05 Oktober 2013

Slick 'n' Sleazy

Liebe Herumirrende in den brachliegenden Gefilden der eigenen Ideen,

bei der ewigen Suche nach schmissigen Subgenres sind Bizarre Cinema mal wieder zwei fantastische Fische ins Netz gegangen: der Autoporno und der Goth-Horror-SciFi-Zug-Schocker. Ja, der Sommer ist vorbei und es ist wieder an der Zeit, die Motoren und Projektoren anzuschmeißen und mit Vollgas in die neue Saison zu starten. Leider muss der große Bizarre-Cinema-Sattelschlepper wegen zwei Festivals in der zweiten Oktoberhälfte gleich wieder eine Vollbremsung einlegen, aber im November und Dezember geht es mit geballter Energie voran in von uns bisher kaum erschlossene Subgenre-Gefilde: Blaxploitation Extravaganza! Kung Fu Ghost Ships! Postmodern Paranoia Potpourri! Big Budget Nunsploitation! Also: Anschnallen! Die neue Bizarre-Cinema-Saison im Metropolis-Kino ist eröffnet!



Sonntag, 6.10.2013, 14.30 Uhr: Auf dem Highway spielt die Polizei verrückt
Originaltitel: Deadline Auto Theft / Gone in 60 Seconds: 2, USA 1983, Regie: H.B. Halicki, mit H.B. Halicki, Hoyt Axton, Marion Busia, Jerry Daugirda, George Cole
Ein Film wie ein Porno – nur mit Autos: Es gibt kaum Handlung, es reibt sich nur immer wieder Blech an Blech, dazwischen sabbeln die Leute dummes Zeug ... Eigentlich wollten wir den Car-Crash-Klassiker Die Blechpiraten (Gone in 60 Seconds; USA 1974) zeigen. Tun wir nicht, letztlich aber doch: Der Ersatzfilm stimmt zu 90 Prozent mit Die Blechpiraten überein: Regisseur, Star und Stuntman H.B. Halicki drehte 1982 einfach ein paar Szenen hinzu, fertig war der „neue“ Film! Halicki spielt einen Autodieb, der nur versicherte Autos stiehlt. Als eines doch nicht versichert ist, geht der Ärger los – an dessen Ende eine irrwitzige, circa 40-minütige Karambolagejagd steht, bei der 93 Autos geschrottet werden, 48 davon sind Polizeikarren.
Anmerkung 1: H.B. Halicki starb 1989 mit 48 Jahren bei einem Auto-Stunt.
Anmerkung 2: Das sogenannte Remake (USA 2000) mit Nicolas Cage und Angelina Jolie widersprach dem Geist des Originals, indem es den Karossen huldigte, anstatt sie zu zerstören.
Text und Einführung: Peter Clasen



Sonntag, 13.10.2013, 14.30 Uhr: Horror Express
GB/ES 1972, Regie: Eugenio Martín, 88 Min., DF, mit Peter Cushing, Christopher Lee, Telly Savalas
Forscher entdecken zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Mandschurei einen Körper unbekannter Art. Die Wissenschaftler transportieren den Fund in der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Europa, doch während der Reise häufen sich unerklärliche Zwischenfälle. Alles deutet darauf hin, dass sich etwas Unheimliches und sehr, sehr Böses an Bord befindet. Regisseur Martín verbindet Gothic-Horror mit Sci-Fi-Elementen und bedient sich typischer Zug-Film Dramaturgie. Ein absoluter Klassiker des europäischen Horrorkinos!
Text und Einführung: Jan Minck

20. und 27.10.2013: Keine Vorführung


3.11.2013, 14.30 Uhr: Blow Out
USA 1981, 107 Min., 35mm, OF, Regie: Brian De Palma, mit: John Travolta, Nancy Allen, John Lithgow, Dennis Franz
Die Geschichte des Tontechnikers Jack Terry, der mit seinem Richtmikrofon bei einer nächtlichen Aufnahmesession im Wald nicht nur Frösche und Eulen, sondern auch die akustischen Spuren eines Attentats aufzeichnet, zeigt De Palma auf der Höhe seiner Kunst. Blow Out markiert wie kein zweiter Film den Übergang von den 70ern in die 80er, er ist extrem sleazy und slick zugleich, ein Film der geradezu spürbaren Zersetzung auf allen Ebenen und eine Feier der Farben und Oberflächen, voller Melancholie und Zynismus, ein letztes Aufbäumen gegen allgegenwärtige Manipulation und zugleich selbst brutal manipulativ, vor allem im obszön rauschhaften Slasher-Finale. Ein Film der perfekten Balancen, in dem alles aus dem Lot geht. Travolta war sowieso nie besser.
Text und Einführung: Volker Hummel



10.11.2013, 14.30 Uhr: Das Geistergesicht der roten Dschunke
HK/IND 1972, R: Sai King Yang, 85 Min., DF, mit Lang-Fung Chang, Lenin Marlina, Lingfeng Shangguan
Wer bei diesem Titel an Geisterschiffe, die sich träge durch wabernden Nebel schieben, denken muss, ist völlig auf dem Holzweg: Hier ist das Partyboot der Bizarre-Cinema-Crew unterwegs, Floating Bar und Sonnenschein inklusive! „Karaté á Bali“, so der französische Titel, bringt es besser auf den Punkt: Kloppe unter Palmen! Eine indonesische Prinzessin sinnt auf Rache, nachdem ihr Vater von „Ghostly Face“, eigentlich ein Held der Armen, brutal abgestochen wurde. In ihrem Rachefeldzug kommt sie einer Intrige böser Piraten auf die Schliche … In endlosen Kung-Fu-Duellen wird fleißig durch die Luft geflogen, jede Einstellung flasht mit Zoom-Effekten, und von der Tonspur dröhnt die Mucke bester Italowestern. Eastern-Fans frohlocken, denn die Finishing Moves der Kämpfe wurden äußerst blutig in Szene gesetzt. Leinen los!
Text und Einführung: Jochen Oppermann



Freitag, 15.11.2013: THE GREAT BIZARRE CINEMA BLAXPLOITATION EXTRAVAGANZA: 16mm meets 7 inch!
In Sachen Materialfetischismus kann nur eine Gruppe Bizarre Cinema das Wasser reichen: die internationale Brother- and Sisterhood of Soul Fans. Wie der Teufel das Weihwasser und Bizarre Cinema die Pixel scheuen Soul-DJs jede Form digitaler Abspielmedien und beharren auf der kleinsten, reinsten Einheit komprimierter Ekstase: der 7 inch single. Na klar geht’s dabei um den Sound, den einzig wahren, postproduktionell nicht bereinigten, aber es geht auch um die Suche an sich, in Archiven, Plattenläden, Kellern, um geborgene Schätze, die nicht in Vitrinen und Tresoren versteckt, sondern auf Turntables zum Leben erweckt werden. An diesem Abend feiert Bizarre Cinema die Vermählung von 16mm und 7 inch mit einem Klassiker des Blaxploitation-Kinos, das wie kein anderes Genre den rohen Sound und den rauen Look der 70er-Jahre vereint. Across 110th Street ist Apotheose des Genres und Ausnahme zugleich: Untermalt vom fantastischen Score von Bobby Womack, dessen Titelsong Tarantino in Jackie Brown kongenial eingesetzt hat, erzählt der Film von drei Brüdern, die bei einem Überfall auf ein Wettbüro in Harlem 300.000 Dollar ergattern, zwei Cops erschießen und daraufhin zu Freiwild für Mafia, Polizei und lokale Gangs werden. Anders als die meisten Blaxploitation-Filme, die Aufstieg und Fall ihrer Pimp- und Gangsterfiguren mit einer Aura von Glamour oder Komik umgaben, ist Across 110th Street konsequent düster und hoffnungslos, es gibt kein Entkommen aus dem Ghetto. Gedreht wurde on location in Harlem, in Bars, Polizeistationen, Mietskasernen, Hinterhöfen, „a real vision of hell“ (J. Hoberman). Einführen in den Film wird der britische Filmdozent Garrath Churm, der Seminare zur amerikanischen und englischen Filmgeschichte leitet und seit 40 Jahren eine treibende Kraft der Northern-Soul-Szene ist. Im Anschluss an den Film startet im Foyer des Metropolis eine Soul Party, bei der neben Churm auch sein Landsmann Franc Giacobbe und Lars Bulnheim 7-inch-Perlen auflegen. Stop, Look, and Listen!
21.15 Uhr: Filmvorführung Across 110th Street (USA 1972, R: Barry Shear, 16mm, OF), mit Einführung von Garrath Churm (in englischer Sprache)
23.30 Uhr: Soul Party im Foyer, DJs: Garrath Churm, Franc Giacobbe (UK), Lars Bulnheim (HH)

17.11.2013: Keine Vorführung wegen Cinefest



24.11.2013, 14.30 Uhr: The Devils (in Kooperation mit dem Cinefest)
GB 1971, Regie: Ken Russell, 110 Min., 35mm, DF, mit Oliver Reed, Vanessa Redgrave, Dudley Sutton
Historienepos, Horror, Camp, Big Budget Nunsploitation: Bizarre Cinema ist mit Ken Russells legendärem Katholizismus-Schocker zu Gast beim Cinefest! Machtpoker im Frankreich des 17. Jahrhunderts: Kardinal Richelieu versucht, seinen Einfluss auszuweiten, und stößt in der Stadt Loudun auf den Widerstand des Priesters Grandier. Beschuldigungen und Intrigen folgen, die Interessen verschiedenster Parteien vermischen sich in dem Konflikt. Ketzerei und Blasphemie, Inquisition und Folter, Exorzismen und Orgien, Russell zaubert all das in atemberaubende Sets von Derek Jarman. Der Film ist bis heute nicht in seiner ursprünglichen Fassung zu sehen, da er seinerzeit so viel Staub aufwirbelte, dass die britische Zensurbehörde BBFC sowie der Verleih Warner sich gezwungen sahen, „saubere“ Arbeit zu leisten. Trotzdem gilt die Werbezeile von 1971 noch immer: „The Devils is not a film for everyone!“
Text und Einführung: Jan Minck

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