Kamera auch nur einen Zentimeter nach links oder rechts bewegten, verschwand der Wald."
Die 70er Jahre waren auch die Dekade, in denen ein Handwerk zu Ruhm kam und mit ihm die Männer, die es als Nachfahren von Ray Harryhausen zu neuen und kunstblutroten Höhen führten: die Kunst der Spezialeffekte und seine bekanntesten Vertreter wie Gianetto de Rossi, Tom Savini oder auch Carlo Rambaldi, der die Tricks für Bay of Blood austüftelte. Später musste er als erster FX-Künstler vor Gericht den Beweis erbringen, dass seine Effekte nicht real sind, es ging um eine Hunde-Verstümmelungsszene in Lucio Fulcis Lizard in a Woman’s Skin. Die Behauptung "No animals were harmed in the making of this picture" erwies sich letztlich als wahr, Fulci musste nicht für zwei Jahre in den Knast, Rambaldi arbeitete später an Deep Red, Alien, Close Encounter of the Third Kind, E.T.

Mit seinen 13 stilisierten Morden ist Bay of Blood einer der Vorfahren des Slasher-Genres, über das Tom Savini, der Michelangelo des drastischen Filmtodes, in dem Dokumentarfilm Going to Pieces sagt: "Es geht darum, den Tod auf noch nie zuvor gesehene Weise zu gestalten." Blutiger, überraschender, schöner.

Evil Dead von Sam Raimi und Rob Tapert, der 1979-80 in der Nähe von Morristown, Tennessee für 380.000 Dollar entstand, war 1983 der meistverkaufte Videofilm in Großbritannien, noch vor Stanley Kubricks Shining. Der Erfolg des Films verdankt sich der perfekten Ergänzung zweier Talente: Sam Raimi, dem es dank seines unerschöpflichen Erfindungsreichtums gelang, eine aus den Angeln gehobene Welt auf die Leinwand zu zaubern, und Bruce Campbell, dessen Spiel an die alte Schule der Slapstick-Meister erinnert, die einen stoischen Kampf gegen eine entfesselte Objektwelt führen. In seinem Buch If Chins Could Kill (aus dem auch sämtliche unten stehenden Zeichnungen stammen) erzählt Bruce Campbell viel über die Dreharbeiten des Films (meine Übersetzung).

Bruce Campbell trotzt in Evil Dead der Verflüssigung

Bruce Campbell über die Hütte:
"Schließlich, am 13. November 1979, einen Tag vor Drehbeginn, fanden wir eine passende Hütte. Visuell war sie perfekt. Von der rustikalen Heimstatt führte ein zugewachsener, ungefähr eine Meile langer Weg in ein wildes und einsames Tal. Es war Bilderbuch-Tennessee, genau das Richtige für Hinterwäldler. Praktisch gesehen war der Ort jedoch ein Alptraum. Wie wir bald herausfanden, handelte es sich nicht um irgendeine Hütte, sie hatte eine Geschichte. In den 30er Jahren, so sagt man, lebte dort ein junges Mädchen namens Clara mit ihrer Familie. Eines Nachts wütete ein fürchterlicher Sturm durch das Tal. Während dieses Sturms wurden beide Eltern auf brutale und bis heute ungeklärte Weise umgebracht. Das traumatisierte Mädchen, das diesem Schicksal entronnen war, irrte durch die Wälder, bis Nachbarn sie fanden. Bis heute verlässt Clara in jeder Sturmnacht das Heim, in dem sie untergebracht ist, und durchstreift die Gegend auf der Suche nach ihren Eltern. Nur wenige Tage, bevor wir ankamen, war sie in den Hügeln hinter der Hütte gesichtet worden. Na ja, ob es Clara nun gibt oder nicht, die harten Fakten waren, dass wir weder Elektrizität noch fließendes Wasser noch einen Telefon in der Hütte hatten. Rinder hatten hier gehaust und den Boden jedes Zimmers mit einer ordentlichen Schicht Fäkalien bedeckt. Es gab keine Türen, die Räume waren sehr klein und die Decken niedrig. Das bedeutete eine Menge Arbeit für uns. Da wir nebenbei drehen mussten, wurde beschlossen, dass die Hütte parallel zu Außenaufnahmen umgebaut wird. Jeder, der für eine Szene nicht gebraucht wurde, musste mit anpacken, Schauspieler eingeschlossen. Es mussten Wände eingerissen, Decken erhöht und ein Keller mit Falltür ausgehöht werden."
Über das Make-up:
"Die Schaupieler, die besessene Monster darstellten, wurden mit Scolero-Kontaktlinsen ausgestattet. Das waren nicht die weichen, leicht zu entfernenden Linsen für sensible Augen, die man heute trägt, sondern sie waren aus reinem Glas und verdammt groß – sie bedeckten zwei Drittel der Augen. Um einen Vergleich zu haben, sollte man versuchen, sich den Deckel einer Tupper-Dose über ein Auge zu stülpen. Weil durch die Linsen keine Luft an die Augen kam, konnte man sie nur 15 Minuten am Stück drinbehalten. Da schon das Einsetzen zehn Minuten dauerte, brachte das einige Schwierigkeiten mit sich. Wenn es mir während der Dreharbeiten mal wirklich schlecht ging, ergötzte mich daran, dass ich wenigstens nicht diese verdammten Linsen tragen musste."
Über die Kamera-Tricks:
"Ziemlich bald offenbarte sich der Regiestil von Sam Raimi. Er war noch nie besonders interessiert an Mastershots, also Einstellungen, die einen Überblick über die Szene geben. Er war viel geschickter darin, Szenen in viele kleine Einstellungen aufzulösen, die auf seinen unzähligen Zeichnungen basierten. Das erlaubte ihm eine große Präzision, aber es ist keine sonderlich hilfreiche Methode für Schauspieler, die gern den Zusammenhang ihres Handelns vor der Kamera verstehen möchten. Doch da wir alle sowieso keine Ahnung vom Schauspielen hatten, machte es nicht wirklich einen Unterschied. Sam war auch nicht an halbnahen oder Großaufnahmen interessiert, wie sie im Fernsehen benutzt werden. Stattdessen wurde ich aus jeder erdenklichen Perspektive gefilmt. Zum Beispiel gibt es im Film eine Sequenz, die komplett aus einer 45°-Grad-Kameraneigung gedreht wurde. Das bedeutete einen unglaublichen Aufwand. Wir alle dachten, Sam sei verrückt geworden, als er uns seinen Plan enthüllte, aber das Ergebnis spricht für ihn. Dank Sams Kühnheit und Erfindunsgreichtum entstanden während des Drehs eine Menge technisch nicht sehr auwendiger, aber äußerst wirkungsvoller Kameratricks. Zuerst drehten wir Tracking Shots noch mit einem Rollstuhl, doch als die Bewegungen glatter laufen mussten, kam die

zum Einsatz. Im Prinzip ist das ein Dolly für Arme: ein Holzbrett auf zwei Sägeböcken. Dem Brett wurde mit Klebeband eine glatte Oberfläche verpasst, die dann mit Vaseline eingeschmiert wurde. Anschließend wurde die Kamera an einem U-förmigen Holzstück befestigt, das auf der Vaseline hin und her gleiten konnte. Diese Vorrichtung war leicht, problemlos zu transportieren und vor allem billig.

Die nächste aus der Not erfundene Erfindung war die

das genaue Gegenteil von seinem Big-Budget-Bruder, der Steadicam. Unsere Version bestand aus einem schlichten Holzbrett, an das die Kamera geschraubt war. Der Kameramann schraubte vorn ein Weitwinkelobjektiv drauf, packte das Brett an beiden Enden und rannte wie ein Bekloppter los. Im Film wurde daraus eine böse, frei schwebende Entität, die mit einem Satz über hohe Büsche hinwegkommt. Dann gab es noch den

der nach seinem ersten Opfer Ellen Sandweiss benannt wurde. Der Trick basierte auf einem altbekannten Zaubertrick und erlaubte es ihr, ohne Drähte wie ein besessener Dämon in der Luft zu schweben. Und wer könnte die gute alte

vergessen? Sie brauchen einen Dämon, der durch eine Fensterscheibe kracht? Kein Problem. Der Trick bestand aus einer besenähnlichen Vorrichtung, die das Fenster ganz gefahrlos ein Stück vor der Kamera durchbricht. Mit einem Einkaufspreis von 3,50 Dollar verhindert sie außerdem empfindliche Einschnitte im Budget.

Und dann gab’s da noch die Szene, in der die von Teresa Seyfarth dargestellte Figur mit einer Axt zerlegt wird.

Da wir für den Film kein Rating im Auge hatten und uns die Richtlinien der MPAA deshalb egal waren, dachte Sam, es wäre cool, wenn die einzelnen Körperteile auf dem Boden weiterzappeln würden. Das bedeutete, dass Teresa sich zum Teil unterhalb des Bodens befinden musste, während ihr speziell angefertigte Bretter um den Hals herum angebracht wurden. So konnte sie ein zugleich enthauptetes und bewegliches Wesen bleiben. Rob Tapert, der sich in einem Anfall von Wahnsinn bereit erklärt hatte, Teresas abgetrennten Arm und ihr Bein zu spielen, musste sich direkt neben ihr platzieren. Das, was unter den Bodenbrettern von ihren Körpern zu sehen war, erinnerte an eine pervertierte Form des Spiels Twister. Stunden später, als alles für die Aufnahme vorbereitet war, setzten bei Rob Beinkrämpfe ein."
Das Böse selbst kommt im Film als für sich existierendes Wesen gar nicht vor, es manifestiert sich durch Medien: die befallenen Kids und die entfesselte Kamera, deren rasende Point-of-View-Fahrten den Zuschauer selbst in die Rolle des entkörperlichten Bösen hineinzwingen. Wie alle großen Splatterfilme handelt Evil Dead mit seiner sich in den mal lockenden, mal fordernden Dämonen manifestierenden Angst-Lust-Dialektik ("Join us" vs. "We are gonna get you") von der Lust an der Entkörperlichung, in der sich die Differenz zwischen Ich und Welt auflöst.
"Auf dem Höhepunkt zerstückelt die Schnittechnik die Bilder so, dass oben und unten, fern und nah, dort und hier nicht mehr getrennt wahrgenommen werden können. Alle Mittel, die wir haben, um uns zu orientieren, ob Wasser oder Spiegel, Boden oder Luft, Gegenstand oder Bild, sind in Auflösung." (Helmut Hartwig, 1986)
Tanz der Teufel, die deutsche Fassung von Evil Dead, lief ab dem 10. Februar 1984 in einer ungeschnittenen Fassung in den deutschen Kinos, bis die Münchner Staatsanwaltschaft den Film dann im Juli beschlagnahmen ließ. Ein Jahr früher hatte das Landgericht erstmals einen Film wegen des Verstoßes gegen den § 131 StGB bundesweit aus dem Verkehr gezogen, es handelte sich um William Lustigs Maniac.
§ 131 StGB
Gewaltdarstellung

(1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
William Lustig, der heute DVDs und Hintergrundfilme produziert, erst als einer der wichtigsten Männer bei Anchor Bay und Elite, heute für sein eigenes Label Blue Underground, drehte Maniac mit einem extrem kleinen Budget. Gearbeitet wurde meist nachts ohne Drehgenehmigung auf der Straße mit vorhandenem Licht, zum Beispiel bei der berühmten von Tom Savini gestalteten Schrotflinten-Szene, die in Lustigs Privat-Pkw gedreht wurde. Um den unangenehmen Gesamteindruck des Films zu verstärken, der konsequent aus der Perspektive des Killers erzählt ist, experimentierte Lustig mit dem neuen Dolby-Stereo-Ton. Die Soundeffekte liegen häufig in sehr hohen oder niedrigen Frequenzen und sind in den Hintergrund gemischt, was das Gefühl einer ständigen, nicht in den Bildern lokalisierbaren Bedrohung hervorruft.

Die wirklich Beunruhigende an Maniac ist aber Joseph J. Spagnuolo aka Joe Spinell, der vorher kleine Rollen in Godfather, Taxi Driver, Rocky und Cruising gespielt und auf besser bezahlte Angebote verzichtet hatte, um die Rolle des Killers übernehmen zu können. Spinell schrieb die Vorlage zum Film und viele der Dialoge, von ihm stammte die Idee, Kindesmisshandlung zu thematisieren, und angeblich konsumierte er exzessiv Drogen und Alkohol, schlief wenig und trank viel, um so auszusehen, dass man sein Gesicht nach Maniac tatsächlich nie wieder vergessen kann.

Joe Spinell ist Maniac

Der Song Maniac von Michael Sembello wurde eigentlich für William Lustigs Film geschrieben, aber nicht verwendet. Er landete später, leicht verändert, in Flashdance und wurde ein Nr.-1-Hit. Hier sind die Originalzeilen des Refrains:
He's a maniac, maniac that's for sure
He will kill your cat and nail it to the door.
********************************************

Die nächsten Termine der "Bizarre Cinema"-Reihe, die im 3001-Kino läuft:

Sonntag, 14.12., 14.15 Uhr: Sadomona – Insel der teuflischen Frauen
USA 1974; Regie: Robert Lee Frost
mit einer Einführung von Michael Ranze

Sonntag, 21.12., 15 Uhr: The Hidden
USA 1987; Regie: Jack Sholder
mit einer Einführung von Peter Clasen

Sonntag, 28.12., 14.45 Uhr: Das Schwert des gelben Tigers aka The New One-Armed Swordsman
Hongkong 1971; Regie: Chang Cheh

Im Frühjahr geht es dann weiter, unter anderem mit Brian Yuznas Society, Zoe Lund als Ms. 45 und einem Nachmittag mit Jack Stevenson

********************************************

Demnächst bei The Wayward Cloud: Specials zu William Girdlers Grizzly und John Carpenters Assault on Precinct 13, eine kleine Kulturgeschichte des Bankraubs anhand von Rolf Olsens Blutiger Freitag und die besten Zitate aus Texas Chainsaw Massacre 2

Keine Kommentare: