13 Februar 2011

Besondere Kennzeichen: Guter Geschmack

„Wenn der Motor der Säge angeworfen wird, beginnt eine Serie nie dagewesener Filmschocks. Nichts ist mehr wie vorher. Nur Sally überlebt, aber für sie bleibt nur der Wahnsinn. No Way out. Das absolut Böse, Pervertierte in Gestalt des Irren, der die Säge schwingt (ihn zeigt die Schlußeinstellung), bleibt unbeschadet, die Wiederherstellung der Ordnung, wie sie weitgehend genretypisch ist, erscheint unmöglich. War früher die mögliche Rückkehr der Bedrohung höchstens angedeutet, so werden hier die Überlegenheit der Kräfte des Bösen und die Dominanz von Terror und Gewalt so unkaschiert vorgeführt, daß sie endgültig erscheinen. Die Unausrottbarkeit dieses Bösen, wie sie etwa in John Carpenters Halloween nur die Funktion hatte, einen Fortsetzungsfilm logisch erscheinen zu lassen, demonstrierte Hooper früher und konsequenter. The Texas Chainsaw Massacre – Part 2 wird es wohl kaum geben.“ (Ulrich von Berg: „Besondere Kennzeichen: Schlechter Geschmack. Tobe Hooper, das Genie des neuen Horrorfilms“, in Filme Nr. 12, November/Dezember 1981)
Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre war für mich lange Zeit nur eine Ahnung, ein Versprechen, eine Handvoll schwarzer Lettern auf weißem Grund, ein Foto. In meinem Kopf führte er über Jahre eine Existenz, die von den Worten Ulrich von Bergs geprägt war, von seiner Mischung aus beschwörendem Raunen, analytischer Distanz und existenzialistischer Strenge, die mit vielen popkulturellen Verweisen garniert war („es gibt eine tolle Platte von den Ambient Noise: I was there at the Texas Chainsaw Massacre“).

Dass von Bergs Text mich so begeisterte, lag auch an dem spezifischen Kontext, in dem er eingebettet war, denn im 1980 erstmals erschienenen Magazin Filme fand sich nicht nur „Neues und Altes vom Kino“, so der Untertitel, sondern auch das Kanonisierte neben dem Abseitigen, das Strenge neben dem Leichten, Arthouse neben Trash. Diese sonst so getrennt behandelten Sphären fanden sich in Filme vereinigt in einem klaren Schwarz-Weiß-Layout und einem ernsthaften und zugleich leidenschaftlichem Ton. Der aus Antje Goldau, Jürgen Berger, Jochen Brunow, Norbert Grob, Norbert Jochum und Bettina Thienhaus bestehenden Redaktion ging es nicht um Geschmacksurteile und Ausgrenzungen, sondern um die Entdeckung und Beschreibung der vielfältigen, oft vernachlässigten Möglichkeiten und Formen des Kinos. Wim Wenders und Tobe Hooper. Mörderspinnen und Christus kam nur bis Eboli.


Wie bei allen Liebhaber-Magazinen, von Filmkritik über Steadycam bis Cargo, war auch die Existenz der Filme ständig vom finanziellen Ruin bedroht. Im Editorial der Nummer 12 ist das alles nachzulesen: der Wille, anders zu sein als all die anderen Zeitschriften, die sich an die Industrie verkaufen, das Festhalten am Heftpreis von 6,– DM, die Abhängigkeit von Abonnements, die Selbstausbeutung aller Beteiligten. Es ist dieser Ton der selbstgewählten Marginalisierung und des ständigen Kampfes gegen den Untergang, der auch die Texte prägte und die Auswahl der besprochenen Filme und Regisseure. Bevorzugt wurden die Mavericks, die Kämpfer in und außerhalb der Systeme, die gerade im finanziellen Scheitern größtes Lob erfuhren. Und im Falle des Erfolgs erfolgte die niederschmetterndste Kritik: „Mit Funhouse wird die Integration ins alles nivellierende Hollywood der achtziger Jahre, ins Megabuck-Kino mit seiner lauwarmen Middleclass-Ästhetik vollzogen und dürfte kaum wieder rückgängig zu machen sein.“ (Ulrich von Berg über Tobe Hoopers dritten Film)


Sam Fuller, Roland Klick, Monte Hellman, Sam Peckinpah, Tobe Hooper: Ulrich von Berg schrieb männliche Maverick-Texte über die männlichen Mavericks des Kinos. Hier eine kleine, keineswegs vollständige Biblio- und Filmografie:

>> „Besondere Kennzeichen: Schlechter Geschmack. Tobe Hooper, das Genie des neuen Horrorfilms“, in Filme Nr. 12, November/Dezember 1981
Dazu ein Leserbrief in der Filme Nr. 13: „Liebe Filme-Macher, daß alles, was mit Film zu tun hat, eine Frage des Zusammenhangs ist, habt ihr eure Leser oft und penetrant genug gelehrt. Man muß mit diesem öden Spruch nicht weiter inhaltlose Seiten füllen. Was man 1981 noch durfte und ihr vergessen habt im Editorial noch hinzuzufügen: da durfte eine Filmzeitschrift den miesesten amerikanischen Regisseur der Siebziger Jahre, Robert Altman, eine ganze Nummer widmen. Ganz schöner Hammer, wenn man bedenkt. Im übrigen waren wir happy über von Bergs Tobe-Hooper-Porträt – aber Ulli! Nicht Hooper ist der Meister des neuen Horrorfilms. Nummer 1 ist und bleibt immer noch Wes Craven. Seine Filme hast du leider in deiner Geschichte vergessen. Euer Werkstattkino“

>> Text zu Kiss of Death von Henry Hathaway und gemeinsam mit Volker Hanreich Buchkritik zu Florian Pauers Die Edgar-Wallace-Filme, Filme 13, 1. Quartal 1982

>> Gemeinsam mit Norbert Grob: Fuller. Filmland Presse (Edition Filme), 1984

>> Gemeinsam mit Frank Arnold (Hrsg.): The Late Late Show. 25 andere Gesichter aus Hollywood. Beschreibungen, Analysen, Liebeserklärungen. Verbal Verlag, 1985

>> Gemeinsam mit Frank Arnold: Sam Peckinpah. Ein Outlaw in Hollywood. Ullstein Verlag, 1987

>> Gemeinsam mit Romuald Karmakar: Hellman Rider, 1988.
Carlotta Films hat das „Fan-Movie im wahrsten Sinne des Wortes“ zusammen mit Monte Hellmans Western The Shooting und Ride the Whirlwind veröffentlicht

>> Das Kino des Roland Klick. Edition Filmwerkstatt Essen, 1993

>> „Videomania. Ein Gespräch mit Frank Arnold über das Sammeln, Stapeln und Nichtansehen von Videos“. Steadycam 30, 1995

>> „One Shot. Die unbekannte Gesangskarriere von Jack Palance“. Steadycam 50, Sommer 2007

>> Gemeinsam mit Roland Klick: Audiokommentar zu Roland Klicks Deadlock, DVD der Filmgalerie 451, 2009

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Sonntag, 20. Februar 2011, 15.30 Uhr, im Rahmen von Bizarre Cinema im B-Movie: Death Trap von Tobe Hooper. Ulrich von Berg: „Zuerst und zuletzt ist Death Trap aber eine schamlose Klamauk-Adaption des Plots von Psycho. Nur ohne dessen psychoanalytischen Schwulst, zeitgemäßer und für mein Empfinden viel unterhaltsamer. Ein echtes Sakrileg, das dem Satz, die Parodie eines Klassikers könne nur mit Liebe und Respekt dem Original gegenüber gelingen, endlich mal frech widerspricht.“

1 Kommentar:

Ekkehard Knoerer hat gesagt…

Es ist sehr ehrenvoll, sich in dieser Reihe zu sehen - aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: vom Ruin ist Cargo derzeit so wenig wie von Gewinnen bedroht. Uns geht es so weit gar nicht schlecht in der Nische.