Nichts lese ich zurzeit lieber als Dominik Grafs leicht variierte und immer wieder punktgenaue Schmähreden gegen das Gros der deutschen Fernsehproduktionen und den zeitgenössischen Geschmack am Sauberen, Verständlichen und Digitalen. Wie in der Textsammlung Schläft ein Lied in allen Dingen sind diese wohlformulierten Hasstiraden auch in dem Interviewband Im Angesicht des Verbrechens. Fernseharbeit am Beispiel einer Serie eingebettet in eine Liebeserklärung an eine andere, schmutzige, lebendige, unperfekte Art des Kinos. Die schlecht gelaunte Ahnung, dass früher alles besser war, verwandelt sich bei der Lektüre von Grafs präzisen Ausführungen zu allen Aspekten des Filmemachens in eine Gewissheit und die Hoffnung, dass es immer Künstler geben wird, die sich am Unzeitgemäßen abarbeiten.
Wie zum Beispiel James Gray, ein Regisseur, dem häufig sein „klassischer“ Inszenierungsstil zum Vorwurf gemacht wird. The Yards, We Own the Night und Two Lovers habe ich vor Kurzem entdeckt, drei der besten, intensivsten, am tollsten gespielten, aufregendsten und klügsten Filme überhaupt. Keine Ahnung, ob sich Graf bei der Konzeption seiner russischen Gangster und der Gestaltung der tollen Partyszenen in Im Angesicht des Verbrechens von Gray hat inspirieren lassen. Beide Regisseure eint ihre Liebe zum Genre, zur Gestaltung des Moments, zu ihren Schauspielern, zum nicht ganz Ausgeleuchteten, zum dionysischen Exzess, zum Analogen. Und beide können sehr schön über ihre Arbeit sprechen. Die unten stehenden Passagen stammen aus Im Angesicht des Verbrechens. Fernseharbeit am Beispiel einer Serie (Dominik Graf und Johannes Sievert, Alexander Verlag) und Subverting the Moment: James Gray on We Own the Night (Andrew Tracy, Cinema Scope 32)
FILMMATERIAL
„Gegen ,Realismus‘ als Form stehen im modernen Film ungeheuer viel Künstlichkeit, künstliche Innenwelten, subjektive Wahrnehmung, Computeranimationen – alle diese Elemente haben sich im moderen Kino gegen Faßbinders schönen Begriff von dem ,bißchen Realität‘, das wir alle brauchen, verschworen. Zunächst müßte man wieder das richtige Filmmaterial in Amt und Würden einsetzen. Die Filmhersteller und Kopierwerke haben vom 16-mm-Positiv Abschied genommen, d.h. vor allem von der Positiv-Entwicklung der 16-mm-Filme. 16-mm-Positiv ist aber das resoluteste, das ,realistischste‘ Material von allen. Super 8 ist ja verschwunden (und für diese unverzeihliche Entscheidung müßten eigentlich nachträglich noch Köpfe rollen).“ (Dominik Graf)
„I was deliberately aiming to capture this look, because I like it: what I call the sodium vapour, this orange streetlight glow that produces these rich tones, the almost classical beauty of it. The two films [The Yards und We Own the Night] do look very similar, in fact they’d look even more similar if certain film stocks hadn’t been eliminated from usage. The Yards was shot on a great film stock called 5277, which no longer exists, so that’s probably the reason the new film doesn’t look even more like the last one.“ (James Gray)
DIGITAL
„Weißt du, mein Problem mit dieser erzwungenen Umwälzung ist folgendes: Beim Filmemachen, einem höchst komplexen Prozeß, wie wir jetzt alle wissen, muß beim Auftauchen einer neuen Technologie – ob Bild oder Ton (und diese sehr anfällige, fehlerhafte neue Technologie mag ja manche Menschen glücklich machen, völlig o.k.) – der Zugriff auf die alten Technologien dennoch zuverlässig gewahrt bleiben. Digitalton ist nun mal schlechter als Analaogton. Schallplatten sind besser als CDs. Genauso ist es mit dem Filmbild, der alten Kino-Positiv-Kopie gegenüber der DVD, ob Blue Ray oder nicht. Sie ist farbechter, haltbarer, sie ist Materie, nicht Pixel. Das weiß ja auch jeder.“ (Dominik Graf)
„This whole discussion about film or DV is kind of moot, in a way, because the system will determine it for you – like I said, the stock that The Yards was shot on no longer exists. But it is strange the way things are appraised, because if you said, ,This new format came along and it’s got a better contrast ratio than digital and it’s got better resolution than digital,‘ – well, that’s film. If everybody were shooting digital and film came along, everybody would want to shoot film. So my own view is why shoot with something that’s not as good? I’ll do it when I have to, but until then why bother?“ (James Gray)
SCHAUSPIELER
„Ich bilde mir ein, daß das, was mir zu Schauspielern einfällt […] immer Äußerlichkeiten sind, z.B. Gesten: mit den Fingern schnipsen aus Nervosität, mimisches Spiel, Irritationen inszenieren, etwa zu lange Asche an der Zigarette haben, wo kann die hin?, Kaugummi kauen. […] Ich gebe ihm rein äußerliche Details, mit denen er das ausdrücken kann, was man durch langes ,Wie sich die Rolle jetzt gerade anfühlt‘-Gerede zwischen Regie und Schauspieler auch nicht anders hinkriegen kann.“ (Dominik Graf)
„What I love in acting is when you are constantly subverting the moment. The key is playing the moment with utmost sincerity but subverting it, and they’re not contrary. Playing the moment means making it clear, not losing ambiguity, but making it so it’s not vague – and at the same time conveying that clarity by a line, or a gesture, or an expression that is seemingly antithetical to the idea or the feeling that is being expressed.“ (James Gray)
ACTION
„Action einer X-Large-Konfektionsgröße wie beim Showdown der Sieger zu inszenieren – die Katze war ja genau genommen ein einziger zweistündiger Showdown – hat für mich etwas von filmischer ,Land Art‘. Das gefundene Motiv wird während der Planung und während des Drehs von physischen und strategischen Kräften überzogen, man legt sozusagen ein Bluttuch über die Landschaft. Eine große Actionszene, die man über Tage oder Wochen hinweg realisiert, manchmal mit drei Units gleichzeitig, entwickelt für einen Regisseur einen ungeheuren Sog. Es ist das Intensivste bei einem Dreh. Manches ist albern an der Actiondreherei, man sagt zwanzigmal ,Bitte‘, es macht Peng, man sagt ,Aus, danke‘ und eventuell: ,Noch mal, bitte!‘ Wie Roboter im Kinderzimmer oder doofe Computerspiele. Aber in ihrem Zentrum ist eine große Actionszene immer eine pure physische Wucht, sie handelt von Kraft, Schmerz, Tod. Und der Schauplatz ist am Ende eine blutige Arena.“ (Dominik Graf)
„I found it quite unpleasant. They’re [Actionsequenzen] very boring to shoot because you have to shoot them one thread at a time. So you plan them meticulously, everything has to be planned out. And you have to keep your eye on the prize, no imagination – in fact imagination is actually a problem. You have to understand how these things are done: you say ,OK, shoot the gun when I say action and flip backwards – OK, action! Shit, that didn’t look real, let’s do another take.‘ So they’re very boring.“ (James Gray)
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Dienstag, 7. Dezember, 20.15 Uhr auf Arte: Die Katze (Regie: Dominik Graf)
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