28 April 2011

Die verrückten Herren

Zombie No. 1 (Night of the Living Dead)

1968 wurde das erste moderne Exemplar gesichtet: Es handelte sich um einen bleichen Mann mit ungelenken Bewegungen, der auf einem Friedhof ein Geschwisterpaar angriff. Der Überfall kam aus heiterem Himmel, am hellichten Tag, und der Mann war allein. Ein seltener Fall. Denn die modernen Zombies, das machte George R. Romeros Horrorklassiker Die Nacht der lebenden Toten unmissverständlich klar, vermehren sich rasend schnell. Und das im doppelten Sinne: Zum einen sorgt die kurze Inkubationszeit nach einem Biss für rasche Ausbreitung der Untoten, zum anderen wirkte Romeros Werk selbst wie ein hochinfektiöser Erreger, der eine ganze Welle von Zombiefilmen nach sich zog.

Über 40 Jahre später ist die Epidemie noch nicht abgeklungen. Mit der erfolgreichen US-Fernsehserie The Walking Dead sind Zombies vor Kurzem Primetime-fähig geworden, akademisch sanktioniert sind sie schon lange. Im Rahmen des Kongresses „Die Untoten“, der sich drei Tage lang mit der durchlässig gewordenen Grenze zwischen Leben und Tod beschäftigt, haben Georg Seeßlen, Markus Metz und Jan Fangmeier ein Filmprogramm zusammengestellt, in dem man Vorläufern und Nachfolgern von Romeros bleichem Friedhofs-Wiedergänger begegnen kann.

Bela Lugosi’s Undead (White Zombie)

Schon das Doppelprogramm zum Auftakt macht das Spannungsfeld der Interpretationen sichtbar, in dem die Figur des Zombies sich bewegt. Jean Rouchs von ihm selbst als „Ethno-Fiktion“ bezeichneter Les maitres fous (1955) dokumentiert ein Ritual des religiösen Kultes der Hauka. Zu sehen sind in Ghana ihr Geld verdienende nigerianische Wanderarbeiter, die am Stadtrand von Accra für einen Nachmittag in die Rollen des Gouverneurs, des Richters, des Lokomotivführers und anderer französischer Kolonialherren schlüpfen. Mit rollenden Augen, schäumenden Mündern und Marionetten-Bewegungen führen sie etwas auf, bei dem es sich Rouch zufolge um kein Stück handelt, keine Satire, sondern um ein echtes Anders-Werden, eine psychischen Stress abbauende Aneignung der Besatzerpositionen.

Wer also sind die „verrückten Herren“? Die schwarzen Hauka-Männer, die Rouch am Ende als in die Kamera lächelnde Arbeiter zeigt? Oder vielleicht die Kolonialherren, die in einer Sequenz in einer pompösen Parade durchs Bild ziehen? Auch in Victor Halperins Klassiker White Zombie (1932) erscheinen die Untoten als Figuren, in denen das unmenschliche System der kolonialen Ausbeutung bis zur grausigen Kenntlichkeit gesteigert ist. In der eindrucksvollsten Szene des auf Haiti spielenden Films sieht man die gigantische Papiermühle des Fabrikanten Legendre (Bela Lugosi), in der von ihm wiederbelebte Inselbewohner mit stumpfen Blick die Räder drehen. „Sie arbeiten – und sie beschweren sich nicht über Überstunden“, erklärt Legendre.

The Mystery Man: Herk Harvey (Carnival of Souls)

Der Zombie als Inbegriff äußerster Ausbeutung und zugleich als Verkörperung des Widerstands, der Rückkehr des Unterdrückten – genau diese Offenheit macht die Figur für Künstler so interessant. Ob in Form schwuler Wiedergänger (Otto or Up With Dead People von Bruce LaBruce), untoter Nazi-Schergen (Shock Waves von Ken Wiederhorn, Dead Snow von Tommy Wirkola) oder künstlicher Retortenmenschen (Im Schatten der Made von John Bock), die Zombies sind bei all ihrer Fleischeslust herrliche Allegoriemaschinen, die ständig neue Bedeutungen hervorbringen. Manchmal, wenn sie alleine bleiben und sich nicht zu großen Rotten zusammenschließen, kann man sich richtig verlieben in einzelne Untote. Zum Beispiel in die Orgelspielerin Mary Henry, die in Herk Harvey schönem Carnival of Souls durch Salt Lake City und einen verfallenen Musikpavillon am Großen Salzsee streift und von der endgültigen Einsamkeit träumt. Dabei hat sie sie schon lange gefunden.

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Der Kongress „Die Untoten – Life Sciences & Pulp Fiction“ findet vom 12. bis 14 Mai auf Kampnagel statt. Informationen zum begleitenden Filmprogramm im Alabama-Kino finden sich hier

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