28 Januar 2010

Der Mann, der riecht

Über seinen ersten Theaterauftritt sagte Al Pacino in einem seiner seltenen Interviews: "Plötzlich konnte ich jedermann sein, war zeitlos und universell. Ich liebe es, alle diese Dinge zu sagen und zu fühlen, Dinge geschehen zu lassen." Das ist ihm, einem der berühmtesten Schüler von Lee Strasbergs Actor’s Studio, oft gelungen. Wenn Pacino die Szene betritt, geschieht etwas. Einen schlechten Pacino-Film gibt es nicht, weil es darin immer mindestens einen Pacino-Moment gibt. Wenn man seinem Gesicht und seinem Körper dabei zusehen kann, wie die nächste Emotion, der nächste Ausbruch, der nächste Gedanke darin Gestalt annimmt. Wenn er plötzlich ganz still wird oder ganz laut, erstarrt oder in Bewegung gerät.
To prove his effectiveness as death, Pacino also gives us the most vital signs of life. His body is a motion machine: it dances, sways, dives, surges with delicate denouement and dynamic drive. In Carlito’s Way, he defines the art of sitting at a marble club table; waiting in well-upholstered V-8 cars; walking across busy downtown traffic. He merges and blends effortlessly in the land of the living. De Niro is a face – a granite block so compacted that when it is in close-up you can hear the atoms humming. Pacino is a complete body that can be performed on and fragmented in so many ways. There are few actors who you can smell on the screen. Pacino is one of them. (Philip Brophy: "The Scent of Pacino", Senses of Cinema 2000)
Pacino schwitzt

In seinen frühen Filmen vom Anfang der 70er Jahre riecht Pacino ein bisschen ungewaschen, nach Schweiß und Angst und vor allem nach New York, nach Autoabgasen, Hitze, Smog. Er spielt kleine Straßenratten und Verlierertypen, voller Energie, aber ohne konkretes Ziel und ohne festen Ort. In Jerry Schatzbergs Panic in Needle Park (1971) driftet er als zugedröhnter Junkie mit seiner Freundin durch New York. Schon hier hat er seinen Macho-Gang drauf, leicht gebückt, den Kopf geneigt, eine Schulter vorschiebend, um in der Masse zu verschwinden und zugleich ein nicht vorhandenes Ziel zu simulieren. 1973 verführte er als zarter Tramp in Schatzbergs Scarecrow (Asphalt-Blüten) den wesentlich solideren Gene Hackman zu einer schönen Straßenfreundschaft. Aber wie viele Beziehungen von Pacino-Figuren ist auch diese nicht von langer Dauer, am Ende ist er einsam, so wie der Bankräuber Sonny in Sidney Lumets Dog Day Afternoon (Hundstage, 1974). Mit dem erbeuteten Geld will er die Geschlechtsumwandlung seines Geliebten Leon bezahlen, doch alles geht schief, die Bank wird umstellt und für kurze Zeit zur Bühne für eine der größten Schauspiel-Performances der 70er Jahre, eine faszinierende Studie der Kontraste: zwischen dem hyperkinetischen Sonny und seinem brotdummen, starren Kompagnon Sal (John Cazale), zwischen dem Lärm der Menge draußen und der angespannten Stille drinnen, zwischen dem öffentlichen Spektakel und der wunderbaren Intimität, die sich beim Telefongespräch zwischen Sonny und Leon einstellt.

Im selben Jahr war es ein anderer Film, eine ganz anders geartete Figur, die Al Pacino endgültig als Superstar etablierte. Nachdem er in Francis Ford Coppolas Godfather (1971) Marlon Brando als Clan-Oberhaupt abgelöst hatte, perfektionierte er in Godfather 2 die Figur des Michael Corleone, eines an der Oberfläche gefährlich stillen und kontrollierten Mannes mit einer verborgenen Lust am Töten, an der Macht und an plötzlichen Gewaltausbrüchen. Was Michael Corleone trotz seines beherrschten Auftretens mit den qicklebendigen Verlierertypen anderer Pacino-Filme eint, ist der schmale Grat zwischen Exzess und Stasis, auf dem sie alle wandeln. Nie gehen sie voll auf in der Situation, in der sie sich befinden, immer ist es ihnen schon zu viel oder sie wollen noch mehr, so wie der unersättliche Tony Montana in Brian De Palmas Scarface (1983), die ultimative Verkörperung der Drogen, Waren und Körper konsumierenden 80er-Jahre.

Pacino tanzt

Einer der schönsten Momente in Pacinos Filmografie, einer der schönsten Übergänge aus der Starre in die plötzliche Bewegung findet sich in William Friedkins unterschätztem Cruising (1980). Als Undercover-Cop, der in New Yorker Lederschwulen-Clubs nach einem Serienmörder sucht, ist er lange Zeit nur Zuschauer der Verkleidungs- und Sex-Rituale dieser ihn zunehmend faszinierenden Szene. Die Verwandlung geht langsam vonstatten, ein buntes Tuch in der Gesäßtasche, ein Lederarmband, eine bestimmte Weise, andere anzusehen oder ihnen auszuweichen. Er ziert sich lange, aber schließlich lässt er sich doch verführen, auf die Tanzfläche eines Clubs, wo er plötzlich zu zucken beginnt, seine Lippen werden feucht vor Erregung, sein Körper gerät in orgiastische Bewegung inmitten all der Lederleiber. Wieder so ein Pacino-Moment. Etwas geschieht.

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Das Metropolis-Kino zeigt im Februar Panic in Needle Park (6./7./8.2.), Scarecrow (8./9./10.2.), Dog Day Afternoon (15./20./24.2.), The Godfather 1-3 (22.-24./26.-28.2.), Cruising (1./2./3.2.), Scarface (17./21.2.) und leider nicht Carlito’s Way

1 Kommentar:

PARALLEL FILM hat gesagt…

Pacino ist auch in SEA OF LOVE sehr erstaunlich, witzig und gefährlich --- überhaupt einer der besten Mainstream-Filme der Zeit (1989), finde ich. Man wundert sich, warum er - wie De Niro - in jüngster Zeit so fade Filme dreht...