Was waren das für schöne Zeiten damals in den 1980er Jahren. In einem kleinen Kino in der Kieler Straße fanden sich allabendlich Hamburger Filmfreaks, Punks und andere Außenseiter zusammen. Nacht für Nacht schien dort alles möglich zu sein, SPK lieferten den Noise-Soundtrack für eine Leinwand-Zahnoperation, Peter Jackson zeigte Dias der Special Effects von Bad Taste. Im Alabama Kino wurde von Last House on the Left über obskure Pornos bis zu Dokus über Nierenoperationen in Russland die ganze schöne Welt des Undergroundkinos noch einmal lebendig.
Das ist längst Geschichte, doch die Sehnsucht nach dem kommunalen Genuss tabuisierter Bildern lebt fort. Fortgeführt wird die Tradition von Reihen wie Delirio Italiano/Erotico und Bizarre Cinema, die alles bieten, was die gesegneten 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts an unverdaulichem Augenfutter hervorgebracht haben. Und dann gibt es da noch einen Mann, der alle paar Jahre nach Hamburg kommt und dort sein umfassendes Wissen über die abseitigen Aspekten des Zelluloids präsentiert: der amerikanische Underground-Archivar Jack Stevenson.
Seit 1986 stellt Stevenson Schmuckstücke aus seiner umfangreichen Sammlung zu Programmen zusammen, die er mit filmhistorischen Vorträgen erläutert. Stevensons Material sind 16mm- und 35mm-Filmrollen und -schnipsel, die er in Labors, auf Flohmärkten und Auktionen, auf Müllkippen und in bankrotten Kinos findet, wobei er nur einer simplen Regel folgt: "Die Filme müssen in irgendeiner Weise bizarr, schockierend oder pervers sein." Sein Keller in Dänemark, wo er seit 1993 lebt, beherbergt ein einmaliges Archiv des verdrängten Films.
Eines seiner liebsten Steckenpferde, zu dem er auch seit einigen Jahren an einem Buch schreibt, ist das skandinavische Sexkino der 60er Jahre. Schweden und Dänemark waren Vorreiter bei der sexuellen Revolution, wie Stevenson erläutert: "In Schweden wurden schon in den 50ern Sexfilme gedreht, in Dänemark ging es erst so ab 1962 los. Nachdem dann 1969 die Zensur in Dänemark komplett abgeschafft worden war, erlebte das Land eine Porno-Explosion, deren Schockwellen in der ganzen Welt zu spüren waren. USA und Deutschland waren bald die größten Märkte für skandinavische Sexfilme."
Stevenson ist kein Sammler, der sein Material hinter Panzerglas für die Ewigkeit konservieren will, ihm geht es um den Live-Aspekt seiner Screenings, die Momente, in denen sich dem Publikum kollektiv die Nackenhaare sträuben. Endlich mal wieder Gelegenheit dazu hat man nächsten Samstag, den 14. Februar, im 3001-Kino. Um 23 Uhr präsentiert Jack Stevenson dort Anna Billers 70s-Porn-Hommage Viva, in der sich eine gelangweilte Hausfrau in eine Welt aus Swinger-Clubs, Nudisten-Camps, Hippie-Drogen-Partys, Prostitution und Bohemian Lifestyle begibt. Mehr Infos und Bilder finden sich hier.
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