12 April 2010

Reel Animals, Teil 1

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema #6
>> #5 Guter schlechter Film // Stanley
>> #4 50 Tote! // Assault on Precinct 13
>> #3 Penetra-, Muta-, Deformationen // Brian Yuzna
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Der Klassiker Grizzly von William Girdler und das Genre des Tierhorrors.
Ein Beitrag von i-ming

VON ORNITHOLOGISCHER KOMPLEXITÄT
Das Genre des Tierhorrors erweist sich, wie so vieles vermeintlich Oberflächliche, bei näherer Betrachtung als Gegenstand von nahezu unheimlicher Komplexität. Als Bezeichnung eines Subgenres wird der Begriff weder der Vielschichtigkeit der Werke und ihren vielen künstlerischen und intellektuellen Ansätzen gerecht noch den vielfältigen interpretatorischen und analytischen Herangehensweisen, mit denen man sich ihnen nähern kann. Vom einfachen Spektakulum „Wildes Tier frisst Mensch“ bis hin zu Gegenwartsanalysen mit ökologischen und sozialpolitischen Subtexten wird im Tierhorror die ganze Bandbreite präsentiert. In diesem Beitrag soll keine umfassende Geschichte des Subgenres angegangen und schon gar keine Kritik des Tierhorrors versucht werden, es sollen nur einige Gedanken und Informationen vermittelt werden, deren Fokus die englischsprachige Wendung „animals on the rampage“ (etwa „Tiere laufen Amok“) gut zum Ausdruck bringt. Hier geht es also nicht um menschliche Tragödien, die in engem Zusammenhang mit bestimmten Tieren und pathologischem Verhalten stehen (wie etwa in Willard oder Stanley), sondern um die Tiere und ihr abweichendes Verhalten selbst.

Eines vorweg: Einer der wichtigsten Tierhorror-Klassiker überhaupt, Alfred Hitchcocks The Birds von 1963, wird hier kaum eine Rolle spielen, da er den Rahmen sprengen würde und sich mehr noch als alle anderen hier erwähnten Filme den behelfsmäßig aufgestellten Kategorien und Kriterien entzieht, obwohl er auf den ersten Blick dem „animals on the rampage“-Prinzip eindeutig entspricht. Nur so viel sei gesagt, dass sein Erfolg viele Tierhorror-Produktionen der folgenden Jahre beeinflusste, etwa William Grefés Sting of Death (1965) und Death Curse of Tartu (1966) oder Freddie Francis’ The Deadly Bees (dt.: Die tödlichen Bienen, 1966). Die Spielart des Tierhorrors, die hier im Mittelpunkt der Überlegungen stehen soll, entwickelt sich konkret zu Beginn der 1970er Jahre und stabilisiert sich zur Mitte jenes Jahrzehnts, als Steven Spielberg mit Jaws auf die Unmittelbarkeit und die Erklärungsverweigerung von Hitchcocks The Birds zurückgreift und das Subgenre mit seinen bis heute gültigen Formalien ausstattet.

DAS JAHRZEHNT DES BÄREN
„Earl!“ the bear said (John Irving: Hotel New Hampshire)

1976 erblickte ein Monster das Licht der Kinosäle, dessen Existenz aus den verschiedensten Gründen äußerst bemerkenswert ist, da seine Geschichte voller Widersprüche zu stecken scheint: Dieses Monster wurde überaus bekannt und führte doch ein Schattendasein in seiner Nische; es war recht günstig aufzutreiben, erweckt aber ab und an den Anschein, recht kostenintensiv in der Haltung gewesen zu sein; sein Dompteur ist nahezu eine Legende, doch sein Name ist kaum bekannt; und last but not least ist es knuddelig und putzig, zugleich aber auch angsteinflößend und grauenvoll. Die Rede ist von „Teddy“, dem Bärenkonstrukt aus William Girdlers Tierhorror-Klassiker Grizzly. Im Folgenden soll überlegt werden, wie es im Verlauf der Geschichte des Tierhorrors zu dem Phänomen Grizzly gekommen ist, wo sein Platz in dieser Geschichte ist und wie es diesen ausfüllt und was dieses Phänomen uns über die Dynamik des Bizarre Cinema sagen kann.

Französischsprachige Lobbycard zu Grizzly

VON TIEREN UND MONSTERN
Die Geschichte des Tierhorror-Films ist lang, zurückverfolgen kann man sie bis in die Stummfilmzeit, zum Beispiel zu Harry Hoyts The Lost World von 1925, basierend auf dem Roman von Arthur Conan Doyle. Dieser Film stellt einen ausgezeichneten Prototypen für das Genre dar: Geht man davon aus, dass im Horrorfilm immer ein Monster die zentrale Rolle spielt, ob als Mensch in der Figur eines Serienkillers, als Wesen aus einer anderen Welt oder als Produkt wissenschaftlicher Extravaganzen, so wird die Rolle eines Monsters im Tierhorror grundsätzlich vom Tier ausgefüllt. In The Lost World sind die Tiere vom Standpunkt des modernen Betrachters aus per se monströse Wesen, handelt es sich doch um Saurier, die auf einem Hochplateau im Amazonasgebiet, das als evolutionäre Enklave fungiert, das Aussterben der eigenen Spezies überlebt haben, sie brauchen also nicht erst erzählerisch zum Monster stilisiert zu werden. Die Stop-Motion-Modelle für The Lost World stammten übrigens von Willis O’Brien, der acht Jahre später durch seine Arbeit an King Kong unsterblich wurde.

Willis O’Briens Brontosaurus aus The Lost World

In den 1950er Jahren mutierten uns vertraute und noch nicht ausgestorbene Tiere zu gigantisch großen Monstern, etwa 1955 in Jack Arnolds Tarantula oder 1954 in Gordon Douglas’ Them!. Diese Filme bedeuteten bei aller Fantastik einen wesentlichen Entwicklungsschritt für das Genre, da in ihnen mit real existierenden Ängsten, beispielsweise vor Spinnen, gearbeitet wurde. Die Filme der 70er Jahre gingen noch einen Schritt weiter, indem sie die Tiere im mehr oder weniger natürlichen Größenverhältnis beließen und sich dramaturgisch vermehrt auf ein abnormes Verhalten der jeweiligen Spezies verlagerten, um die Ängste der Zuschauer zu bedienen. Entweder entwickelten die Tiere vollkommen neue Verhaltensweisen, oder ihr natürliches Verhalten expandierte über die üblichen Dimensionen hinaus. Beide Ansätze bezogen sich direkt auf dem Publikum eigene emotionale und psychologische Mechanismen, auf konkrete Ängste vor dem Tier. Anders als die Rieseninsekten der 50er Jahre, die, analog zu den Invasionsszenarien der Science-Fiction-Filme, im Subtext mal diffusere, mal konkretere politische Ängste bedienten oder gar schürten, rückte in den 70ern die Furcht des Einzelnen in den Fokus: der Ekel vor Getier und die unmittelbare Angst davor, aufgefressen zu werden.

Teilweise trieb dieser Ansatz erstaunliche Blüten, da die Autoren im Abarbeiten des zoologischen Katalogs mitunter bizarre Entscheidungen bezüglich der Kreaturen trafen, die das Grauen erzeugen sollten. Schöne Beispiele sind George McCowans Frogs von 1972 und William F. Claxtons Rabbits aka Night of the Lepus, ebenfalls von 1972. Ungleich bedrohlicher wirkende Spezies treten in Daniel Manns Willard von 1971 (Ratten) und William Grefés Stanley von 1972 (Schlangen) auf, in Saul Bass’ Phase IV von 1973 (Ameisen), Jeannot Szwarcs Bug von 1975 (feuerlegende Käfer) und in Jeff Liebermans Squirm von 1976 (Würmer).

Als 1975 Jaws herauskam, änderte sich alles. Die Zahl der Tierhorror-Produktionen stieg exponentiell an, und jede erdenkliche Tierart wurde herangezogen, um den Menschen Saures zu geben, eine große Menge an Produktionen wies aber Salzwasser- und Süßwasserbezüge auf. Inhaltlich boten die Filme teilweise enorm unterschiedlich gelagerte Plots, gemeinsam ist ihnen hingegen das monströse Tier im Wasser. Der Blick auf einige Titel verschafft einen guten Überblick über die Entwicklung und den Umfang dieser Sparte des Subgenres seit 1975 (manchmal lohnt es sich auch, den deutschen Verleihtitel zu betrachten, der oftmals den ökonomischen Aspekt der jeweiligen Produktion schamlos auf den Punkt bringt, da er deren Plakativität noch rhetorisch unterstreicht):
  • Mako – Jaws of Death (Mako, die Bestie), USA 1976, Regie: William Grefé, auch Produzent, Autor und Regisseur von Stanley
  • Shark Kill, eine US-TV-Produktion von 1976, Regie: William Graham, der unter anderem einige Episoden der Batman-TV-Serie von Adam West und der Kultserie The Fugitive (Auf der Flucht) inszeniert hat
  • Orca (Orca, der Killerwal), USA 1977, Regie: Michael Anderson, Regisseur des Science-Fiction-Klassikers Logan’s Run (Flucht ins 23. Jahrhundert)
  • Tentacles (Polyp – Die Bestie mit den Todesarmen), USA/Italien 1977, Regie: Ovidio Assonitis, der 1974 auch das Exorzisten-Rip-off Beyond the Door inszeniert hatte
  • Barracuda, USA 1977, Regie: Harry Kerwin und Wayne Crawford
  • Jaws 2, USA 1978, Regie: Jeannot Szwarc, der 1975 mit Bug (Feuerkäfer) einen sehr ungewöhnlichen, originellen und klugen Genrebeitrag inszeniert hat
  • Piranha, USA 1978, Regie: Joe Dante, der das Thema fast parodistisch inszenierte
1978 war ebenfalls das Jahr, in dem mit John De Bellos Attack of the Killer Tomatoes! die erste wirkliche Parodie auf die Tierhorrorwelle herauskam, der nicht nur die historische Notwendigkeit der Wechselwirkung zwischen erfolgreichem Genre und Parodie belegte, sondern die Entwicklung des Tierhorrors zu einem eigenständigen Subgenre konsolidierte.

Bis heute wird Tierhorror produziert, der sich thematisch im Wasser bewegt: Stephen Sommers, der mit dem modernen Mummy-Franchise zu Hollywood-Ruhm gekommen ist, inszenierte 1998 den Krakenhorror Deep Rising (Octalus), Chris Kentis hatte 2003 mit Open Water einen Überraschungserfolg im Mockumentary-Stil, der Kultstatus erreichte und ein eigenes Sequel nach sich zog, Jack Sholder fertigte 2004 für das US-Fernsehen 12 Days of Terror an, der die wahre Geschichte einer Reihe von Haiangriffen vor der US-amerikanischen Ostküste im Jahr 1916 nachzeichnet, auf der auch Peter Benchleys Romanvorlage Jaws beruht, und der Australier Greg Mclean versuchte, einem nach Wolf Creek mit dem Krokodil-Streifen Rogue 2007 endgültig die Lust auf eine Reise ins Outback zu verderben. Die erwähnten Titel stellen nur eine kleine Auswahl dar, belegen aber die Beständigkeit der Gewässer-Sparte im Tierhorror. Kein Wunder, die Angst vor unbekannten Wassern ist schließlich so alt wie die Menschheit.

Doch wie Grizzly eindrucksvoll belegt, beschränkten und beschränken sich die Plagiatoren, Nacheiferer und Inspirierten im Fahrwasser von Spielberg nicht auf Feuchtgebiete, auch zu Lande und in der Luft lauert der tierische Schrecken seit 1975 allerorten, wie folgende exemplarische Erwähnungen verdeutlichen sollen.

Hundefilme:

  • Dogs (Killerhunde), USA 1976, ein TV-Film von Burt Brinckerhoff, der ansonsten hauptsächlich an TV-Serien gearbeitet hat, z.B. auch an einigen Folgen der Serie Alf
  • The Pack (Die Meute), USA 1977, unter der Regie von Robert Clouse, bekannt für seine Martial-Arts-lastigen Actionfilme, darunter diverse Bruce-Lee-Titel wie der Klassiker Enter the Dragon
  • White Dog (Die weiße Bestie aka Der weiße Hund von Beverly Hills), USA 1982, inszeniert von Sam Fuller, der bereits 1969 in Shark! den Schrecken instrumentalisiert hatte, den Haie verbreiten können
  • Cujo, USA 1983, Regie: Lewis Teague, der 1980 mit Alligator seinen Tierhorror-Einstand gefeiert hatte

Insektenfilme:

  • Empire of the Ants (In der Gewalt der Riesenameisen), Regie: Bert Gordon, der auch Food of the Gods (Insel der Ungeheuer) inszeniert hat, in dem viele verschiedene, übergroße Spezies auftauchen
  • Savage Bees (Mörderbienen greifen an), USA 1976, Regie: Bruce Geller, Autor vieler Episoden der TV-Serie Mission: Impossible
  • The Swarm (Der tödliche Schwarm), USA 1978, Regie: Irwin Allen, Regisseur der bekannten Tierdoku The Animal World von 1956, für die Ray Harryhausen eine Dinosaurier-Sequenz animiert hat

Spinnenfilme:

  • Kingdom of the Spiders (Mörderspinnen), USA 1977, Regie: John “Bud” Cardos, hier mal nicht für Film Ventures International (siehe Teil 2) tätig, sondern für Arachnid Productions Ltd.
  • Tarantulas: The Deadly Cargo (Tödliche Fracht aka Taranteln: Sie kommen, um zu töten), USA 1977, eine TV-Produktion unter der Regie von Stuart Hagmann, der ebenfalls einige Episoden der Serie Mission: Impossible inszeniert hat

Weichtierfilme:

  • Besondere Erwähnung soll an dieser Stelle Juan Piquer Simóns US-amerikanisch-spanische Koproduktion Slugs, muerte viscosa (Schnecken) von 1988 finden. Simóns Filme sind nur schwer einzuordnen: Sie sprechen im Grunde für sich, wie die Entscheidung, den im Tierhorror-Genre thematisch behandelten Arten die Schnecke hinzuzufügen, beweist
Die Liste ließe sich ziemlich lang fortsetzen, aber auch beim Betrachten dieser kleinen Auswahl lassen sich bereits drei Hauptmerkmale beobachten, die exemplarisch für die Produktionen von Tierhorror nach 1975 sind: 1. Viele der Regisseure (wie auch der Schauspieler) sind normalerweise für das Fernsehen tätig, und ein nicht unerheblicher Anteil der Filme sind TV-Produktionen. 2. Oft haben die Regisseure mehr als einen Genrebeitrag inszeniert. 3. An diesen Beispielen wird die erwähnte Politik der Titelneugestaltung der deutschen Verleihfirmen deutlich, die eine Art hyperschlichte Dramatisierungsstrategie verfolgten, ein Phänomen, das sich aber nicht auf Tierhorror-Produktionen der späten 70er Jahre beschränkt.

In den 80er Jahren nahm die Zahl der Produktionen ab, das Genre war im Bewusstsein des Publikums aber restlos etabliert: Tierhorror war vielleicht keine große Mode mehr, aus dem Angebot aber auch nicht mehr wegzudenken. In den 90er Jahren entstanden dann neben Filmen, deren Ansatz noch immer der alten Schule verpflichtet war, etwa der erwähnte Deep Rising oder Alligator 2: The Mutation, USA 1991, Regie: Jon Hess (Regisseur der Dean-Koontz-Verfilmung Watchers), auch Filme zum Thema, die nicht nur parodistisch waren, sondern geradezu nostalgische Züge trugen und ironische Referenzen an die Geschichte des Subgenres enthielten. Eine Generation von Filmemachern, die selbst mit den Klassikern aufgewachsen war, widmete sich dem Thema. Tierhorror hatte seine postmoderne Phase erreicht. Die bekanntesten Beispiele dieser Kategorie sind Arachnophobia, USA 1990, Regie: Frank Marshall, der viele von Steven Spielbergs Regiearbeiten produziert hat, Tremors (Im Land der Raketenwürmer), USA 1990, Regie: Ron Underwood, der 1998 das Remake von Mighty Joe Young inszenierte, Jurassic Park, USA 1993, Regie: Steven Spielberg, und Guillermo del Toros Hollywood-Einstand Mimic von 1997.

Der Bär im Genrefilm hingegen ist rar: Neben Grizzly und seinem Rip-off Claws ist noch John Frankenheimers Mutantenbären-Mär The Prophecy von 1979 zu erwähnen. Eine Art Arthouse-Gegenstück zu Grizzly ist Boris Buneyevs wunderschöner The Evil Spirit of Yambuy, eine sowjetische Produktion von 1977. Im selben Jahr inszenierte William Girdler mit Day of the Animals (Panik in der Sierra Nova) eine Art Sequel zu Grizzly. Hier liefen gleich alle Waldtiere Amok, darunter auch der aus Grizzly bekannte Braunbär „Teddy“. Erst 2007 folgten dann die nächsten Filme mit expliziter Bärenhorror-Thematik, dafür aber gleich zwei: die kanadische TV-Produktion Grizzly Rage unter der Regie von David DeCoteau, der gerade an einem Remake von Food of the Gods arbeitet, sowie die US-amerikanische Produktion Grizzly Park, inszeniert von Tom Skull.


In Teil 2: William Girdler und die Angst vor dem Tier

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