29 März 2010

Mit Augen sehen, die nicht vom Hass getrübt sind

Leitspruch von Ashitaka (und allen großen Abenteurern)

James Camerons Avatar stelle ich mir gerne als verfetteten, etwas eitlen Zwerg vor, der auf der Schulter eines Riesen steht, sich zufrieden den Bauch reibt, den Blick in die Ferne schweifen lässt und meint, die Zukunft zu sehen. Der Gigant, dem er in symbiotischer Arroganz den Weg zu weisen meint, hat viele Namen, für mich heißt er Hayao Miyazaki, und Avatar ist, wenn man es freundlich sagen möchte, eine Hommage an diesen größten aller Animationskünstler. Wie man mittlerweile auf einigen Websites nachlesen kann (zum Beispiel hier und hier), hat sich Cameron bei vielen Werken von Miyazaki bedient, vor allem aber bei Prinzessin Mononoke (1997). Auf Arte kann man sich ab nächsten Montag, den 5. April, im Rahmen einer Miyazaki-Werkschau selbst ein Bild davon machen, wo der Bartel den Most geholt hat.

Blutiger als Avatar:
Prinzessin Mononoke


Avatar erzählt wie Prinzessin Mononoke von der Queste eines jungen Helden, der in die Fremde zieht, um seinen eigenen Stamm zu retten, und dabei zum Grenzgänger in einem Krieg zwischen einer vermeintlich zivilisierten und einer mystischen Naturwelt wird. Sowohl Jake Sully als auch Ashitaka vermitteln zwischen einer arbeitsteiligen, Ressourcen verschlingenden, mit Waffengewalt expandierenden, Schulen und Hospitäler in eroberte Gebiete bauenden Imperialmacht und einem selbstgenügsamen, ökologisch ausbalancierten, von vielen Geschöpfen bewohnten und beseelten Reich. In beiden Filmen (wie auch im Mythos von Captain John Smith und Pocahontas) ist es eine wilde Prinzessin (Neytiri/Mononoke), die den Helden durch die Gefahren des Waldes leitet und ihm seine Wunder offenbart. So weit, so universell, aber Cameron hat auch eine Vielzahl von Details übernommen. In beiden Filmen bildet ein gigantischer Baum das spirituelle Zentrum des Waldes. Beide Helden haben schwere Verletzungen, Sully kann seine Beine nicht bewegen, Ashitakas rechter Arm ist von einem Dämon vergiftet worden. Die kleinen, klappernden, weißen Kodamas aus Prinzessin Mononoke kehren in Avatar als schwebende, quallenähnliche Waldgeister wieder, und beide Filme enden mit einer großen Schlacht, in der als letztes Aufgebot der Natur eine gewaltige Stampede über die Menschen hinwegfegt (bei Cameron haben Miyazakis Wildscheine die Visagen von Hammerhaien bekommen). Und dann sind da noch das fliegende Gebirge aus Laputa und die vielen Flugsequenzen, die sich durch das gesamte Werk Miyazakis ziehen (Nausicaa, Laputa, Porco Rosso, Kiki’s Delivery Service) und um die man Avatar gerne hätte kürzen können.

Allerdings ist Hayao Miyazaki selbst einer der größten Meister in der Synthese europäischer, mythischer, asiatischer Stoffe und kunstgeschichtlicher Motive, aus denen er ganz eigene Universen zaubert. Nicht das Entleihen an sich ist also zu beklagen, sondern vielleicht das, was auf der Strecke bleibt bei Cameron: eine tiefgehende Sensibilität dafür, dass Welten keine Schlaraffenländer sind, sondern fragile Ökosysteme, in denen immer Knappheit herrscht, Balancen hergestellt werden müssen, in denen jede Transformation ihren Preis hat und in denen gearbeitet werden muss. Prinzessin Mononoke ist bei aller Fantastik ein sehr komplexer Weltentwurf, bei dem sowohl die Naturwelt als auch die Zivilisation in sich ausdifferenziert sind. Ashitaka ist zwar ein unbedingter Verfechter der Rechte der Tiere, gleichzeitig aber ein verständnisvoller Beobachter der komplizierten Verhältnisse in der Siedlung, deren Bewohner sich auch gegen marodierende Samurai zur Wehr setzen müssen. Keineswegs nur von Habgier getrieben, entpuppt sich die Herrin Eboshi als Wohltäterin, die in ihrer Fabrik freigekaufte Prostituierte und Bettler beschäftigt. Die Bewohnerinnen der Siedlung gehören zu den selbstbewusstesten Frauenfiguren des Animationskinos, die ihre Arbeit in der Eisenhütte durchaus als emanzipatorisch empfinden. Bilder von der Arbeit, der Prostitution und dem Betteln sucht man in Avatar vergeblich.

Das Große und das Kleine: Laputa – Das Schloss im Himmel

Die einzigartige Balance zwischen dem Großen und dem Kleinen, dem Belebten und dem Unbelebten, der Arbeit und dem Vergnügen/Fliegen, die Miyazaki immer zu wahren versteht, kann man auch sehr schön in Laputa – Das Schloss im Himmel (1986) beobachten, bei dem auch Swifts Gullivers Reisen Pate stand. Die fantastische Abenteuergeschichte um ein Reich in den Wolken, das sich mithilfe eines magischen Kristalls orten lässt, ist ein Kinderfilm in dem allerbesten Sinne, dass man hier alles wie zum ersten Mal zu sehen glaubt, staunend. Ob es sich um die kleinsten oder die größten Geschöpfe handelt, organische oder metallische, Schmetterlinge oder Roboter, jedem Element der natürlichen und industriellen Schöpfung wird dieselbe Aufmerksamkeit entgegengebracht. Vor allem die ausgedehnten und fantastisch animierten Flugsequenzen und Luftschlachten, für die die literarischen Höhenflüge und Apparate Jules Vernes Pate standen, sind von einer imaginativen Kraft und Begeisterung, als ob das Fliegen gerade erst erfunden worden wäre. Doch auch in Laputa sind die Figuren, Orte, Geräte in komplexe ökologische und ökonomische Systeme eingebunden, nichts gibt es hier umsonst. An Bord der Piraten-Maschine, mit der die Kinder-Helden Sheeta und Pazu nach Laputa gelangen, ist vom Waschen bis zum Küchendienst alles nach einem strengen Plan geregelt, und auch das magische Schloss selbst, Projektionsfläche aller Weltenflucht-Fantasien, entpuppt sich letztlich als entwurzeltes Biotop, das ohne Einbindung ins Ökosystem Erde dem Untergang geweiht ist.

Geschichte einer Maske: Chihiros Reise ins Zauberland

Auch das Reich Aburaya, das das Titelheldin in Chihiros Reise ins Zauberland (2001) am Ende eines dunklen Tunnels entdeckt, ist kein Schlaraffenland. Wie im mittelalterlichen Japan von Prinzessin Mononoke, in der retrofuturistischen Welt von Nausicaa aus dem Tal der Winde (1984) oder auf dem Luftschloss Laputa gelten hier strenge Regeln, deren Nichteinhaltung bestraft wird. Das Zentrum des Reiches ist ein gigantisches Badehaus für Götter und Geister, das die Hexe Yubaba mit strenger Hand führt. Hinein kommt man entweder als zahlender Gast oder als Arbeitskraft, und so findet sich Chihiro bald als Bademeisterin wieder, die riesige Dämonen von ihren Schlammkrusten befreien muss. Die kleinen wie die großen Wesen, die grotesken wie die schönen, die im Badehaus verkehren, sind mit gewohnter Akribie und grenzenlosem Respekt gestaltet. Gut und Böse sind ihnen nicht eingeschrieben, sondern ergeben sich erst aus dem Handeln der Figuren, in einem komplexen Geflecht von Aktion und Reaktion, von Selbstüberwindung und Bescheidenheit. Treibende Kraft dieser durchaus moralischen Entdeckungsreise ist wie so oft die Neugier eines junges Mädchens, das mit seinem Mut und Respekt auch vor furchterregenden Wesen erstaunliche Metamorphosen in Gang setzt. Gigantische Monster entpuppen sich als verletzliche Geister, selbst die despotische Hexe Yubaba offenbart sich als fürsorgliche Mutter.

Auch Das wandelnde Schloss (2004), die auf einem englischen Kinderbuch basierende Geschichte der jungen Hutmacherin Sophie, die sich in einen Zauberer verliebt und zur Strafe von einer Hexe in eine alte Frau verwandelt wird, besticht durch den Reichtum und die Genauigkeit der aus vielen Quellen gespeisten Imagination Miyazakis. Die Heimatstadt Sophies, in deren von prächtigen Figuren wimmelnden Straßen sie dem Zauberer Hauro erstmals begegnet, ist ein wundersames Amalgam aus mittelalterlichen Marktflecken, verwunschenem Labyrinth und frühindustrieller Großstadt, deren Himmel vom Dampf der Eisenbahnen und gigantischen Flugschiffen verdunkelt wird. Das wandelnde Schloss Hauros, in Sophie als Haushälterin anheuert, um sich vom Fluch befreien zu lassen, ist eine aus Schrottteilen zusammengesetzte Dampfmaschine und zugleich ein lebendiges Ungetüm, das auf dünnen Beinchen durch die neblige Landschaft wandert. Seine Eingangstür öffnet sich auf verschiedene Welten, in denen Hauro seinem Handwerk nachgeht.

Die Kunst der Balance: Das wandelnde Schloss

Wie immer birgt das Fantastische bei Miyazaki ein profundes moralisches Dilemma, denn die Multiplizierung der Welten durch die magische Eingangstür bewirkt, dass sich Hauro jederzeit den Pflichten der einen Welt durch das Wechseln in eine andere entledigen kann. Dadurch ist er ein verantwortungsloser Zauberer geworden, den selbst die Not des Krieges kaum noch zum Handeln bewegt. Das ist die Kehrseite des Zauberns, mit der auch der Magier Miyazaki diesmal etwas zu kämpfen hat, denn durch die Vielzahl der Orte, Figuren und magischen Optionen verwirren sich gegen Ende etwas die Erzählstränge, sodass die Auflösung leider allzu sehr einem aus dem Hut gezauberten Kaninchen gleicht. Aber wie bei allen wirklich großen Magiern ist man am Ende der Illusion so verfallen, dass einem der genaue Blick auf die Hände des Meisters wie ein Frevel vorkommt.

***************************************

Die Reihe mit Filmen von Hayao Miyazaki wird am Montag, den 5. April, um 20.15 Uhr mit Chihiros Reise ins Zauberland eröffnet. Alle Filme und Sendetermine finden sich auf der Arte-Website. Besonders zu empfehlen ist das Programm am 8. April: Nach Mein Nachbar Totoro, vielleicht dem schönsten Animationsfilm überhaupt, läuft die Dokumentation Der Tempel der Tausend Träume. Hayao Miyazaki und das Ghibli Studio.

Keine Kommentare: