04 Januar 2009

Abt.: Malfatti, oder: Der etwas andere Exploitationfilm

The Wayward Cloud hat endlich Verstärkung bekommen. Der neue Mitstreiter i-ming wird an dieser Stelle in Zukunft Anmerkungen und Beobachtungen zum Formlosen, Nutzlosen und Schönen im Bereich des Horrorkinos und verwandter Disziplinen einstreuen und freut sich schon jetzt auf reges Feedback. Den Beginn macht heute seine Analyse eines Meilensteins des Splatterkinos, der 1984 das Grauen in die bundesrepublikanischen Wohnzimmer trug. Enjoy!

Willkommen i-ming!

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Im Jahre 1984 stahlte das Zweite Deutsche Fernsehen eine zumindest unter deutschen Genrefreunden und Exploitationfans bis heute sagenumwobene und legendäre Dokumentation von Claus Bienfait mit dem Titel Mama, Papa, Zombie aus. Ich persönlich war einige Jahre zu jung, um sie zu sehen, The Wayward Cloud selbst jedoch konnte sie, obwohl ebenfalls noch jung an Jahren, im authentischen historischen Kontext begutachten und bestätigt die verheerende Wirkung, die sie wohl nur im Klima eines auf den Höhepunkt der 1980er Jahre zusteuernden Deutschlands erzielen konnte.

Den Film zeichnet eine eigentümliche Mischung aus urdeutschem Beamtentum und seiner damit einhergehenden Paragrafengläubigkeit und einer post-hippieäsken schwarzen Betroffenheitspädagogik aus, als hätten sich ehemalige Summerhill-Ideologen zusammengefunden, deren Experimente allesamt missglückt sind und die nun auf altmodische restriktive Maßnahmen zurückgreifen wollen. Denn einerseits werden in diesem Film willkürlich Kategorien geschaffen, die so oberflächlich wie starr sind, dienlich nur der Apellfunktion seines Inhalts, aber ungeeignet für eine objektive Untersuchung des Gegenstands. Bienfait wollte offenbar keinen analytischen Beitrag leisten, sondern Stellung beziehen. Andererseits verwendet er genau dieselben Schockstrategien wie die vorgestellten Filme, um seine Wirkung zu erzielen und zu untermauern. Er setzt auf Abschreckung, verkauft diese jedoch als Aufklärung.

Einen Fehler aber hat dieser Film ganz sicher nicht gemacht: Er hat keinen Zweifel an seinem Fokus aufkommen lassen. Die Zielscheibe, der Gegner, das Böse geradezu, hätte nicht klarer und unerbittlicher konstruiert werden können: die Videobranche im Allgemeinen, die in die Nähe eines potenziell kriminellen und damit auch potenziell gewaltbereiten Rotlichtmilieus gerückt wird, und die sogenannten Gewaltvideos und Horrorfilme im Besonderen; dieser Feind wird ausgemacht und klar definiert. Es gilt, diesen Feind, dieses "Andere" zu bekämpfen, mit allen möglichen Mitteln. Dieser Feind bedroht die Gemeinschaft, indem er sie von innen auszuhöhlen sucht. Das gefährlichste an diesem Feind ist die schleichende Vertrautheit, die ihm wie eine benebelnde Aura anhaftet. Sind wir nicht wachsam, stiehlt er sich unbemerkt in unsere Wohnstuben und sitzt neben den Kindern auf dem Sofa, ehe wir begreifen, dass wir selbst es waren, die den Vampir eingeladen haben, über unsere Schwelle ins Innere, in unser Heim zu treten. In dieser Hinsicht erreicht dieser Film fast die Qualität romeroscher Zivilisationskritik:

"(...) hordes of mindless zombies (read shoppers) descending upon a shopping mall because it appeals to something in their collective memory is about as subtle as a machete to the face." (Adam Rockoff)
Bei Bienfait sind es die Videokonsumenten, die als subversive Elemente erscheinen, da sie es wagen, sich neben ARD, ZDF und dem Dritten eigenhändig ein viertes Programm zu gestalten. Fast hat man den Eindruck, Bienfait würde versuchen, den Konsum von Videos als Epidemie darzustellen, deren Fall Null längst eingetreten ist und deren großflächiger Ausbruch allzu kurz bevor steht. Millionen unkontrollierbarer Gewaltvideokonsumenten drohen.

Was bei Romero die Zerstörung des Gehirns, ist bei Bienfait die zusammenhanglose Zurschaustellung von Splatterszenen, überwiegend entnommen aus den Filmen Muttertag von Charles Kaufman und Ein Zombie hing am Glockenseil von Lucio Fulci. Diese Szenen sollen die destruktive Wirkung des Mediums Video exemplifizieren, sie stehen stellvertretend nicht nur für die Gesamtheit der jeweiligen Filme, denen außer ihrer Gewalttätigkeit alle anderen Qualitäten pauschal abgesprochen werden, sie stehen stellvertretend für die Gesamtheit des Mediums. Somit ist vielleicht auch Romeros kritischer Ansatz weniger subtil als durchschlagend, aber bei Bienfait wirken solch krude Winkelzüge ungleich bedenklicher, handelt es sich bei seinem Film doch um eine Dokumentation, die eindimensionale Darstellungen insbesondere von gewalttätigen Inhalten grundsätzlich ablehnt.

Rockoff äußert sich in obigem Zitat durchaus positiv über Dawn of the Dead, auch wenn man die Aussage hier aus dem Kontext gerissen genau so gut anders interpretieren könnte: Manchmal will man nicht subtil kritisieren, manchmal ist die Wirkung größer, wenn es frontal auf die Fresse gibt. So ist das bei Romero. So ist das auch bei Bienfait, denn mehr Dekontextualisierung und In-Your-Face-Populismus geht nicht.

Filmemacher und Autor Claus Bienfait (eine kleine Werkschau des Herren findet sich hier) hat mit seinem Film Mama, Papa, Zombie einen Meilenstein geschaffen. Sein Film markiert nichts Geringeres als eine Zäsur: Dieser Beitrag konsolidierte oder erschuf vielmehr das Feindbild Horrorfilm in Deutschland. Zudem hat er es geschafft, ein wertvolles Zeitdokument zu hinterlassen, dessen Wert, ich bin sicher, in den kommenden Jahrzehnten noch weiter ansteigen wird. Hier öffnet sich ein Zeitfenster in die BRD der 1980er Jahre, nicht weniger.

Ich spreche dabei allerdings weniger vom Dargestellten als vielmehr von der Art und Weise des Darstellens, von der Auswahl und Betrachtung des Gegenstandes, von der Art der Argumentation und des Arrangements der Filmelemente, von seiner bedingungslosen Manipulativität. Bienfait zeigt ausnahmslos Filmausschnitte, in denen blutige Spezialeffekte zu betrachten sind. Weder erwähnt er die Regisseure noch spricht er von den Maskenbildnern, und von den Hintergründen und den Umfeldern, denen die Filme entstammen, erzählt er auch nichts: Sie erscheinen wie ein daemon ex machina, materialisiert in einem Hinterzimmer mit dem Hinweis "Verboten" auf der Tür in irgendeiner schmierigen Videothek im Bahnhofsviertel.


Während des Höhepunktes des Films, einem Elternabend, an dem eine vor pädagogischem Sendungsbewusstsein triefende Lehrerin einem Zimmer unbedarfter Erziehungsberechtigter einen Fulci-Film vorführt ("Ich hoffe, Sie haben gut zu Abend gegessen!"), wird die reduzierte Darstellungs- und Wahrnehmungweise von Bienfait stellvertretend für das zu schützende deutsche Volk auf den Punkt gebracht: Der Film Paura nella città dei morti viventi würde sich ausschließlich von Ekelszene zu Ekelszene bewegen, eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten, die einem feuchte Hände, Herzrasen, Brechreiz, Schlaflosigkeit verursacht und einen bei wiederholten Konsum sicherlich zu einem schlechteren Menschen macht. Alles andere wird in dieser Bestandaufnahme erwachsener Laborratten ausgeblendet. Es gibt keinen filmhistorischen Kontext, keine Analyse des Gegenstandes in irgendeiner Form.

Nur eine kurze marktwirtschaftliche Analyse findet sich an anderer Stelle von Mama, Papa, Zombie:

"Das ist ja wohl auch ganz erfolgreich in den Kinos gelaufen, der Film."
"Ja, seit zwei Jahren."
Es geht um Muttertag, über den hier zwei Mitglieder der Prüfungskommission der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sprechen.

Die Stellungnahmen von Experten zum Thema sind ein weiterer Hauptbestandteil des Filmes. Unter den Spezialisten sind ein Schuldirektor, ein Kunstprofessor, der Geschäftsführer eines Videovertriebes, ein CDU-Abgeordneter, eine Videothekarin und ein Pädagogikprofessor, dessen Auftritt sich zu einem meiner persönlichen Highlights entwickelt, als er davon spricht, dass man die Wirkung von Gewaltvideos auf Kinder niemals erschöpfend wird erforschen können, da es sich aus moralischen und ethischen Gründen verbieten würde, diese Kinder zu isolieren und solchen Filmen in einer Form auszusetzen, die eine zuverlässige Erhebung der Untersuchungsergebnisse gewährleisten könnte. Eine Wahnsinnsidee für einen neuen Horrorfilm! Oder gibt es so einen schon?

Diese Experten werden dem Publikum als kompetent vorgeführt, allerdings zielen alle präsentierten Meinungen sorgfältig auf den von Bienfait angestrebten Tenor ab, und selbst die Experten, die einen Zusammenhang zwischen Gewalt im Film und realer Gewalt mehr oder weniger eindeutig dementieren, sprechen den präsentierten Filmbeispielen Qualität eher ab. Expertentum wird hier konstruiert als monologisierende männliche Instanz, die keines Diskurses bedarf, da Aspekte einer möglichen anderen Meinung bereits in der Präsentation enthalten sind. Diskussion scheinbar überflüssig.

Folglich lernen wir bei Bienfait auch niemanden kennen, der sich positiv zu den Filmen äußert und der die Gegenperspektive einnimmt. Einzig und allein die Kinder, die zu Muttertag befragt werden, scheinen einen lockeren Umgang mit der Thematik zu pflegen. Ich zähle diese Szene trotzdem zu den Schocksequenzen in Bienfaits Film, da die Kinder in meinen Augen wie Opfer dargestellt werden: Die Tatsache, dass sie den Film Muttertag nicht ganz ernst nehmen, wird als Abstumpfung interpretiert. Der Maesto himself verleitet die jungen Leute zu genau den Aussagen, die er braucht, um die Wirkung seines Films zu erhöhen. Die armen Kinder, so jung und schon so korrumpiert durch die Medien.

In gewisser Hinsicht erreicht Bienfaits Film eine Authentizität, die ihm in der Behandlung seines Themas völlig misslungen ist. Sein Anliegen präsentiert er so deutlich und unmittelbar, dass es fast beschämend ist. Aber nur fast. Zwar webt er einige Expertenmeinungen ein, um wissenschaftliche Objektivität zu simulieren, aber weder sind diese Experten tatsächlich und wirklich unbefangen, noch erlaubt er es sich, seine Objektivität mit Meinungen von Experten zu fundamentieren, die Paura nella città dei morti vivenci für einen guten Film halten. Schlussfolgerung: Kein Experte ist dieser Meinung, also ist es kein guter Film. Quod erat demonstrandum. Aber darum geht es auch nicht. Sein Film ist Warnung, ist Aufklärung. Ein Art Der siebte Sinn. Nur ohne Autos. Dafür mit Kannibalen. Bienfaits größte Leistung ist es jedoch gewesen, oben erwähnte Zäsur herbeizuführen.

Zu etwas Erfreulicherem: Wer immer schon mal wissen wollte, wie es in der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften wohl so zugeht, kann sich in Bienfaits Film ein Bild vom Alltag der MitarbeiterInnen machen, zumindest, wie er 1984 gewesen ist.

Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass alles nur gestellt ist.

Am Anfang begleiten wir diese MitarbeiterInnen ein Stück ihres Weges bei einer Sichtung von Charly Kaufmans Muttertag. Die Beamten liefern einen Audiokommentar, der allein den Diebstahl einer x-beliebigen DVD aus der Schmuddelecke der Videothek ihrer Alpträume rechtfertigen würde.

Wer sich Kaufmans Film einmal selbst ansehen möchte, der hat dazu am Sonntag, den 11. Februar, um 14.45 Uhr im 3001-Kino Gelegenheit, im Rahmen der Reihe Bizarre Cinema. Dort werden kontroverse Filme einem Publikum präsentiert, das ausreichend starke Nerven und Mägen mitbringt, um Zeuge zu werden, was die Jugend der 1980er Jahre dort hat enden lassen, wo sie jetzt ist. Bizarre Cinema macht sich voller Stolz zum fingerkreuzenden Mitverschwörer eines Bienfait, ohne dass dieser jemals eine Ahnung davon hätte, wie ihm oder seinem einzigartigen Kultfilm Mama, Papa, Zombie geschieht.

Ich liebe diesen Film. Als Dokumentarfilm macht er alles falsch, was man nur falsch machen kann. Als ideologisches Manifest ist er so demontierbar wie er in der Rückschau unterhaltsam ist. Als kritischer Beitrag in einer demokratischen Gesellschaft versagt er, da sein Postulat totalitär und eindimensional begründet ist. Als Unterhaltung ist er eine Granate. Jeder sollte diesen Film sehen. Für Freunde fortgeschrittener Gruselunterhaltung ist er Pflichtprogramm. Im Grunde ist er selbst Exploitation. Er verwendet genau die gleichen Mechanismen wie die von ihm angegriffenen Filme. Und es gibt sogar Splatterszenen. Ach ja, die sind aber aufgrund der Dokumentation der Problematik unerlässlich.

Aber hier kommt er jetzt endlich:

der große,

der einzigartige,

der legendäre:

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