09 April 2009

Hoch stapeln

Diesem Mann muss man einfach vertrauen. So adrett sind die Ärmel seines Pullovers um seinen Hals drapiert, so unschuldig leuchten seine geröteten Pausbäckchen, so blond schimmert sein Konfirmanden-Haar. Und Geld scheint er auch noch zu haben. Der Frau, die sich in der Boutique dann doch nicht für einen teuren Mantel entscheidet, möchte er ihn spontan zum Geschenk machen: "Aber der steht ihnen doch so gut. Bitte nehmen sie ihn an. Ich will gar nichts von ihnen, außer ihnen eine Freude zu bereiten."

Nadja Uhl und Devid Striesow in So glücklich war ich noch nie

Es sind Worte wie diese, schmeichelnd, zurückhaltend, nichts fordernd, mit denen der Hochstapler Frank Köpfel seine Opfer umgarnt und die ihn ins Gefängnis bringen. Devid Striesow spielt in Alexander Adolphs So glücklich war ich noch nie auf unnachahmliche Weise diesen Mann, einen jener empathischen Performance-Künstler, bei denen die Grenzen zwischen bewusster Darstellung, intuitiver Einfühlung und pathologischer Geltungssucht ständig am Verschwimmen sind. In diese Figur lässt Adolph in seinem ersten Spielfilm all jene Einsichten in die Psychologie des Betrügers einfließen, die er in seiner Dokumentation Die Hochstapler (2007) im Gespräch mit vier berühmten Vertretern ihrer Zunft gewonnen hat.

Die deutlichsten Anleihen für die Figur von Frank Köpfel hat Alexander Adolph bei Jürgen Harksen gemacht, den besten und berühmtesten Betrüger, den Hamburg je hatte. Das betrifft nicht nur die Physis der beiden, diese Männerkörper mit den Jungsgesichtern, die fast immer lächeln, sondern auch die in So glücklich war ich noch nie nur in einer Szene angedeutete Kindheit irgendwo zwischen Verwahrlosung und Schlägen. Vor allem aber sind beide begnadete Erzähler. Die Hochstapler beginnt mit einer wunderbaren Anekdote Harksens über zwei Geschäftsleute, einer davon Vorstandsvorsitzender eines großen Versicherungskonzerns, die er mal in seinem Privatjet nach Ibiza mitgenommen hatte. Er wollte in Ruhe Bier und Frikadellen zu sich nehmen, doch die Konzernchefs gaben keine Ruhe. "Sagen Sie mal, Herr Harksen, Sie haben doch bestimmt ein paar Tipps für gute Investments …" Fünfmal hat Jürgen Harksen abgewunken, fünfmal wurde er wieder gefragt. Na ja. Wenn’s denn sein muss. Harksen legte die Bulette beiseite und erzählte. Er plane da was. Einen Flug zum Mond. Mit einem ausrangierten Spaceshuttle. An Silvester. Riesensause, super Anlage. Mit 500.000 D-Mark ist man dabei. Sichere Sache das Ganze.

Die Hochstapler ist voll solcher Anekdoten, die dem Zuschauer den Mund offenstehen lassen. Die rhetorische Verführung gehört halt zum Handwerkszeug des Betrügers, ob er nun Geschäftsleuten 500 Prozent Rendite verspricht oder im Knast vor der Kamera sein eigenes Tun erläutert. Aber ausrangierte Spaceshuttle? Kann man die jetzt bei der NASA kaufen? Der Vorstandsvorsitzende und sein Kollege haben es nicht nachgeprüft. Sie haben gleich im Flugzeug einen Scheck ausgestellt. Sind sie vielleicht also nicht auch ein bisschen selbst Schuld, übers Ohr gehauen worden zu sein? Einen ehrlichen Mann kann man schließlich nicht betrügen, oder?

Die Diplompsychologin Helga Ihm, die therapeutisch mit Straftätern arbeitet und seit 2002 im Rahmen ihres Dissertationsprojekts zur "Psychologie des Betrügers" mit über hundert Tätern gesprochen hat, kennt viele solcher Geschichten wie Harksens Mondfahrt und hat Verständnis dafür, dass Menschen in verantwortungsvollen Positionen darauf hereinfallen: "Harksen hat Jahre daran gearbeitet, in diesen Kreisen glaubhaft zu wirken. Er ist ja nicht in Lumpen aufgetaucht, sondern hat sich von vornherein mit den entsprechenden Attributen geschmückt, von den richtigen Schuhen bis zu den wichtigen Leuten. Und da er in einem Milieu unterwegs war, in dem sehr viel Geld zirkulierte, brauchte er Geschichten, die Menschen ansprechen, die eher gewohnt sind, höhere Risiken einzugehen, und sich das auch leisten können." Helga Ihm zufolge kann ein guter Betrüger jeden Menschen hereinlegen – auch einen ehrlichen: "Wenn man für Kapitalanlagebetrug unempfänglich ist, weil man sowieso nicht an der Börse spekuliert, fällt man eben auf jemandem herein, der auf der Straße für gemeinnützige Zwecke wirbt." Auch Alexander Adolph meint: "Man kann jeden Menschen betrügen. Es ist kein Makel und nichts, was Schuld aufwirft, wenn man an andere Menschen glaubt."

Jürgen Harksen in Die Hochstapler

Zirka 64 Millionen D-Mark soll der im April 2003 zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilte Harksen laut Anklageschrift ergaunert haben, weil andere Menschen ihm glaubten. Sich selbst bezeichnet er gern als "Vollstrecker des Gierkapitals" und weist immer wieder darauf hin, wie leicht es ihm seine Opfer gemacht haben. Für Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie an der Universität Gießen, eine bekannte Masche: "Mit der Schutzbehauptung vieler Betrüger und ihrer Verteidiger, dass, wenn die Opfer es den Tätern leicht machen, kein Betrug mehr vorliege, bin ich überhaupt nicht einverstanden. Dabei werden die manipulativen Fähigkeiten der Täter völlig außer Acht gelassen." Helga Ihm weist auf die große kriminelle Energie und das Einfühlungsvermögen von Betrügern hin: "Sie können sich sehr gut in die Ideen und Wünsche ihrer Opfer einfühlen, sie müssen ja verstehen, was ihr Gegenüber möchte, wenn sie erfolgreich sein wollen."

Auch die anderen Protagonisten von Die Hochstapler, die vor der Kamera mit erstaunlicher Offenheit über ihre Tricks sprechen, sind Meister der Anpassung und Manipulation. Torsten S., gelernter Schrottzerleger aus Bitterfeld, erzählt, wie er an nur einem Tag in einer ostdeutschen Kleinstadt eine Nato-Sicherheitskonferenz organisiert hat. Mark Z. stellte vor Miet-Fincas auf deutschen Urlaubsinseln "Zu verkaufen"-Schilder auf und brachte die Immobilien an einem Nachmittag an den Mann. "250.000 D-Mark in vier Stunden, das war gutes Geld." Peter G. zog mit ungedeckten Schecks durch Deutschland und ergatterte immer wieder Riesenkredite von Banken – weil er mit dem richtigen Auto vorgefahren war.

Der erste Schritt zum Erfolg des Hochstaplers: der Handschlag

Auch Frank Knöpfel aus So glücklich war ich noch nie passt in diese Ahnengalerie, doch Alexander Adolph führt seine Hauptfigur nicht als exemplarischen Typus vor, sondern als komplexen, nie ganz auszulotenden Charakter. Er zeigt ihn nicht in seiner aktiven Zeit, sondern in einer Periode der erzwungenen hochstaplerischen Enthaltsamkeit, als Köpfel nach einem Gefängnisaufenthalt bei seinem Bruder (Jörg Schüttauf) und dessen skeptischer Freundin (Floriane Daniel) untergekommen ist. Köpfel nimmt einen Job als Putzkraft an und versucht wie ein Junkie auf Entzug, seine Bedürfnisse schön klein zu halten. Erst als er Tanja (Nadja Uhl) wiederbegegnet, der Frau aus der Boutique, die als Prostituierte arbeitet, kriegt die Fassade seiner Bescheidenheit wieder Risse und in seine Rhetorik schleichen sich Wendungen wie: "Ich habe gerade meinen Flieger nach Moskau verpasst."

In dieser Geschichte eines Rückfalls, die auch die schöne Geschichte einer unmöglichen Liebe ist, macht Alexander Adolph ganz nebenbei sichtbar, dass man, wenn man in der Welt gar nichts mehr vorstellen möchte, schließlich auch gar nichts mehr ist. Ob man nun als Paar eine Wohnung mieten möchte oder die Website der Jungen Liberalen betreut, Täuschung, Schauspiel, Selbstüberschätzung sind der Anfang alles Fortkommens in der Welt, in der Frank Köpfel lebt. Vielleicht hat er die Spielregeln dieser Gesellschaft einfach nur ein bisschen zu gut verstanden.

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