Hurra, es ist Herbst! Endlich Schluss mit dem Geschwitze in Parks und am Strand, endlich wieder tagsüber ins Kino, sonntags zu Bizarre Cinema, der Reihe, die das Trash-Kino der 70er und 80er Jahre zelebriert!
Nostalgie ist nicht wählerisch. Alles kann ihr Objekt werden: ein Geruch, eine Haarfarbe, eine Schnulze, eine Kekssorte, eine Zeile aus einem Gedicht. Oder auch der Sound von brechenden Knochen und feuerspeienden Riesenechsen. Zumindest dann, wenn man in den 1970ern aufwuchs, jener letzten goldenen Kinodekade, bevor die Videotechnologie Filmgenuss zunehmend zu einer Privatangelegenheit machte. An Samstag- und Sonntagnachmittagen saß man damals in der dunklen Höhle eines Kleinstadt-, Vorort- oder Bahnhofskinos und genoss Bilder, deren Lust an Sex, Gewalt und purem Entertainment heute nahezu vollkommen von den Leinwänden verschwunden ist.
Alle Genres, die in den 60 Jahren zuvor ihre festen Formeln ausgebildet und verfeinert hatten, wurden plötzlich generalüberholt, ihre ideologischen Grundlagen entblößt und ins pathologische Extrem geführt. Italowestern, Porno-, Zombie- und Söldnerfilme handelten nicht mehr vom Guten im Menschen, sondern von Körpern, die aus jeder sozialen Ordnung herausgefallen waren. Und genau diese Körper waren auch die Adressaten dieser Werke. Nicht rationale Analyse sollten sie bewirken, sondern somatische Schocks, die lange nachwirken. Hinzu kamen damals eine Reihe neuartiger Streifen aus Fernost, deren Helden muskelgestählte Kung-Fu-Kämpfer, Metropolen-verschlingende Gummimonster und blinde Samuraikämpfer waren. Die bescheidene Synchronisation störte nicht im Geringsten das Verständnis des wilden Treibens, dessen kulturelle Codes man sowieso nicht beherrschte.
Zum Spaß an diesen Werken gehörte ein kommunaler Aspekt, das gemeinsame Erlebnis, das vielstimmige Jauchzen, wenn ein weiterer Kopf unsauber vom Rumpf getrennt wurde. Später wurde dafür der Begriff des "Kultfilms" geprägt, dessen Wertschätzung einen zum Mitglied einer exklusiven Gruppe machte und dem in Mitternachtsvorstellungen gehuldigt wurde. In Hamburg überlebte diese Tradition die 80er Jahre im Alabama-Kino, wo während Veranstaltungen wie den Gore-Nights alles möglich war, vom kollektiven Verlassen des Saals bis zu hysterischen Verbrüderungen.
Die Bahnhofskinos sind verschwunden, das Alabama ist abgerissen, die Sehnsucht nach einem Kino ohne Tabus ist geblieben. Heutzutage bleiben da nur noch das einmal im Jahr stattfindende Fantasy Filmfest und der Kauf von DVDs. Das eine ist zu selten, das andere zu einsam. Diese Misere bekämpft das tapfere 3001-Kino mit einer Reihe, die jetzt schon in ihr viertes Jahr geht: "Bizarre Cinema" heißt sie und vereint einige der stilbildendsten Meisterwerke des Trashkinos. Einige der Filme werden von Filmkritikern und -fans vorgestellt, wobei von der persönlichen Reminiszenz bis zur akademischen Abhandlung alles erlaubt ist. Auch bei den Anfangszeiten versucht man, es einem nostalgischen Publikum Recht zu machen, das mit den gezeigten Filmen gemeinsam in die Jahre gekommen ist. Die Reihe läuft immer samstag- und sonntagnachmittags – auch Familienväter und Berufstätige haben also keine Ausrede, ihre alten Lieblingsfilme zu verpassen.
Die neue Saison wird mit einem Hammer eröffnet: Dario Argentos Tenebrae (1982) bietet komplizierte Kamerafahrten, einen dräuenden Elektrosoundtrack von Goblin, schlechte Schauspielleistungen, einen inkohärenten Plot, junge Dinger in verschiedenen Stadien des Ausgezogenseins und bis ins letzte anatomische Detail ausgeklügelte Slasher-Sequenzen. Da macht das Tranchieren des Sonntagsbratens doppelt so viel Spaß!
Hier das Bizarre-Cinema-Programm für die nächsten drei Monate, alle Filme laufen im 3001-Kino:
5.10. - Bizarre-Cinema-Eröffnung: Tenebrae, Mit Gästen
Italien 1981; Regie: Dario Argento
12.10. – Im Blutrausch des Satans aka Reazione a catena aka Ecologia del delitto aka Carnage aka Twitch of the Death Nerve aka Bay of Blood aka Bloodbath
Italien 1971; Regie: Mario Bava, Italienischer Trailer, US-Trailer (mit Kommentaren von Regisseur Edgar Wright)
19.10. - Mondo Cane
Italien 1962; Regie: Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi und Paolo Cavara
25.10. - Der Löwe des gelben Meeres
Japan 1963; Regie: Senkichi Taniguchi, mit Toshiro Mifune
1.11. – Grizzly
USA 1975; Regie: William Gridler
9.11. Zombies unter Kannibalen (OT: La Regina die cannibali)
Italien 1979; Regie: Sergio Martino
19.11. Weltraumschiff MR 1 gibt keine Antwort (OT: Angry Red Planet)
USA 1960, Regie: Ib Melchior
23.11. Jäger der Apokalypse
Italien 1980; Regie: Antonio Margheriti
30.11. Das Bildnis des Dorian Gray
Italien 1969; Regie: Massimo Dallamo
7.12. Syndikat des Grauens
Italien 1981; Regie: Lucio Fulci
14.12. Sadomona – Insel der teuflischen Frauen
USA 1974; Regie: Robert Lee Frost
21.12. The Hidden
USA 1987; Regie: Jack Sholder
28.12. Das Schwert des gelben Tigers aka The New One-Armed Swordsman
Hongkong 1971; Regie: Chang Cheh
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Perfekt in Stimmung bringen für diese Perlen des Trashkinos kann man sich auf der wunderbaren Website Trailers from Hell. Hier stellen renommierte Regisseure wie Joe Dante, John Landis, Edgar Wright (siehe oben, Im Blutrausch des Satans), Eli Roth und Stuart Gordon jeden Montag, Mittwoch und Freitag Trailer von Filmen vor, die sie in ihrer Jugend schwer beeindruckt haben. Das Spektrum umfasst obskure Genre-Filme, Exploitation-Perlen und Klassiker, die Kommentare reichen von der persönlichen Erinnerung an die erste Begegnung mit dem Film über Klatsch und Anekdoten bis zu interessanten Fakten zur Entstehung des Streifens. Ich will sie alle sehen!
Hier der vielleicht beste Trailer aller Zeiten, von und mit Alfred Hitchcock, kommentiert von Eli Roth: The Birds
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