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Filme von Brian De Palma: Woton’s Wake (1962)
Der in Schwarzweiß gedrehte dritte Kurzfilm von De Palma ist eine wüste Tour de Force durch die Kinogeschichte, oder vielmehr: durch eine Reihe ihrer Motive, Figuren, Konstellationen, die der damals 22-jährige Regisseur vermischt, persifliert, intensiviert. William Finley, der für De Palma ähnlich wichtig war wie De Niro für Martin Scorsese und Denis Lavant für Leos Carax, ein exaltiertes Alter Ego zu seinem kontrollierenden Super Ego, ist Woton Wretchichevsky, ein polymorph-perverser Beelzebub, der sich aus einer Vielzahl von Kinophantomen und -monstren zusammensetzt. Als Vorläufer der vielen manipulativen und zugleich impotenten Männerfiguren, die in De Palmas Oeuvre den Frauen mit phallischen Apparaten wie Kameras, Mikrofonen und Werkzeugen zuleibe rücken, sucht Woton seine weiblichen Opfer mit einem Bunsenbrenner heim, vielleicht eine Verneigung vor Godzilla (1954), vielleicht eine Anspielung an die verbrannten Körper aus Alain Resnais’ Hiroshima, mon amour (1959), dessen Skript am Anfang von Woton’s Wake auf einem Bücherregal zu sehen ist. Aus Finleys wandelbarem, nie ganz sichtbar werdenden Gesicht stechen die schwarz umschminkten Augen des somnambulen Cesare aus Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) und die Hakennase vieler Stummfilm-Sukkubi hervor, seine spinnenartigen Finger tasten wie die Hände von Murnaus Nosferatu eher ratlos als geil über seine Opfer, sein gebückter Gang führt ihn über expressionistische Häuserfassaden und durch ein rumpeliges Kellergewölbe, in dem das gesamte Teufelsanbeterszubehör aus Benjamin Christensens Häxan (1922) aufbewahrt zu sein scheint.
Fragments of a Mash-up-Monster: Woton’s Wake |
Nachdem Woton ein junges Mädchen eingefangen und in sein unterirdisches Reich verschleppt hat, offenbart sich dieselbe Ratlosigkeit angesichts des gefesselten und mit Zirkel und Flammenwerfer malträtierten weiblichen Körpers, die auch die drei jungen Männer in Greetings (1968), den Komponisten Winslow Leach in Phantom of the Paradise (1974) und den Soundtechniker Jack Terry in Blow Out (1981) im entscheidenden Moment befällt: Mann werkelt doch lieber an seinen Apparaten weiter. Fröhlicher, spielerischer als in allen späteren Filmen De Palmas wird das Gefummel des Mannes von der Frau zurückgewiesen, und es beginnt eine neckische Jagd durch die Straßen einer Stadt. Die immer wieder aufflammende Lust an der Erkundung von Fassaden, Straßen, Häusern erinnert an die Keystone Cops und Vertovs mobiles Kameraauge (transfiguriert in Wotons geile Lüstlingsaugen), an Panzerkreuzer Potemkin gemahnen eine Treppe und schnell hintereinander geschnittene Löwen, deren letzter eine Torte ins steinerne Antlitz kriegt. Die Verfolgung führt in die wahrscheinlich erste Hitchcock-Einstellung in De Palmas Werk, eine Außenaufnahme eines modernen Gebäudes mit verglastem Treppenhaus, durch das man die gefährdete, immer gut gelaunte Heldin ins Obergeschoss flüchten sieht. Dort „verbirgt“ sie sich in der Rolle einer gelangweilten Schachspielerin, die das in tiefem Ernst gefurchte Gesicht ihres Gegenübers nachahmt, Figuren übereinanderstapelt und in einer der vielen Szenentransformationen des Films schließlich den Teufel aus Bergmans Das siebente Siegel (1957) auf weibliche Art matt setzt. Woton verwandelt sich unter anderem noch in Lon Chaneys Wolf Man, in das Phantom der Oper und in den Papierflugzeuge haschenden King Kong, das Mädchen aber kriegt er nicht.
Das von De Palma und Finley mit Gusto und Ironie betriebene Monster-Mash-up weist auf den ähnlich energiegeladenen und in viele Richtungen strebenden Phantom of the Paradise voraus, der Motive aus Faust, dem Phantom der Oper und Das Bildnis des Dorian Gray zu einer kruden Rock-Oper vermengt, durch die sich wie durch fast alle Werke De Palmas als roter Faden die Jagd eines in jeder Hinsicht impotenten Mannmonsters nach einer angebeteten Frau zieht, nach ihrem Geheimnis, ihrer Seele, ihrer Stimme (ein Motiv, das in Blow Out wiederkehrt). Der anarchische Sampling-Gestus, die Lust am Vermischen klassischer Elemente und gleichzeitig ihre exaltierte Verarschung, erinnert an Leos Carax’ Merde, der Denis Lavant auf Tokio loslässt. Verbunden sind die Filme auch durch die körperliche Versatilität ihrer Hauptdarsteller, die den Trieben und Hemmungen ihrer Figuren anschaulich Ausdruck verleihen. Seine 1,93 Meter beugt, bückt und verrenkt Finley im geheimen Rhythmus seiner Impulse, seine leicht vorstehenden Pupillen, die in Phantom of the Paradise aus dem Silberhelm des Monsters hervorstieren, geilen chamäleongleich in alle Richtungen. Wie eine von Jack Smith’ Flaming Creatures geistert er durch das frühe Ouevre De Palmas (Murder à la Mod, 1968, Sisters, 1973) und verbreitet eine Aura unstillbarer und zugleich sehr zarter Dauererregung. Sehr interessant ist in dieser Hinsicht De Palmas im Splitscreen-Verfahren gedrehtes Dokument einer Aufführung von Richard Schechners Performance Group, Dionysus in ’69, in dem Finley die für alle Geschlechter verführerische Hauptfigur spielt. Ähnlich wie in der „Be Black Baby“-Episode aus Hi, Mom! (1979) versucht sich De Palma an der filmischen Abbildung performativer Praktiken, in denen es darum ging, die Grenzen zwischen verschiedenen Erfahrungswelten, zwischen den Rassen, zwischen Frauen und Männern, zwischen Künstlern und Zuschauern aufzuheben.
These: De Palmas Werke sind eine Folge von Versuchen, diese Grenzen aufzuheben, und zugleich das selbstbewusste Eingeständnis des Scheiterns dieser Versuche.
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Sonntag, 3.11.2013, 14.30 Uhr: Blow Out im Metropolis-Kino
Die beste Quelle for all things De Palma ist De Palma a la Mod
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