10 Mai 2009

The Boat that Fucked

aka Radio Cock Revolution (Richard Curtis, 2009)

Es beginnt mit einer Folge von Bildern, die im Laufe des Films immer wiederkehren. Ein männlicher Mund, der in ein Mikrofon spricht, ein Tonabnehmer, der sich auf drehendes Vinyl hinabsenkt, ein Knacken, eine Stille, in die hinein die ersten Takte eines Rocksongs hineinklingen, und dann folgen Szenen von den "Menschen da draußen", die zuhören. Kleine Jungs, die ihr Ohr an ihr Kissen pressen, unter dem sie ihr Radio verborgen haben. Heranwachsende, die Partys feiern. Arbeiter, die auf Spätschicht tanzen. Und vor allem: Mädchen. Allein, zu zweit, zu dritt, immer in einem Zustand ekstatischer Hingabe. Ihre verzückten Gesichter, die Lippen des DJs am Mikro, der über den Äther geschickte Sound eines sich öffnenden Reißverschlusses – der Film lässt keinen Zweifel daran, dass diese Art der Musikdistribution eine Form von Sex ist.

Klaus Walter, der auf Byte.fm die Sendung Was ist Musik moderiert, kann ich mir nur schlecht mit offener Hose im Studio vorstellen. Das liegt natürlich auch an den veränderten Produktionsbedingungen von Musiksendungen. Der DJ als Rockstar, der mit dem Auflegen einer Plattennadel einen authentischen Live-Moment des intimen Kontaktes zu seinem Publikum herstellt, ist angesichts digitaler Aufnahmeprozesse ein hoffnungslos überholtes Modell. Walter, so stelle ich mir das zumindest vor, nimmt seine Sendungen mit CD- und MP3-Einspielungen in Frankfurt auf, vielleicht sogar am Heim-PC, und sendet sie dann in den Byte-FM-Bunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, wo die Sendungen zu drei Sendezeiten (siehe unten) ins Netz gespeist werden. Für Beckenkreisen vorm Mikro ist bei diesem Aufnahmeverfahren kein ästhetischer Platz. Verschwitzter Rockismus ade.

Richard Curtis erzählt in Radio Cock Revolution davon, wie in den späten 60er Jahren eine Handvoll DJs dem kulturellen Establishment und dem Gesetz die Stirn bieten. Von einem vor der britischen Küste fahrenden Schiff spielen sie die Musik, die anscheinend alle lieben, die BBC aber nicht zu senden wagt: Jimi Hendrix, The Who, The Kinks, The Rolling Stones, The Hollies etc. Die Liste zeigt schon an, dass es bei der Auswahl mehr um die Zweitverwertbarkeit als Soundtrack ging als um irgendeine Spurensuche im Fundus der Rockmusik oder um die Frage, in welchem Verhältnis neue Formen der Musik zum Mainstream stehen und wie für sie eine Öffentlichkeit entsteht. Vielmehr wird die Musik in Radio Cock Revolution immer schon als mehrheitsfähig präsentiert, ständig werden Bilder tanzender Menschen aller Altersklassen und Schichten wiederholt, die das Neue schon längst akzeptiert haben. Nur zu Kenneth Branagh als Karikatur eines repressiven Staatsministers mit Hitler-Bärtchen ist das Vergnügen noch nicht durchgedrungen. Woran man erkennen kann: Das Publikum, das hier dargestellt wird, ist gar nicht das damalige, sondern das heutige, das diese Lieder angeblich längst akzeptiert und ins Herz geschlossen hat. Kein Wunder, ist es doch dieselbe, die heute auf Sendern mit Namen wie "Oldie Radio" den Äther vollkleistert und mit Revolution rein gar nichts mehr zu tun hat.

Wenn es bei The Boat that Fucked weder um Musik noch um Revolution geht, worum dann? Wie die Hauptfigur Carl, ein junger Neuling auf dem Schiff, in einer Reihe ausgedehnter Initiationsszenen erfahren muss, geht es an Bord weder um Verantwortung und Pflicht noch um Musik und Freiheit, sondern ausschließlich darum, möglichst schnell möglichst viele Weiber ins Bett zu bekommen. Die werden regelmäßig in Bootsladungen zum Schiff gefahren, sozusagen als repräsentativer Querschnitt all der geilen Mädchen da draußen vor den Radios. Von diesen Verteilungskämpfen, die um diese Girls entbrennen, handelt der ganze Film, jeder Gag dreht sich um sexuelles Gelingen oder Versagen, jeder Song ist ein Gleitmittel. Das Radio-Schiff als Wunscherfüllungsmaschine für einen Haufen daueradoleszenter Sixties-Karikaturen.

Klaus Walters Antwort auf die im Titel seiner Sendung regelmäßig gestellte Frage lautet: Alles. Die Antwort von Radio Cock Revolution lautet: Musik ist die Befreiung von der lästigen Pflicht des Mannes, vor dem Sex noch ein bisschen Konversation zu machen.

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Auf Byte.fm hat gerade (Sonntag, 10. Mai, 20 Uhr) Klaus Walters Sendung Was ist Musik begonnen, heute mit folgendem Thema: "Wo geht die Zeit hin?" Bilanzen, Rückblicke, Erinnerungen – die allfällige Kanonisierung, Musealisierung und Historisierung von Pop. Symptome: Aktuell im Kino: Dorfpunks, nach Schamonis Roman, The Boat that Rocked, der Piratenradio-Film, Cadillac Records, der Film über Chess Records mit Beyonce als Etta James und Mos Def als Chuck Berry (dazu zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht mehr hier auf The Wayward Cloud). Etc. Wiederholungen: dienstags 13-16 Uhr und mittwochs 8-11 Uhr

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