16 Januar 2009

The Magic Number

Now you may try to subtract it
But it just wont go away
Three times one?
(what is it?)
(one, two, three!)
And thats the magic number
De La Soul haben wie immer ganz Recht: Die 3 ist eine magische Zahl. No More No Less. Einer weniger, und man hat ein Pärchen, das sich bis in alle Ewigkeit bespiegelt und niemals vom Fleck kommen wird. Endlose unwandelbare Ordnung, ein Equilibrium der Langeweile, wie es Calisto und seine Freundin im ersten Stockwerk in Thomas Pynchons Entropie gefangen hält. Einer mehr, und man hat eine Vielfalt, die nach neuen Regeln des Umgangs verlangt, die Interessen vervielfachen sich, das Gleichgewicht ist gestört. Entropisches Chaos, eine Fiesta der sich überlagernden und gegenseitig konterkarierenden Interessen. Jenseits der 3 beginnen die vielen, die immer mehr nach sich ziehen, so wie bei Meatball Mulligans ausufernder Party im Erdgeschoss in Pynchons Kurzgeschichte. Die 3 ist die Zahl zwischen Ordnung und Chaos.

"Without my 1 and 2 where would there be my 3": De La Soul

Mir ist schon oft aufgefallen, dass mein Nachdenken über Filme immer erst dann beginnt, wenn ein Drittes hinzukommt. Gegenüber der Leinwand sitze ich meist wie das Kaninchen vor der Schlange, fasziniert oder entsetzt oder dumpf vor mich hinbrütend. Meine Ermahnungen zur Wachsamkeit, zur Analyse der Konstruktion der Bilder und Sequenzen, zur kritischen Distanz laufen meist ins Leere, bewegen sich entlang der Spuren, die der Film selbst gelegt hat. Eine richtig gute Idee zu einem Film ist mir im Kinosaal selbst noch ganz selten gekommen. Es sei denn, es handelte sich um einen anderen Film als den, der gerade lief. Etwas muss hinzukommen, etwas Äußeres, ein Drittes, über das ich einen Zugang finde zu dem, was ich direkten Blickes nicht durchschauen kann.

Am schönsten ist es immer, wenn diese magischen Dreieckswerdungen sich plötzlich und unverhofft einstellen. Kurz nach Petzolds Jerichow sah ich Billy Wilders Double Indemnity, und die Assoziationskette nahm ihren Anfang. Das Dreieck Wayward Cloud - Jerichow - Double Indemity erlaubte es mir plötzlich, über die magische Zahl 3 nachzudenken. Beide Filme basieren auf Werken von James M. Cain, die von Mordgeschichten in unguten Menages a trois erzählen. Das ist der tragische Fall einer solchen Konstellation: 3 sind einer zu viel. Der eine ist meistens ein Mann, der durch einen anderen ersetzt wird. Was mir besonders einen Schauer über den Rücken jagte in Double Indemnity, war die Szene kurz nach dem Mord, in der Walter Neff (Fred MacMurray) abends spazieren geht und plötzlich innehält, weil er seine Schritte nicht mehr hören kann. Er ist ein "lebender Toter" geworden, wie er selbst sagt.

3 sind 1 zu viel: Barbara Stanwyck, Tom Powers und
Fred MacMurray in Double Indemnity


Dieses Sterben des Mörders ist in Jerichow sehr präzise dargestellt. Das ist mir bei Petzold erst richtig bewusst geworden, dass mein "Nein, tu es nicht!" bei Mordszenen weniger der Sorge ums Opfer geschuldet ist als der um den oder die Mörder. Da ihre Tat nicht rückgängig zu machen ist, gibt es auch keine Möglichkeit der Buße oder Sühne, nur ein mehr oder weniger langes Dasein im Schatten des Todes, aus dem es kein Entrinnen gibt. Dieses Todesreich, in dem sich die lebendigen Schuldigen bewegen, wird im Film gern akustisch repräsentiert. Man denke nur an die unheimlichen Stillephasen in Carnival of Souls, die Petzold auch in Yella verwendete, oder die ausbleibenden Schritte von Walter Neff.

Indem die leeren Figuren Laura und Thomas beschließen, den Dritten Ali und die durch ihn repräsentierte Fülle aus der Welt zu schaffen, verbauen sie sich jeden Weg in die Vielfalt, in lebendige Dasein in einer Gruppe. Oder, wie Petzold es sagt: Indem sie sich aus der Gesellschaft ausschließen, verstehen sie sie zum ersten Mal.
Ich glaube, in diesem Moment, wo die Figuren bereit sind, den Mord zu realisieren, und dann erfahren, dass es nicht mehr "notwendig" ist, weil das Opfer an einer Krankheit sterben muss und sich mit diesem Tod die Wünsche der Täter realisieren, ist alles vorbei. In diesem Moment ist man aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Man ist nicht mehr gut, man ist nicht mehr böse, man ist nichts mehr. Und dieses Nichts, in das beide zum Schluss geraten, ist das Nichts, vor dem sie die ganze Zeit geflohen sind, vor dieser Aussichtslosigkeit einer Biografie. Gleichzeitig ist es aber auch eine Katharsis. Gleichzeitig verstehen sie zum ersten Mal "Gesellschaft". (Christian Petzold im Interview zu Jerichow)
Um es noch mal mit De La Soul zu sagen: Now you may try to subtract it. But it just wont go away. Der Dritte bleibt, und wenn auch nur als Gespenst. Wenn man ihn am Leben lässt, die neuen und fremden Gedanken, die er ins Spiel bringt, fortspinnt, kann man über die 3 hinausgelangen und sein Leben und seine Ideen bereichern. Zum Beispiel wenn man über die Perücke von Barbara Stanwyck in Double Indemnity nachdenkt. Die sieht genau aus wie die, die Patricia Arquette in David Lynchs Lost Highway auf dem Kopf trägt, ein weiterer Film über eine Frau zwischen zwei Männern, die vielleicht ein und derselbe sind. Die Spur der falschen Haare führt weiter zu Brigitte Bardot, die sich in Godards Le mepris eine schwarze Perücke auf den Kopf setzt und damit, vielleicht, eine weitere tödlich endende Dreiecksgeschichte in Gang setzt.

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