14 Juni 2010

Kämpfer in zwei Systemen


Neben drei in den USA entstandenen No-/Low-Budget-Produktionen weist die Filmografie von Buddy Giovinazzo eine Vielzahl deutscher Fernsehkrimis auf. 2003 hat er seinen ersten Polizeiruf 110 mit Edgar Selge gedreht, es folgten zwei Folgen Wilsberg, drei Folgen Der Kriminalist, eine Folge Einsatz in Hamburg und drei Tatorte, im August dreht Giovinazzo einen weiteren in Leipzig. 2008/2009 war er 18 Monate lang in LA, um den Independentfilm Life Is Hot in Cracktown zu drehen, 14 Jahre hatte es gedauert, bis er einen Geldgeber für die Verfilmung seines Debütromans gefunden hatte. Reich wird er auch mit diesem Werk nicht werden, Cracktown kam zwar in den USA in die Kinos, floppte aber. Mit der realistischen Darstellung von Armut, Sucht und Gewalt ist in Amerika noch kein Regisseur reich geworden.

Bei seinem Besuch in Hamburg erzählte Buddy Giovinazzo viele spannende Anekdoten über sein Dasein als Regisseur zwischen den Welten, eine Position, die ihn nicht reich macht, ihm aber viele interessante Einblicke in die unterschiedlichen Filmproduktionssysteme der USA und Deutschlands erlaubt. Was zum Beispiel die Arbeit mit deutschen Schauspielern betrifft, war Giovinazzo erstaunt über den Hang zum Schreien und Erregtsein der männlichen Darsteller. Bei seinem ersten Polizeiruf 110 (Tiefe Wunden von 2003) brachte er Edgar Selge bei, dass Tauber kein Dauer-Wutkopf, sondern ein Gentleman mit Abgründen ist, der auch mal ausrastet, aber auch ganz ruhig und zart sein kann. Im selben Jahr überzeugte er Axel Prahl (Tatort: 3 x schwarzer Kater), dass Hauptkommissar Thiel nicht durchgehend auf 180 sein muss, sondern sich nach einem gewonnenen Streit auch mal ein entspanntes Lächeln gönnen darf. In den USA, so Giovinazzo, sind die Schauspieler relaxter und reden vor der Kamera im selben ruhigen Tonfall wie hinter der Kamera beim Besprechen der Szene.

Cracktown
kostete mit rund einer Million Dollar etwas weniger als ein durchschnittlicher Tatort, dessen Brutto-Produktionskosten zwischen 1,3 und 1,6 Millionen Euro liegen. So nahe die Budgets zahlenmäßig beieinander liegen, so weit klaffen sie im Systemvergleich auseinander: Während die Gesamtkosten von Cracktown Giovinazzo zufolge nur etwa die Catering-Kosten eines durchschnittlichen US-Spielfilms abdeckten, bewegt man sich im deutschen Fernsehen mit demselben Geld in der Oberliga. Reich werden, so Giovinazzo, könnte er aber trotzdem nur in den USA, denn während die unregelmäßige Arbeit fürs deutsche Fernsehen mit seinen festen Honorarsätzen ihm und seiner Frau finanziell gerade so über die Runden hilft, kann auch die billigste Spielfilm-Produktion in den USA ein Sechser im Lotto sein, siehe Reservoir Dogs, The Blair Witch Project oder Paranormal Activity.

Die Frage, warum er nicht für das amerikanische Fernsehen arbeite, beantwortete Giovinazzo mit dem Hinweis darauf, dass ein Regisseur im US-TV überhaupt keine Freiheit habe, seine einzige Aufgabe bestehe darin, vorher genau festgelegte Einstellungen abzufilmen. Wer experimentiert, wird entlassen, alle kreative Macht liegt in den Händen der Autoren und Producer. Jeder kennt heute David Simon, JJ Abrams und Alan Ball, niemand die Episoden-Regisseure von The Wire, Lost oder Six Feet Under. Dagegen seien die Regeln, die beim Drehen eines Tatorts gelten (diesen wäre einmal nachzugehen), überschaubar, solange man sich an das Grundgerüst des Drehbuchs halte, könne man auch Sachen ausprobieren. So wie in Mit anderen Augen (2006) mit Udo Kier als exzentrischem Profiler an der Seite von Edgar Selge, der als einer blutigsten deutschen TV-Krimis der Geschichte gilt und Giovinazzos Redakteurin schlaflose Nächte bereitete.

Den riesigen Qualitätsunterschied zwischen den amerikanischen und deutschen TV-Produktionen erklärt Giovinazzo mit der Arbeit an den Drehbüchern: Während in den USA mehrere Autoren fünf, sechs, sieben oder mehr Fassungen eines Buches erstellen und seine Themen, Motive und Dialoge dabei immer genauer herausarbeiten, ist hierzulande spätestens bei der zweiten Fassung Schluss, mehr Zeit und Geld werde nicht investiert. Außerdem beklagte er die Tatsache, dass es in Deutschland keinen freien Markt für Drehbücher gibt, weil sich das für die Autoren nicht lohnt. Sie schrieben nur im Rahmen fester Verträge mit TV-Anstalten und Produktionsfirmen, weshalb er bis zum heutigen Tage noch kein gutes Drehbuch für seinen ersten deutschen Kinofilm gefunden habe.

Wohin die allzuhäufige Überarbeitung von Drehbüchern auch führen kann, zeigt die in der Entwicklung befindliche Geschichte von Potsdamer Platz nach dem gleichnamigen großartigem Berlin-Roman von Buddy Giovinazzo. Tony Scott, ein großer Verehrer des Buches, hat sich die Option auf dessen Verfilmung gesichert und Giovinazzo mit dem Schreiben des Drehbuches beauftragt. Nachdem er zwei Fassungen geschrieben hatte, wurde das Buch von David Scinto und Louis Mellis überarbeitet, vor Kurzem wurde bekannt, dass der Film in Puerto Rico realisiert werden soll. Die Skript-Doktoren werden also noch viel Arbeit haben.

Buddy Giovinazzo empfiehlt 5 Fernsehserien:

1. Dexter
2. True Blood
3. Curb Your Enthusiasm
4. Weeds
5. Mad Men

2 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

danke für diesen schönen text!

schon seit langem soll ja giovinazzos großartiger kriminalroman "potsdamer platz" in hollywood verfilmt werden. tony scott war wohl mal im gespräch oder ist es noch immer - angesichts dessen jüngerer filmografie eine vielversprechende option.

Thomas hat gesagt…

ach ja, wenn man den text vor dem kommentieren nicht völlig bis zum ende liest, entstehen solche seltsamen kommentare - ;)