26 April 2009

Kino mit Akzent

Bei seinem gestrigen Besuch im B-Movie erzählte Lou Castel, dass er in den 46 Jahren, die er mittlerweile als Darsteller arbeitet (er selbst würde dafür den Begriff der "Schauspielkarriere" vehement ablehnen), nur ein einziges Mal akzentfrei vor der Kamera gesprochen habe. Das war in einem polnischen Film, in dem Castel ein paar schwedische Sätze sprach. Das ist das Schicksal vieler Schauspieler, die außerhalb ihres Mutterlandes arbeiten, aber bei Castel hat dieses Sprechen in fremder Zunge gar nichts Schicksalhaftes, sondern betont nur ein in allen seinen Gesten und Worten zum Ausdruck kommendes Fremdsein.

Castel erzählte von seiner Zeit als kommunistischer Aktivist in Italien, spielte auf einer kleinen Drehorgel die Internationale und empfahl allen Gästen die Lektüre von Marx' Kapital, dessen zweiten Band er gerade lese: "You will understand what is happening now." Wie in seinen Filmen sprach er vor der Leinwand des B-Movie im Akzent, einem schleppenden Englisch, dessen Lautstärke auf- und abwaberte, manchmal ganz verschwand, um sich dann wieder zu schönen Gedankengängen und Anekdoten zu verdichten. Etwa über seine erste Rolle in I pugni in tasca (1965) von Marco Bellocchio, der sich erst über Castels langsame Art zu sprechen und sich zu bewegen beklagte, dann aber die ungeplanten Schrei-Anfälle Castels begeistert im Film ließ. Oder darüber, dass Godard Mitte der 90er Jahre unbedingt mit ihm arbeiten wollte, nachdem er ihn in Garrels La naissance de l'amour gesehen hatte. Daraus wurde nichts, weil beim ersten Treffen Castel über das Drehbuch und seine Rolle reden wollte, Godard aber nur über die Farben Rot und Blau sprach und in welche Reihenfolge sie zu bringen sind (wenn ich Castel richtig verstanden habe).

Die Begegnung mit Godard brachte für Castel den Entschluss, endlich selbst Regisseur zu werden. Diesen Wunsch hatte er schon immer gehabt und hätte ihn vielleicht auch wahr gemacht, wenn Fellini ihn in den frühen 60er Jahren wie versprochen zum Regieassistenten gemacht hätte. Stattdessen begann er seinen langen Kampf mit der Kamera, den Machtspielchen der Regisseure, den Kompromissen der Produzenten und den vielen Sprachen, die nie seine eigenen waren. In den Filmen, die Castel in den in Italien dreht, brauchte er sowieso nie darauf zu achten, wie er sprach. Da man damals, vor allem im Italowestern, mit vielen Ausländern drehte, wurden alle Stimmen von professionellen italienischen Schauspielern nachsynchronisiert. Castel, Kinski, Eastwood konnten ihre Texte einfach herunterleiern, was vielleicht auch ein Grund dafür ist, dass ihre Körper, denen sie ihre ganze Aufmerksamkeit schenken konnten, solche eine ikonografische Kraft entwickelt haben.

Seine eigene Stimme, so erzählt er in dem Kurzfilm Quarzell dit Castel (Frankreich 2008) von Joanna Grudzinska, habe Castel erst spät entdeckt. Erst diese Stimme, die weder ganz der Kamera noch dem Darsteller gehört, habe es ihm erlaubt, dem Diktat der Kamera zu entgehen und der Intention der Einstellungen und des Regisseurs etwas entgegenzusetzen.

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