„Its surface is deliberately fractured, the progress of the narrative obscured, in a way that one must recognize as extremely audacious within the Hollywood context (though not necessarily artistically successful). In one respect, indeed, it presents its narrative as strictly impossible, providing cinematic statements that are not only contradictory but mutually exclusive. I find it very hard to be sure just what Friedkin had in mind here – to judge the level of sophistication on which the film seeks to operate. In style, it is as little ,Brechtian‘ as one can imagine, yet it seems to want its viewers to question the ,realist‘ experience of narrative itself.“ (Robin Wood: „The Incoherent Text“, in: Hollywood from Vietnam to Reagan)Nächsten Freitag, den 18.10., bieten die Lesbisch Schwulen Filmtage die Gelegenheit, William Friedkins Cruising im Kino zu sehen, eines der besten Porträts des Dirty Old New York und der Inbegriff eines seiner Zeit weit voraus weisenden Kunstwerks, dessen experimenteller Umgang mit der Tonebene, narrativen Strukturen und Genreregeln erst zu allgemeiner Empörung und im Laufe der Jahre zu einer Reihe schöner Exegesen und Spekulationen geführt hat. Die aktuellste Cruising-Hommage wird auch zu sehen sein, das „Franco Faggot Project“ Interior. Leather Bar. von James Franco und Travis Mathews, dass die legendenumwobenen und bis heute nicht veröffentlichten 40 Minuten nachstellt, die gleich nach der Premiere von Cruising der Zensur zum Opfer gefallen sind.
Szenenfoto aus Interior. Leather Bar. |
Robin Wood hat schon 1980, kurz nachdem der Film in die Kinos gekommen war und von allen Seiten, inbesondere von der Gay Community, angefeindet wurde, darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei den Brüchen, Ambivalenzen und Obskuritäten in Cruising nicht um handwerkliche Mängel und politisch inkorrekte Geschmacklosigkeiten handelt, sondern um ganz bewusst gesetzte, konsistente und gegen die herrschende Ideologie gerichtete Effekte. Zentraler Punkt seiner Argumentation ist die von Cruising betriebene Auflösung von Hierarchien und Oppositionen, die konventionelle Hollywood-Werke und insbesondere das Genre des Serienmörder-Thrillers bestimmen. Als radikalste Strategie hob Wood die ganz bewusst hergestellte Unmöglichkeit hervor, am Ende des Films einen einzigen Täter zu identifizieren, sowie die damit einhergehende Multiplikation der möglichen Täter (unter ihnen der von Al Pacino dargestellte Undercover-Cop). Adrian Martin: „The film is not about an individual killer or his string of victims, but an entire social system running on sexual repression and twisted, murderous impulses.“
„New York Manhattan Cruising Map“, Ausschnitt aus einem japanischen Cruising-Flyer, gefunden bei Obscure One-Sheet |
Vor allem Bill Krohn und Adrian Martin haben auf den Spuren Robin Woods dazu beigetragen, die ambivalenten Elemente von Cruising, bei denen Wood noch große Zweifel hatte, inwieweit sie von Friedkin intendiert waren, als sehr bewusst gesetzte und gestaltete Elemente einer Ästhetik der Verunsicherung herauszuarbeiten. In „Friedkin Out“ weist Krohn anhand von Drehbuchentwürfen, Produktionsnotizen und handschriftlichen Memos detailliert nach, wie Friedkin eine Identifizierung eines Täters unmöglich machte, indem er bestimmte Figuren durch wechselnde Schauspieler darstellen ließ. Cruising ist also nicht nur inhaltlich durch Dopplungen, Spiegelungen und Wiederholungen bestimmt (die Hardcore-SM-Szene als spielerischer Doppelgänger der Polizei, der Cop Steve Burns als Doppelgänger des gesuchten Täters), sondern auch auf der Besetzungsebene: Der Täter, der in einer Szene von einem bestimmten Schauspieler gespielt wird, wird in einem Flashback von jemand anderem verkörpert. Nach radikaler funktioniert diese Verschleierung individueller Körper und Figuren auf der Ton-Ebene, die Adrian Martin in „The Sound of Violence“ analysiert. Die repressive und zum Morden animierende „Stimme des Vaters“ (ein patriarchaler Wiedergänger der von Norman Bates verinnerlichten Mutterstimme in Psycho), die durch Cruising flottiert und sich nicht eindeutig einer einzigen Figur zuordnen lässt, bildet Martin zufolge das Zentrum eines außerordentlich elaborierten Sounddesigns: „The Father’s Voice is a very particular kind of voice: very low, heavy, always post-synchronised, almost obscenely close to a microphone. Indeed, I believe that Friedkin stylised the film’s entire sound design to such an extent in order to build everything around this voice as the central element – so that all other voices diverge from it or resemble it, in varying and shifting degrees.“
Cruising ist nicht nur radikal und spannend, er ist für mich auch integraler Bestandteil einer Reihe Filme der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, die ich auf eine tiefere Art liebe als den Rest der Kinogeschichte. The Warriors, Assault on Precinct 13, Halloween, Escape From New York, The Thing, Dressed to Kill, Blow Out, Scanners, Dead Zone, Videodrome, Evil Dead, Maniac, Driller Killer, Ms. 45, American Monster gehörten nicht unbedingt zu den ersten Filmen, die ich im Kino sah, aber auf jeden Fall zu jenen, die sich mir tief einprägten als Versprechen, als Hoffnung, als Verbotenes, das damals vor allem durch Anzeigen und Berichte in der Zeitschrift Cinema zu mir drang. Für immer geprägt wurde in dieser Zeit nicht nur meine unstillbare Lust am Horrorfilm, sondern auch an einer ganz spezifischen Textur von Kleidung, Gesichtern und Straßenzügen, wie sie zum Beispiel in folgendem Bild zu sehen ist:
Die Einstellung zeigt Dan Hedaya in Night of the Juggler, wie er mit einer Pumpgun durch Manhattan läuft und Jagd auf James Brolin macht. Auf Night of the Juggler bin ich (wie auf so viele andere schöne Entdeckungen) durch Jonathan Hertzberg gestoßen, dessen Blog Obscure One-Sheet dem Kino der 70er- und 80er-Jahre gewidmet ist. Wie er im Interview erklärt, ist Hertzberg weniger daran interessiert, die Filme zu bewerten und ideologisch einzuordnen, als an einer Freilegung und Beschreibung verborgener Schichten und Geschichten. Zu seinen immer wieder aufregenden Funden zählen Filme wie Vigilante Force und Jeremy, Schauspieler wie Ray Vitte, Steve Inwood und Glynnis O’Connor und Regisseure wie James Bridges und natürlich immer wieder William Friedkin. Hertzbergs archäologische Grabungen haben nicht nur zu Texten, sondern auch zu einer Reihe erstklassiger Video Essays geführt, in denen er in ganz puristischer Weise, ohne Inserts oder Off-Kommentar, seine Fundstücke mit subtiler Montage zu assoziationsreichen Hommagen verdichtet. Neben Arbeiten zum Genre des Sunshine Noir und zum immer beängstigend intensiven Manic Expressive Joe Spinell (der in Cruising als falscher Cop zu sehen ist) ist auch ein großartiger, mittlerweile auf vier Teile angewachsener Essay zur filmischen Darstellung des Dirty Old New York entstanden, der sich mit allen cineastischen Aspekten der in Verfall befindlichen Stadt befasst (Teil 1, 2, 3, 4). Hier ist Hertzbergs toller Film zu den New Yorker U-Bahnen:
Die Nostalgie für das Kino der späten 70er- und frühen 80er-Jahre ist eng mit den Verfallserscheinungen des prägentrifizierten New Yorks verbunden, eine verschwundene Ruinenlandschaft, die man sich mittlerweile nur noch durch Filme, Fotografien, Blogs wie Jeremiah’s Vanishing New York und melancholische Texte wie Luc Santes „My Lost City“ vergegenwärtigen kann. Eine (Alp-)Traumlandschaft, eine Geisterstadt, ein Palimpsest von Endzeitvisionen und pathologischen Erlösungsdramen, erfüllt von unkontrollierbaren Energien, Spinnern, kaputten Cops, von pornografischen Tagträumen und Gewaltfantasien, zugleich aber auch ein letztes unkorrumpierbares Bollwerk der Realität gegen jede Form von falscher Utopie. Und natürlich auch ein großer, labyrinthischer Abenteuerspielplatz mit endlosen Möglichkeiten des Versteckens und Verfolgens, über Dächer, auf Straßen und durch die Kanalisation, durch die Ruinen der Bronx, across 110th Street, hinein in die Luxusapartments der Upper West Side, hindurch durch die dunklen Fußgängertunnel im Central Park, hinaus auf East und Hudson River, hinab ins dämonische Wasserreich von Dario Argentos Inferno. Cruising, The Warriors, Maniac sind die besten Reiseführer durch das nächtliche Traum-New-York dieser Zeit, der aufregendste Tages-Guide ist Night of the Juggler, der auf den Spuren eines komplett durchgeknallten, rassistischen, pädophilen Gentrifizierungs-Opfers durch die Straßen von Manhattan rast, eine neorealistische Tour de Force durch eine dem Untergang geweihte Stadt, entirely shot on location.
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Freitag, 18. Oktober, 22.30 Uhr, Studio-Kino: Double Feature mit Interior. Leather Bar. und Cruising
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