Über Lars Jessens Dorfpunks
"Ej, ich hab’ die Idee. Wir gründen ’ne Band. ’ne Punkband!" Schweigen am Lagerfeuer in der hügeligen Endmoränenlandschaft der Holsteinischen Schweiz mit ihren vielen Wiesen und wenigen Bäumen. Das will erst mal verdaut werden. Roddy legt nach: "Du kannst doch Gitarre spielen. Ich hab’ auch ein bisschen was drauf, und Sid, du kannst singen. Einer von euch spielt Schlagzeug, und der andere macht Roadie für alles." Noch ein Schluck gute Laune aus der Dose, und die Sache ist geritzt. "Geil! Roadie!"
Der seinen Kumpels da eine schönere Zukunft mit mehr Spaß, mehr Weibern und mehr Action ausmalt, heißt Malte Ahrens (Cecil von Renner), hat blondierte und gen Himmel gestylte Haare, trägt meist Springerstiefel, Nietengürtel, eng sitzende Klamotten und ein wunderschönes Lächeln, das nicht mal verschwindet, wenn ihm die ortsansässigen Fascho-Deppen die Schnauze polieren. Als Punk im schleswig-holsteinischen Kaff Schmalenstedt lebt es sich halt gefährlich, weshalb sich Malte den Namen Roddy Dangerblood zugelegt hat, das kommt auch bei den Damen besser. Nicht die erste und nicht die letzte einer Folge von Neuerfindungen, denn wenn Roddy eines hasst, dann sind es Stillstand und Langeweile.
Roddy wird sich noch viele Namen geben, und einer davon könnte auch Rocko Schamoni sein, aber das ist dann eine andere Geschichte. Das Schöne an der Verfilmung von Schamonis autobiografischem Roman Dorfpunks ist nämlich, dass Regisseur Lars Jessen und Drehbuchautor Norbert Eberlein zwar dicht an der Atmosphäre, den Orten und der Zeit der Vorlage geblieben sind, die Erzählung aber so geöffnet und gleichzeitig fokussiert haben, dass daraus eine ganz eigenständige Geschichte um die Freundschaft von ein paar Jungs im besten Alter geworden ist, die ebenso schön wie gefährlich sind, weil immer mal was passieren muss. Brennende Strandkörbe sehen halt geil aus.
Die episodische Struktur des Buches, die in der von Studio Braun inszenierten Bühnenversion des Schauspielhauses durch viele Musik- und Traumeinlagen noch verstärkt wurde, ist nicht ganz aufgegeben worden, doch es gibt in Jessens Film auch keine konventionelle Story, sondern ein schönes Dahindriften auf ein immer unbekanntes Ziel zu. Als roter Faden durch die Eskapaden von Roddy und seinen Kumpels Fliegevogel, Sid, Flo, Piekmeier und Günni steht dabei ihre Bandgründung und die vielen euphorischen und enttäuschenden Momente, die dieser Akt der Selbstbehauptung mit sich bringt.
Bloodacker. Warhead. Fuck off Tomorrow. Die Bandnamen, die der Conferencier auf ihrem ersten Gig beim Musikwettbewerb vor lauter breiten Soldaten runterrattert, zeigen es schon an: Musik ist wichtig, Haltung und Image noch viel mehr. Darüber gehen die Meinungen bald schon auseinander. Sid will politisch sein, Fliegevogel will Drogen und Mädchen, Flo will Bier und dabei sein, Roddy will… Ja, was bloß. Vor allem will er Spaß, auf der Bühne stehen, und dann sehen wir mal.
Toll an Dorfpunks ist auch, dass der Film ebenso wenig weiß, was Punk ist, wie die Jungs selbst. Die Klamotten sehen tatsächlich selbst zusammengestellt aus und nicht wie aus der Kleiderkammer eines Ausstatters, und die von Schamoni mit ausgewählten Songs reichen von Slime über Fehlfarben und Heaven 17 bis zu Captain Beefheart. Punk erscheint hier vor allem als schöne Kunst der Aneignung und des Ausprobierens. Für diese Haltung braucht es gar kein gehasstes Gegenüber, weshalb der Film angenehmerweise weitgehend auf autoritäre Nebenfiguren verzichtet, die ja meist eh nur dazu dienen, die jugendlichen Rebellen zu profilieren. Weiß man doch eh, was Eltern, Lehrer, Bullen so labern.
Stattdessen bleibt der Film dicht bei Roddy und den Jungs, lauscht ihren Gesprächen und begleitet sie in Kneipen und auf Partys, wo die Dinge immer schnell aus dem Ruder laufen. "Hat Vadder auf den Teppich gekackt?", heißt das Signal zum Aufbruch, und es ist eine von vielen schönen Gesten des Films, dass die Kamera den Scheißhaufen nicht ins Bild setzt, sondern lieber auf dem wie immer lächelnden und schönen Gesicht von Roddy bleibt. Ganz klar: Aus dem Jungen wird mal was.
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Der Dorfpunk in der großen Stadt – Rocko Schamoni im Gespräch über seinen Roman Sternstunden der Bedeutungslosigkeit
Radio-Tipp: Am Sonntag, den 26. April, spricht Klaus Walter auf Byte.fm in seiner Sendung Was ist Musik ab 20 Uhr mit dem Autor Frank Apunkt Schneider über dessen Buch Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW. Starring: Palais Schaumburg, Ernst Neger Revival Band, Deutsch Amerikanische Freundschaft, Andi Arroganti, Pension Stammheim, Felix Kubin, Gang of Four, Ede & Die Zimmermänner, Schorsch Kamerun, Zimt, Frauen für schlechte Tage
Dass aus dem Dorfpunk in der großen Stadt wirklich was geworden ist, das lässt sich am 30. April und 1. Mai im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg bestaunen: Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger tragen mit Untermalung des Militärorchesters "Blüten der Gewalt" die größten Hits von Studio Braun vor. Mit dabei hoffentlich auch die symphonische Vertonung von Palmingers Schlager "Deutsche Frau".
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