22 August 2009

Das Fantasy Filmfest gestern und heute

Programm des 1. Fantasy Filmfestes
im Hamburger Alabama-Kino, 1987.
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Vergleicht man das diesjährige Programm mit dem des ersten Fantasy Filmfestes von 1987, fällt eines gleich auf: Damals liefen fast ausschließlich alte, heute nur neue Werke. Schade, dass ich das, was ich heute sehr vermisse, damals nicht zu schätzen wusste. Jedenfalls habe ich vor 22 Jahren Klassiker wie The Seventh Victim, Jason and the Argonauts und The Haunting links liegen lassen und habe mir nur Texas Chainsaw Massacre II in der Gore Night angesehen. Die ist mir auch deshalb in guter Erinnerung, weil die Band P.S.Y.O.B. mit großer Verspätung begann und der Film erst am frühen Morgen zu Ende ging. Ich kann mich erinnern, dass wir bei der Rückfahrt im Auto im Morgengrauen tatsächlich Angst vor entgegenkommenden Wagen hatten, wegen der ersten Szene aus TCM II. Den Film schätze ich auch deshalb, weil seine Mischung aus Redneck-Humor und krudem Splatter beim Wiedersehen letztes Jahr im Rahmen von Bizarre Cinema auf fast alle Zuschauer immer noch widerlich und anstößig wirkte. Neben Dennis Hopper als bekloppter Good Guy Lefty glänzt vor allem Bill Moseley als autokannibalistischer Vietnamveteran Chop Top, der seinen toten Zwillingsbruder mit sich rumschleppt und sich den ganzen Film hindurch selbst auffrisst, indem er einen Metallkleiderbügel mit einem Feuerzeug erhitzt, mit dem glühenden Ende unter seiner Sonny-Bono-Perücke herumstochert und die gerösteten Hautpartikel verspeist. Ganz groß auch Leatherface, der sich als Loverboy mit schnalzender Zunge und erigierter Kettensäge in die Radiomoderatorin verliebt. Die Szene, in der er ihr das gerade frisch heruntergeschnittene, bluttriefende Antlitz ihres Kollegen auf das Gesicht legt und mit ihr tanzt, ist für mich eine der aufregendsten in der Geschichte des Horrorfilms. Kurze Zeit später kommt der Kollege noch einmal zu sich und erblickt – sich selbst.

Programm des 2. Fantasy Filmfestes
im Alabama und Metropolis, 1988.
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Würde das Programm des zweiten Fantasy Filmfestes von 1988 heute noch mal aufgelegt, würde ich mir eine Dauerkarte besorgen. Der tatsächliche Timetable dieses Jahres macht mich wie immer etwas ratlos. Das liegt vor allem an dem Mangel jeder Idee, jedes Konzeptes zu der Frage, was denn das überhaupt war und ist, ein fantastischer Film. Seit der großartigen Chang-Cheh-Retro vor ein paar Jahren wird auf jede Entdeckungsreise in die reiche Vergangenheit des Genrekinos verzichtet, und diese Geschichtslosigkeit macht sich auch in der Auswahl der neuen Filme bemerkbar. Es gibt keine erkennbaren thematischen Gruppierungen von Werken, die Trends und Fragestellungen sichtbar machen, stattdessen ist der Grabbeltisch der neuen Horror-Waren in nichtssagende Sektionen wie "Midnight Madness" und "Fresh Blood" unterteilt. Besonders auffällig ist die Lieblosigkeit der Auswahl an den Filmen, die in Opening und Closing Night und als Centerpiece laufen. Der diesjährige Eröffnungsfilm Carriers kann stellvertrend für den Schrott stehen, der auf diesen exponierten Programmplätzen gezeigt wird. Ganz bewusst werden hier nicht Filme bekannter Regisseure gezeigt, die sowieso ihre Besucher finden, schon gar nicht innovative Werke, die die Zuschauer herausfordern könnten, sondern unambitionierte Dutzendware, das, was die Veranstalter für den kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikumsgeschmacks halten.

Dario Argento auf dem Fantasy Filmfest 1997

Gegen die Undifferenziertheit des Programms hilft mir eine Reihe von Regeln:

1.) Bekannte Namen: Viele Enttäuschungen haben mich gelehrt, neue Filme von John Woo und Park Chan-wook zu meiden, stattdessen freue ich mich auf Mamoru Oshiis The Sky Crawlers, Derek Yees Shinjuku Incident, Dario Argentos Giallo (mit Adrien Brody) und Bertrand Taverniers In the Electric Mist, vor allem wegen Tommy Lee Jones und John Goodman. Schon gesehen habe ich Nicolas Windig Refns Bronson, in dem er wie in seiner großartigen Pusher-Trilogie ein restlos asoziales Unsexy Beast in all seiner Lächerlichkeit und Glorie zeigt. Der Film präsentiert Michael Gordon Peterson, der als "Charles Bronson" zum berühmtesten Gefängnisinsassen Englands wurde, als genialischen Performer eines radikal negativen Seins und Denkens, das sich gern vor Publikum präsentiert, aber niemals selbst erklärt. Wie seine Hauptfigur schwingt sich der Film in seinen besten Momenten zu einer schönen Beschwörung nackter physischer Gewalt auf, um in seinen schlechtesten Szenen in abgeschmackte Hooligan-Romantik abzustürzen. A Clockwork Orange wird vielleicht ein bisschen allzu offensichtlich zitiert. Toll aber, wie bei einer Party im Irrenhaus die Verrückten auf It’s a Sin von den Pet Shop Boys abgehen. Auf den Mr. Hyde (Keanu Reeves) von Nicolas Windig Refn bin ich nun aber doch gespannter als auf den von Abel Ferrara (Curtis "50 Cent" Jackson) und Guillermo del Toro.

Programm des 3. Fantasy Filmfestes
im Alabama und Metropolis, 1989.
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2. Hype: Mit Vorsicht zu genießen, denn die Blogosphäre schafft es, noch die größten Gurken in riesige Wolken verschwitzter Erwartung zu hüllen. Das Diskursniveau von FFF-Gängern ist seit der Einführung des IMDB-Punktesystems auch erstaunlich in den Keller gegangen. Auf Fragen, wie denn der Film war, bekommt man jetzt oft zu hören: "Ich habe ihm eine 8 gegeben." Wenn man mal nachschaut, was für eine Durchschnittswertung ein beliebiger Film bei IMDB hat, stellt man dann fest: so um die 7,2. Kann man sich also alles ansehen.

3. Länder: Ich bin der sicherlich anfechtbaren Meinung, dass das Genre-Gen nicht gleichmäßig über die Menschheit verteilt wurde. Ich möchte hier kein Länder-Bashing betreiben, aber es gibt einfach Nationen, die nicht in der Lage sind, auch nur einen einzigen vernünftigen Horrorfilm zu produzieren. Natürlich ist das eine Frage der Ökonomie, der historisch gewachsenen Nischen und Verteilung der Ressourcen von kreativem Kapital. Nur so viel: Deutschland geht gar nicht. Japan ist schwierig. Hongkong schlägt immer noch Südkorea. Frankreich wird immer interessanter. Spanien braucht kein Mensch, Guillermo del Toro ausdrücklich mit eingeschlossen.

4. Bilder und Texte aus dem Katalog: Die Bilder verraten in jedem Fall mehr als die Texte, die jede auch noch so mangelhafte Ware an den Mann bringen wollen. Vor allem miese digitale Bluescreen-Ästhetik und TV-Ausleuchtung so mancher Filme lassen sich anhand von Szenenfotos gut erkennen. Auch gut auszusortieren sind Werke mit dem heute gängigen US-Teenie-Personal.

So, und nun muss ich los, gleich beginnt The Sky Crawlers.

5 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

bzgl. der retrospektive (die ich auch schmerzlich vermisse): liefen denn nicht letztes jahr einige britische horrorklassiker (in, was ich so gehört habe, vor vergleichsweise wenig publikum)?

Thomas hat gesagt…

äääh, die in/vor-schwurbelei bitte ich zu entschuldigen, bin gerade auf dem sprung und entsprechend hektisch am tippen ;-)

The Wayward Cloud hat gesagt…

Stimmt, da war was, ein Doppelprogramm, bei dem man nicht die geringste Idee hatte, warum ausgerechnet diese zwei Filme gezeigt wurden. Eine Retro geht anders.

Preach hat gesagt…

"Spanien braucht kein Mensch, Guillermo del Toro ausdrücklich mit eingeschlossen."

Der aber auch kein Spanier, sondern Mexikaner ist ;)

Anonym hat gesagt…

Wie geil, ich bin schon seit Jahren auf der Suche nach den Programmheften der ersten Jahre! Kannst du noch etwas über die Markierungen in den Timetables sagen? Ich bin auch an den weiteren Seiten der Programmhefte für das Fantasy FilmFest Archiv interessiert. todi@f3a.net