06 März 2009
Superhelden vs. Monster
Am Ende von Quentin Tarantinos Kill Bill 2, kurz vor dem Showdown zwischen der rächenden Braut und Bill, hält dieser einen kleinen Vortrag über ein Thema, das The Wayward Cloud schon einmal beschäftigt hat: den Kleidungswechsel bei Superhelden. Den Unterarten der Hineintransformierer (Hulk), Selbernäher & Umzieher (Spider-Man) und der Gar-nicht-Wechsler (Hancock) fügt er eine vierte hinzu. Das Interessante an Superman, so Bill, sei nämlich, dass er kein Mensch ist, der sich zur Ausführung seiner Heldentaten kostümiert, sondern ein Superheld, der sich als Mensch tarnt. Die Klamotten, mit denen man ihn und seine Superfähigkeiten verbindet, das rote Cape und das eng anliegende blaue Kostüm, verbergen nicht seine wahre Identität, sondern konstituieren diese. Der biedere Business-Anzug des Clark Cent ist die Verkleidung, die er auszieht, wenn es wieder los geht.
Mit großem Interesse sah ich in Captain Berlin vs. Hitler, Thilo Gosejohanns Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Jörg Buttgereit, dass auch Captain Berlin, Deutschlands einziger Superheld, offenbar ein Artverwandter von Superman ist. Wenn er aufbricht, um das Böse in Form von Hitlers Gehirn und Graf Dracula zu bekämpfen, sehen wir, dass seine Verkleidung im Grunde eine Entkleidung ist. Unter seinen Alltagsklamotten scheint er immer sein Kostüm zu tragen. Wie eine zweite Haut.
In Captain Berlin vs. Hitler tauchen mit Dracula und einer an Frankensteins Schöpfung erinnernden Kreatur, die aus den Leichenteilen deutscher Landser zusammengesetzt ist, auch zwei Wesen auf, die eine prominente Rolle in Buttgereits Doku Monsterland spielen. Darin folgt der Regisseur der Spur dieser Geschöpfe nach Japan und in die USA, er spricht mit Regisseuren wie Shinya Tsukamoto, Joe Dante und John Carpenter, mit Special-Effect-Künstlern wie Gregory Nicotero und Rick Baker und Monster-Verkörperern wie dem japanischen Schauspieler Kenpachiro Satsuma. Dabei erhält man eine Vielzahl Erklärungen für Monster, politische, psychologische, metaphorische, philosophische, aber so richtig klar umrissen wird der Begriff des Monsters nicht. Vielleicht handelt es sich ja gerade um eine Gattung von Wesen, deren ontologischer und biologischer Status unklar ist und die sich eben nicht in ein mit eindeutigen Merkmalen und Oppositionen arbeitendem Kategoriensystem fassen lassen.
Vielleicht muss man auch ein bisschen auf sein Gefühl vertrauen. Der Autor Kim Newman beschreibt Dracula in Monsterland als sein Lieblingsmonster, weil er nicht nur wie King Kong die weiße Frau besitzen und wie Godzilla Tokio zerstören will, sondern weil er die Weltherrschaft anstrebt. Genau darin besteht für mich jedoch das Problem mit Dracula als Monster: Er ist zu souverän. Eines der zentralen Merkmale von Monstern für mich, und das kommt in Buttgereits Film auch sehr schön heraus, ist ja, dass sie Mitleid erwecken, weil sie zu einem gewissen Grad abhängig sind von ihren Schöpfern oder äußeren Bedingungen. Ihre Monstrosität entspringt keiner freien Wahl, sondern ist das Ergebnis einer Laune der Natur oder eines Mad Scientist, ihr Status ist prekär. Dracula kann ich mir gut vorstellen, wie er jahrhundertelang in seinem Schloss weilt, auf die Menschheit pfeift und den lieben Gott einen guten Mann sein lässt. Aber bei näherer Betrachtung hat die Sache für ihn natürlich doch einen großen Haken, denn sein Schöpfer Bram Stoker hat ihm die Verderbnis gleich mit in die Wiege gelegt, indem er ihn nicht nur zu einem Blut-Junkie, sondern auch anfällig für Kreuze, Sonnenlicht, Knoblauch und Weihwasser gemacht hat.
Die reinsten Monster sind vielleicht die Werwölfe und Dr. Jekylls Mr. Hyde, weil sie den Dualismus der Gattung fast schon allzu deutlich verkörpern. Es sind Menschen, die sich in etwas Anderes transformieren, das gerne als das Triebhafte, Animalische, das Es beschrieben wird. Das sind eigentlich die langweiligsten Monster, weil sie sich so wunderbar in psychoanalytische Erklärungsmuster einpassen und dadurch kategorisierbar werden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch Zombies, die bei Buttgereit seltsamerweise gar nicht vorkommen, und Serienmörder. Also menschliche Wesen, die ihre körperliche Form weitgehend behalten, dafür aber in die Gewalt eines ungezügelten Begehrens nach rohem Fleisch geraten. Ist Ed Gein also ein Monster? Vielleicht, aber dann befindet er sich am anderen des Spektrums von Dracula, denn er ist zu unsouverän, zu sehr Triebmaschine, zu sehr Mensch, auch körperlich.
Die Opposition, auf die jeder Versuch einer Begriffsbestimmung des Monsters hinauszulaufen scheint, fasst John Carpenter an einer Stelle von Monsterland schön zusammen. Er benutzt das Bild einer am Lagerfeuer sitzenden Gruppe, die über das Böse spricht. Einer weist mit dem Finger weg vom Feuer, hinaus ins Dunkle, und sagt: Das Böse, das ist das Andere und Fremde, das dort jenseits des Lichtscheins lauert. Ein anderer weist mit dem Finger auf sich selbst und sagt: Das Böse ist das, was hier drin lauert. Das Fremde und das Eigene, diese Oppositionen lassen sich auch wiederfinden in den Begriffen "souverän" und "unsouverän". Das da draußen, das ist eine dunkle selbstbestimmte Macht, ganz uninteressiert am Menschen. Das hier drinnen, das sind Hunger und Tod, alles, was dem Menschen kennzeichnet als ewig abhängiges Mangelwesen, das ewig um sich selbst kreist und sich dabei verzehrt.
Gern hätte ich Slavoj Zizek gestern bei seinem Besuch in Hamburg nach seiner Definition eines Monsters gefragt, aber ich habe es vergessen. Was man immer wieder lernen kann bei ihm (hier habe ich das schon mal versucht), demonstriert er in The Pervert’s Guide to Cinema sehr schön anhand der Szene in Matrix, in der Morpheus Neo zwei Pillen anbietet: eine rote für den ewigen Schlaf und das Verharren im virtuellen Traumland der Matrix, eine blaue für das traumatische Erwachen in die Schrecken der Realität (oder andersherum). Neo entscheidet sich fürs Erwachen, Zizek hingegen fordert eine dritte Pille. Diese bringt die Erkenntnis, dass unsere Realität gar nicht zu haben ist ohne Fiktionen und Fantasmen, die ihr Bedeutung und Struktur verleihen. Einen nackten Blick auf die Realität kann es nicht geben, dann würden wir verrückt werden angesicht des gleichgültigen Nichts, das uns umgibt.
Mit Slavoj Zizek möchte ich behaupten: Monster sind weder ganz dem einen noch dem anderen Bereich zuzuordnen, weder dem realen Anderen da draußen noch dem fantasmatischen Gebilden hier drinnen, sondern bilden ein eigenständiges Drittes, das zwischen diesen beiden Polen changiert. Sie haben nicht die radikale Souveränität eines vollkommen fremden Wesens, die genau darin bestehen würde, der Existenz des Menschen nicht die geringste Beachtung zu schenken. Monster aber sind immer auf den Menschen bezogen, in ihnen entfaltet sich ihr ganzer Schrecken. Sie sind aber auch keine rein psychologischen Manifestationen menschlicher unterdrückter Begierden und Ängste, sondern führen ein Eigenleben, das der Natur und ihren Kräften viel näher ist, als es der Mensch jemals wieder sein wird.
Zizek hat mich ein weiteres Mal darin bestärkt, dass die 3 eine magische Zahl ist. 3 Marx-Brothers, 3 Geschosse in Norman Bates’ Haus, 3 Ich-Instanzen, 3 Pillen, 3 Kategorien von Wesen: Menschen, Monster und alle die, die uns mit dem Arsch nicht angucken.
Nachtrag vom 26. März: Interview mit Jörg Buttgereit
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Jörg Buttgereit auf der Leinwand und im Fernsehen:
Freitag, 13. März, 21 Uhr, 3001-Kino: Captain Berlin vs. Hitler, Regie: Thilo Gosejohann, nach einem Theaterstück von Jörg Buttgereit. Die beiden werden als Gäste erwartet
Dienstag, 17. März & Mittwoch, 18. März, 23 Uhr, 3001-Kino: Der Todesking, Regie: Jörg Buttgereit
Sonntag, 29. März, 22.25 Uhr, Arte: Monsterland, Regie: Jörg Buttgereit
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