Der dunkle, distanzierte Blick, den Heino Jaeger am Anfang von Look before you kuck direkt in die Kamera richtet, habe ich in diesem Text als eine Frage an den Zuschauer gedeutet: Glaubst du, der du mich anstarrst, dass ich dir etwas mitzuteilen habe? Dass deine Gegenwart meine Vergangenheit zum Sprechen bringen kann? Doch es ist nicht Heino Jaeger, der fragt, sondern der Regisseur Gerd Kroske. Die Frage ist auch an ihn selbst gerichtet und sein Film eine genau durchdachte und in eine konsequente Form gebrachte Antwort darauf. Kroske glaubt an die Vermittelbarkeit der Vergangenheit, aber nur zu ihren Bedingungen, nicht zu denen der Gegenwart. Vielleicht ließe sich das nunmehr 24 Jahre umfassende dokumentarische Schaffen Gerd Kroskes auf diesen Nenner bringen: einen Blick zu finden auf die Gegenwart durch die Augen einer noch wirksamen, aber langsam verdrängten Vergangenheit. Christa Blümlinger spricht in dem der Box beigefügten Booklet von der „Wiederkehr des Unabgegoltenen in individuellen und sozialen Geschichten“ in Kroskes Filmen. Der Leitfaden beim Finden dieser Geschichten sind weder ein zentrales Thema noch eine spezifische ästhetische Methode, sondern Neugier und das Gespür für Orte und Menschen, deren Biografien sowohl von historischen Umbrüchen als auch von einem „Eigensinn“ (Blümlinger nach Kluge und Negt) geprägt sind, der den Zeitläuften entgegensteht.
Stefan Seide (Kehraus, kehrein) |
Kroskes Protagonisten sind soziale Außenseiter und (Lebens-)Künstler, oft auch Menschen, in denen sich das Asoziale und das Musische aufs Aufregendste vereint. Zu Letzteren gehören die Protagonisten der „Hamburger Trilogie“, der „Boxprinz“ Norbert Grupe, der als selbsternannter „Prinz von Homburg“ halbseidenen Glanz ins Kiezmilieu der 70er-Jahre brachte, Wolfgang Köhler, der in Wollis Paradies von seinem sozialistisch geführten Puff erzählt, in dem sich Luden und Künstler wie Hubert Fichte begegneten, und Heino Jaeger, in dessen Zeichnungen und Stegreifgeschichten die BRD der 70er-Jahre in ihren ganzen monströsen Banalität eingefangen ist. Am anderen Ende des Spektrums stehen die Protagonisten der Leipziger Trilogie, die 1990 mit dem Nach-Wende-Nachtstück Kehraus ihren Anfang nahm. Darin lässt Kroske Stefan Seide, Henry Radny und Gabriele Koch in die Kamera sprechen, Pauschalarbeiter der VEB Stadtwirtschaft Leipzig, Abteilung manueller Kehrbetrieb, Arbeit von 18 bis 6 Uhr, 50 Mark die Nacht. Viel ist es nicht, was man erfährt, Fragmente brüchiger Biografien, erst mit dem Nachfolger Kehraus, kehrein (1996) lernt man die drei näher kennen, erfährt von ihren Sehnsüchten und Enttäuschungen und ihrem immerwährenden Kampf mit den Tücken des deutschen Sozialsystems.
Kurt Wanski (Kurt – oder Du sollst lachen) |
Eine von Kroskes großen Gaben besteht darin, seine Protagonisten zum Sprechen zu bringen, oft in ihrem privaten Umfeld, in Küchen und Stuben. Die Fragen aus dem Off sind leise, einfühlsam, nie konfrontativ, ebenso wenig wie die Montage auf eine These aus und fördern gerade deshalb viele Details zutage, kommen einer Vielzahl von Geschichten auf die Spur. Anhand der 2006 mit Kehraus, wieder zum Abschluss gebrachten (und nie als solche angelegten) Langzeitdoku ließe sich etwa die eher kontinuierliche als von Brüchen bestimmte Geschichte der Institutionen erzählen, die in DDR und BRD diejenigen verwaltet haben, die keinen produktiven Platz im System gefunden haben: Gefängnisse, Heime, Behörden, Ämter, Hartz-IV-Kundencenter. Ob Leipziger Straßenfeger oder Hamburger Bohemians, ob der Streuner, Musiker und Maler Kurt, der den größten Teil seines Lebens in psychiatrischen Anstalten verbracht hat (Kurt – oder Du sollst lachen, 1992), oder der Bahnhof Brest, dessen komplexe Geschichte in Vokzal (1993/94) anhand einer vielschichtigen Collage aus Archiv- und Vor-Ort-Aufnahmen evoziert wird, die von Kroske porträtierten Menschen und Orte sind geprägt und gezeichnet von den Umbrüchen und Verwerfungen ihrer Zeit. Immer aber bleibt ein Rest, der nicht aufgeht, eine Portion Eigensinn, dem die Filme Kroskes mit großem Respekt eine Form geben, ohne ihm ganz auf den Grund zu gehen.
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