Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen): Nicolas Roeg verbindet englischen Pragmatismus, Schauerromantik, William Blakesche Mystik und seine eigene gelassene Grandezza mit dem Wahnsinn der italienischen Horror-Giallos. Ein unsagbar schöner, kluger Film. Auf der Optimum-DVD findet sich ein begleitender Audiodialog mit Roeg, der seinesgleichen sucht. Meistens Schweigen, und wenn er was sagt, dann ist es ewige Filmweisheit in Brühwürfelform. Auf die Feststellung des Interviewers, dass bei seinen Filmen ständig etwas Unerwartetes passiert, antwortet er lächelnd (man hört sein Lächeln im Ton): "Auch das Unerwartete darf nicht erwartet werden." (Optimum DVD England und dt. in der SZ-Edition) (aus: Dominik Graf: Schläft ein Lied in allen Dingen, hrsg. von Michael Althen, Alexander Verlag 2009)Eigentlich bin ich ganz froh, dass Dominik Graf nicht bloggt. Dann würde ich seine schönen, immer wieder unerwarteten Filmtexte zu sehr erwarten und wäre nicht mehr so überrascht, wenn ich im Internet wieder einen davon entdecke. Graf ist, so schreibt es Michael Althen in seinem Vorwort, ein Regisseur, der manchmal von dem "Kick zu schreiben" gepackt wird, jener Lust, sein Vergnügen an Filmen in Worte zu fassen und in diesen sein eigenes Filmemachen zu reflektieren, die seit der Nouvelle Vague stark aus der Mode gekommen ist. Eine Auswahl dieser Texte, von denen die meisten als DVD-Kritiken für die FAZ entstanden sind, hat der Herausgeber Michael Althen nun in Schläft ein Lied in allen Dingen versammelt.
Darin lässt sich die Geschichte eines Kinos nachlesen, von dem Graf in seinen eigenen Filmen träumt. In ihnen, so Althen, "hat er sich einen Horizont erschrieben, vor dem er seine eigenen Arbeiten verstanden wissen will". Seine TV-Produktionen hat Graf im Interview mal als "Trojanische Pferde" bezeichnet. Damit meinte er, dass seine Melodramen und Polizeifilme, die meist zur besten Sendezeit laufen, sich äußerlich an die im deutschen Fernsehen übliche Form anpassen, aber Dinge enthalten, die diese zugleich erweitern, unterwandern, aufbrechen. Kameraperspektiven, Zooms, Dialoge, Figurenkonstellationen, Schnitte, die den Rahmen sprengen, neue Räume öffnen, Abgründe auftun, Damiani, Fulci, Aldrich, Fuller zitieren. Die Kino sind.
"Ohne eine gewisse Vulgarität gibt es keinen ganzen Menschen. Das Gekünstelte und Verfeinerte ist immer ein Rückzug. Ein Zurückschrecken." (Raymond Chandler, Die simple Kunst des Mordes, 1949, zitiert von Dominik Graf)Alle Regisseure haben Vorbilder, selten aber können sie über diese auch so gut schreiben wie Dominik Graf – und so leidenschaftlich. Ob Fassbinder, Mike Figgis’ Echtzeit-Experiment Timecode oder die Mafia-Filme von Damiano Damiani, immer bekommt man als Leser sofort Lust, die von Graf emphatisch und mit praktischem Insiderwissen beschriebenen Werke zu sehen, um seine vielen präzisen Beobachtungen nachvollziehen zu können. Das gilt vor allem für die von der Kinogeschichte übergangenen Filme, die Graf gegen Kanon und guten Geschmack verteidigt. Ein wichtiger Begriff ist ihm dabei das "Unsaubere", das nicht in eine einheitliche Form gebrachte, das Kino der Brüche und Geschmacklosigkeiten. Graf findet es in den Montage-Exzessen von Nicolas Roeg, in den unmotivierten Gewalt-Szenen eines Lucio Fulci, in der kühlen Präzision und im emotionalen Reichtum Max Ophüls’ und der erzählerischen Ökonomie und Härte von Robert Aldrich.
Eine besondere Vorliebe hat Graf für Regisseure wie George Roy Hill, Arthur Penn, Robert Aldrich und Sydney Pollack, die der New-Hollywood-Generation von Coppola und Scorsese den Weg bereitet haben, deren eigene Filme aber fast vergessen sind. Das waren Filmemacher alter Schule, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten, meistens beim Fernsehen, und die aus dem System heraus begannen, mit neuen Erzählformen zu experimentieren. Damit wurden sie zu großen Vorbildern für Graf und seine Suche nach dem Experimentierwillen und dem Mut, als hervorragender Handwerker auch einmal gewollt unsauber zu arbeiten.
Ein bisschen zu oft und zu gleichlautend wird vielleicht am Ende der Texte auf die Eintönigkeit des zeitgenössischen Kinos, vor allem des deutschen, geschimpft. Das ist erstens der Tatsache geschuldet, dass die Texte für die Zeitung enstanden sind und nicht dafür geschrieben wurden, hintereinander weg gelesen zu werden. Und zweitens hat Graf natürlich ganz Recht, wenn er immer wieder das völlige Fehlen eines schmutzigen und zugleich intelligenten Genrekinos in Deutschland beklagt.
Dominik Graf im Internet:
"Eine Groteske der Spät-RAF"
Über Fassbinders Die dritte Generation (FAZ, 17.9.2008)
"Dominik Grafs Dreckiges Dutzend"
12 deutsche Lieblingsfilme (23.5.2008)
"Gesang der Sirenen"
Vor der Verleihung des Deutschen Filmpreises: Warum das deutsche Kino ausgerechnet in seinen falschesten Momenten am wahrsten ist (Zeit, 25.4.2008)
"In den rauchenden Trümmern des Kinos"
Über Nicolas Roegs Eureka (FAZ, 16.4.2008)
"Wo die großen Flüsse entspringen"
Über zwei Filme von Alain Tanner (FAZ, 20.2.2008)
"Auf dem Friedhof der vergessenen Filme"
Über George Roy Hills Die Libelle (FAZ, 6.2.2008)
"Der Mann, der aus der Kälte kam"
Über Peter Lohmeyer (FAZ, 13.12.2007)
"Der Himmel kennt keine Günstlinge"
Zwei Remarque-Verfilmungen: Sydney Pollacks Bobby Deerfield und Lewis Milestones Arc de Triomphe (FAZ, 14.11.2007)
"Lernt schlechte Filme!"
Über Aldrich, Peckinpah und Fullers Tatort-Folge Tote Taube in der Beethovenstraße (Zeit, 8.11.2007)
"In den Scherben eines halbblinden Spiegels"
Nicolas Roeg und eine Wiederbegegnung mit seinem Meisterwerk Don’t Look Now (FAZ, 16.10.2007)
"Magma des Schreckens" oder kurze Bemerkung über das Töten
(PDF-Dokument, Text erschienen in Daniel Sponsel, Hg., Der schöne Schein des Wirklichen, UVK 2007)
"Blood All Over"
Über Wolfgang Bülds Twisted Sisters (engl., FAZ 4.4.2006)
"Film im Kopf"
Dominik Graf und andere deutsche Regisseure über den Film, den sie immer schon mal machen wollten (Zeit, 10.2.2005)
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Vom 31. Oktober bis 1. November 2009 findet in Schwerte die Tagung Im Angesicht des Verbrechens– Der Krimi im Fernsehen. Wirkung, Form und Abgesang statt. Mit von der Partie sind Dominik Graf, Friedrich Ani und Ekkehard Knörer, die am Abend des 31. nach einer Vorführung von Grafs Kommissar Süden und der Luftgitarrist diskutieren werden. Am nächsten Morgen moderiert der Krimi-Experte Tobias Gohlis eine Gesprächsrunde mit Friedrich Ani und Dominik Graf. Der Titel der Tagung lässt vermuten, dass es dann auch um Grafs neuestes Fernsehprojekt gehen wird, den sehnsüchtig erwarteten Achtteiler Im Angesicht des Verbrechens, dessen Fertigstellung und Ausstrahlung wegen Finanzierungsschwierigkeiten auf 2010 geschoben wurde.
2 Kommentare:
Allein für seinen Ausnahme-Tatort "Frau Bu lacht" hat Graf jede Huldigung verdient. Ich habe zuletzt "Kurze Bemerkung übers Töten" von ihm gelesen, weiß aber nicht, ob dieser Text in "Schläft ein Lied in allen Dingen" enthalten ist. Kann leider beim Alexander-Verlag kein Inhaltsverzeichnis des Buches finden.
Lieber Michael Stein,
vielen Dank für den Hinweis auf den schönen Text "Magma des Schreckens oder kurze Bemerkung über das Töten", der nicht in "Schläft ein Lied in allen Dingen" enthalten ist. Er ist aber als PDF-Dokument im Web verfügbar und ich habe ihn soeben der Liste hinzugefügt.
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