17 Mai 2009

Blick zurück Nr. 5

Blick zurück Nr. 4: Xiao Wu von Jia Zhang-ke
Blick zurück Nr. 3: Secret Sunshine von Lee Chang-dong
Blick zurück Nr. 2: Wollis Paradies von Gerd Kroske
Blick zurück Nr. 1: Sans Soleil von Chris Marker

Philip Kaufmans Die Körperfresser kommen (OT: Invasion of the Body Sntachers, USA 1978) hat mir wieder vor Augen geführt, wie löcherig mein Gedächtnis ist. Vergessen hatte ich Donald Sutherlands zersprungene Windschutzscheibe, durch die die Straßen von San Francisco so schön aus dem Lot geraten. Vergessen hatte ich Leonard Nimoy als Psychiater des Grauens, der der wahren Bestimmung seines Berufsstandes gemäß den an zunehmender Entfremdung leidenden Menschen die Aufgabe ihres individuellen "Wahns" und die unvermeidliche Hingabe an die Masse der Anderen predigt. Vergessen hatte ich die zarte Liebesgeschichte zwischen Brooke Adams und Donald Sutherland. Die guten Special Effects. Die Schnelligkeit, mit der die Blüten-Monster sich verwandeln. Erinnern konnte ich mich nur an das Ende, in dem Veronica Cartwright, die entdeckt hatte, dass man dem Erkannt-Werden entgehen kann, "wenn man seine Empfindungen vor IHNEN verbirgt", auf Donald Sutherland trifft und ihre Empfindungen leider nicht verbirgt.


Dieses Schlussbild verliert für mich nie sein Grauen, ebensowenig wie das Ende von Nicolas Roegs Don't Look Now, in der ein Horrorzwerg im roten Regenmantel Donald Sutherland den Hals aufschlitzt. Die beiden Sequenzen eint neben dem wunderbaren Sutherland vor allem der merkwürdige Umstand, das es sich jeweils um innig herbeigesehnte Begegnungen handelt. In Don't Look Now jagt Sutherland dem Gnom im roten Regenmantel in der Überzeugung hinterher, dass es sich um seine verstorbene Tochter handelt, in Die Körperfresser kommen spricht Veronica Cartwright Sutherland in dem Glauben an, er sei einer der letzten Menschen, der nur simuliert, keiner mehr zu sein. Das geliebte Gegenüber, auf dem alle Hoffnungen ruhten, entpuppt sich jedoch als jeweils etwas radikal Fremdes, das Verderben und Tod bringt.

In beiden Szenen manifestiert sich dieses monströse Anders-Sein außerdem mit einer kleinen Verzögerung. Wenn der Zwerg sich schließlich umdreht und auf Sutherland zugeht, bliebe noch Zeit zu handeln, und die merkwürdige Bewegung, mit der das Wesen seinen Kopf in der Kapuze hin und her dreht, könnte man auch als Hinweis darauf deuten, dass es alles nicht so weit hätte kommen müssen. Es dauert auch einen Moment, bis Sutherlands Gesichtsausdruck am Ende von Die Körperfresser kommen sich zu der grauenhaften Grimasse eines Erkennens verzieht, das so ganz anders ist als das augenscheinlich von Cartwright ersehnte. Dieses Zögern, dieser Moment einer ausgebliebenen Reaktion, lässt (mit Slavoj Zizek) vielleicht aber auch die Vermutung zu, dass diese Begegnungen gar nicht deshalb so grauenvoll sind, weil sich in ihnen die größten Ängste der Figuren manifestieren, sondern im Gegenteil deren tiefste Sehnsüchte. Man könnte auch sagen: Das zutiefst Ersehnte ist hier zugleich der größte Alptraum, die größte Angst der sehnlichste Wunsch.


Im Fall des Vaters aus Don't Look Now, dessen Tochter im Garten des Familien-Landsitzes ertrinkt, ist diese Deutung psychologisch gut nachvollziehbar. Die Sehnsucht nach einer Wiederbegegnung mit der Tochter entspringt der empfundenen Schuld des Vaters, der den Tod hätte verhindern können und nur durch den eigenen sühnen kann. Unheimlicher ist der Fall bei Die Körperfresser kommen, denn falls Veronica Cartwright den geheimen Wunsch hegt, dass Donald Sutherland doch schon ein Alien geworden ist, rückt das eine befremdliche Frage in den Vordergrund, die den ganzen Film hindurch unter der Oberfläche der Bilder lauerte: Warum eigentlich nicht endlich einer von ihnen werden, damit das Alleinsein, die Angst, die Fremdheit vorbei sind? Wie unterscheidet sich das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit und Geborgenheit, wenn man erst mal die Seite gewechselt hat? Ist das nicht einer der Grundsehnsüchte des Menschen, sein ewiges Gefühl der Unzulänglichkeit und Unzugehörigkeit zu verlieren und endlich dazuzugehören?

Diese Fragen lassen sich angesichts von Sutherlands aufgerissenen Augen und dem kreisförmigem Mund, aus dem ein hoher Schrei dringt, vielleicht allzu leicht abtun. So etwas will man dann doch nicht werden. Beunruhigender wäre es gewesen, das Bild einzufrieren, bevor Cartwright und der Zuschauer Klarheit darüber haben, wen sie vor sich haben. Donald Sutherland blickt uns an. Eine schöne Einladung, darüber nachzudenken, was uns eigentlich mehr zu Menschen macht: die Angst, dass wir den anderen zu unähnlich werden könnten, oder der Wunsch, uns radikal von den anderen zu unterscheiden. In jedem Fall ist es immer hilfreich, wenn man seine Empfindungen vor den anderen verbergen kann.

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