26 Dezember 2008

Wo dein Geld ist

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema # 2
>> #1 Join Us // Evil Dead
"Die hier gezeigten Ereignisse beruhen auf ähnlichen Begebenheiten der jüngsten Zeit. Aus naheliegenden Gründen wurden Fakten und Namen geändert. Mit der Wesentlichkeit gewisser Realitäten hat dies nichts zu tun."
Die Ereignisse, auf die Rolf Olsens Blutiger Freitag (1972) in klassischer Exploitation-Manier Bezug nimmt, ereigneten sich am 4. August 1971. Georg Rammelmeyer und Dimitri Todorov überfielen damals eine Deutsche-Bank-Filiale in der Münchner Prinzregentenstraße und nahmen 18 Geiseln. Es war der erste deutsche Fall einer Geiselnahme während eines Banküberfalls, eine Situation, die sowohl für die Polizei als auch für das Publikum auf der Straße und vor den Fernsehern eine Premiere darstellte. Rammelmeyer und Todorov forderten ein Fluchtauto und zwei Millionen D-Mark für die Freilassung der Geiseln. Alles war neu an diesem Ereignis: die Dehnung der Geschehens, das war kein Rein-Raus-Job alter Schule mehr. Die Absperrung der Bank, die sich bildenden Zuschauermassen, das Verhandeln am Telefon, der psychische Stress von Räubern und Geiseln, die immer schon absurde Idee der Flucht im gestellten Wagen. Der Wandel von Tag zu Nacht, mit seinem Stimmungswechsel. Die Gewalt der Täter und Polizisten. Kurz vor Mitternacht steigt Rammelmeyer mit einer Geisel in den bereitgestellten Fluchtwagen, beide werden sofort von Scharfschützen erschossen.

Rein in die Bank: Heinz Klett (Raimund Harmstorf, M.)
und Komplizen in Blutiger Freitag

Im September 1971 ereignete sich auch in London ein spektakulärer Bankraub, dessen Verfilmung The Bank Job gerade auf DVD erschienen ist. Außer dem urbanen Setting und der Tatsache, dass es sich um einen Überfall handelte, der aufgrund seiner Größenordnung weitere Raubzüge überflüssig machen sollte, haben die Ereignisse von München und London nicht viel miteinander gemein. Während in der Prinzregentenstraße vor allem schiere Gewalt und Durchhaltevermögen zum Einsatz kamen, standen in London technische Finesse und detaillierte Vorausplanung im Mittelpunkt, alles war auf die Unsichtbarkeit des Einbruchs hin geplant, der durch einen Tunnel zum Tresor gewährleistet wurde. In München war alles auf die drohende Präsenz der sichtbaren Kriminellen-Körper hin inszeniert, was Olsen aufgreift. Er treibt die Ikonisierung des Körpers ins Extrem, indem er bei jeder sich bietenden Gelegenheit den in schwarzes Leder gewandeten Leib von Raimund Harmstorf (alias Heinz Klett alias Rammelmeyer) ins Bild schiebt und durch Close-Ups seines Genitalbereichs keinen Zweifel daran lässt, dass Ficken, Töten und Banken überfallen eins sind für diese Figur.

Die Mannen, die Lloyds in der Baker Street im September 1971 um 500000 Pfund erleichterten, waren hingegen noch Nachkommen von perfekt kooperierenden und technisch versierten Teamarbeitern wie den deutschen Sass-Brüdern oder solcher genialischer Gentleman-Gaunern, denen man in Filmen wie Rififi oder Topkapi gern dialoglose Minuten lang bei ihrem Tun zuschaut, das sich durchaus als Handwerk im klassischen Sinne verstehen lässt, mit überlieferten Traditionen, Meistern und Schülern. Diese auf das Überwinden immer komplexer werdender Systeme ausgerichtete Kunstform des Safeknackens war in den 1960er Jahren allerdings schon am Aussterben. Die meisten Überfälle dieser Zeit (der Höhepunkt in den USA war 1967 mit 430 Delikten dieser Art) fanden auf schlecht gesicherte Provinzfilialen statt und wurden häufig von Nichtprofessionellen durchgeführt, wie man sie in Blutiger Freitag an der Seite von Heinz Klett sehen kann.

Raus aus der Bank:
Walter Matthau als Charley Varrick


Die schönsten cineastischen Ausprägungen dieses Amateur-Typus, der nie den großen Coup schafft, sondern sich mit vielen kleinen über Wasser hält, sind wohl Arthur Penns Bonnie und Clyde und Don Siegels Charley Varrick, Filme, die sich weniger mit der Schilderung des Geschehens in den Banken als mit dem Danach beschäftigen, mit dem Verstecken, Untertauchen und dem Aufteilen der Beute. Auch diese Form des Banküberfalls lebt von gemeinschaftlichem Handeln, der Raub hat außerdem oft das utopische Flair einer gemeinschaftlichen Befreiungstat, oft ist es das Geld großer, als ausbeuterisch gekennzeichneter Korporationen oder des organisierten Verbrechens, das hier umverteilt wird.

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen, bessere Tresore, schusssichere Kassenboxen und komplexere Alarmanlagen machten zu Beginn der 70er Jahre diese Form des Rein-Raus-Überfalls aber immer weniger lukrativ. Wie eine Reihe spektakulärer Aktionen zu Beginn der 70er zeigten, Vorbild für Rammelmeyer und Todorov war zum Beispiel ein ähnlicher Überfall in Toulouse, reagierten die Täter, indem sie vom Land in die Stadtzentren gingen, wo das richtig große Geld war, und dort alles auf eine Karte setzten. Es entstand ein neuer Typus des Räubers, der des zu allem bereiten Heinz Klett, der Raub als rein ökonomisch ausgerichteten Kraft- und Gewaltakt versteht, in dessen Zentrum die Geiselnahme steht.

Es entstand eine neue Qualität der Gewalt auf beiden Seiten und eine neue Form des öffentlich-medialen Spektakels, dem Sidney Lumet in Dog Day Afternoon (1975) seine klassische Form verlieh. Diese Form des Überfalls zielt zwar noch auf das Geld in den Tresoren der überfallenen Bank, mit dem Sonny (Al Pacino) seinem Freund Sal (John Cazale) eine Operation finanzieren will. Doch da die Polizei so schnell am Ort ist, beginnt das Geschehen sich schnell zu dehnen und unübersichtlich zu werden, und man kann schön sehen, wie daraus die neue Ikonografie des 70er-Bankraubs entsteht: Belagerungssituation, Telefonverhandlungen, Zuschauermassen.

Die neue Bühne des Bankräubers: Sonny (Al Pacino) verhandelt
in Dog Day Afternoon vor der Bank


Doch die Verbrecher adaptierten sich an die neuen Verhältnisse ebenso schnell und geschickt wie die Tresorhersteller und Leiter der Sondereinsatzkommandos, die im Laufe der 70er Jahre in allen großen deutschen Städten gebildet wurden. Eine neue Variante des urbanen Banküberfalls mit Geiselnahme ist das Verschwinden des Täters nicht mit einem Fluchtwagen durch den Vorderausgang, was ja meist zu Blutbädern führte, sondern durch Verkleidung und Mimikry. Diese neue Form des Kostümierungs-Bankraubs fand ihren filmischen Ausdruck in Alexandre Arcadys Der Boss von 1985. Jean-Paul Belmondo spielt darin den Bankräuber Grimm, der als Clown verkleidet eine Bank in Montreal überfällt und 30 Geiseln nimmt – zwei davon sind getarnte Kompagnons. Später wird sich Grimm vom Clown in einen alten Mann verwandeln und so die Bank unbehelligt verlassen können.

Das absolute Meisterwerk dieses Subgenres, bei dem Täter und Geiseln durcheinandergemischt werden, ist übrigens am 30. Dezember, um 20.15 Uhr im ZDF zu bewundern: Spike Lees Inside Man.

Drinnen ist das neue Draußen: Clive Owen ist der Inside Man

Cyberspace, so erklärte es einmal der Autor William Gibson, das ist dort, wo dein Geld gerade ist. Wie viele Menschen zurzeit feststellen müssen, ist dieser Ort schwer zu lokalisieren, was auch neue Herausforderungen für eine neue Generation von Bankräubern bereithält, die vom Tresor-Knacken auf digitale Manipulationen umschulen müssen. Was noch aussteht, ist ein stilbildender Film über das physische Verschwinden des Geldes und des Täters in der Online-Kriminalität. Bisher ist es noch niemandem gelungen, auf Computertastatur-Gehacke zu verzichten oder es sexy zu inszenieren. Oder weiß jemand ein gutes Beispiel?

Wer sich eingehender mit der "Volkskunde des Bankraubs" auseinandersetzen möchte, dem sei das Blog Where the money is … empfohlen, das den kultur- und mediengeschichtlichen Aspekten dieser Form der Gelbeschaffung gewidmet ist.

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