Die großen Brian De Palma Festspiele sind mitten in ihrer heißesten Phase. In den nächsten Wochen gibt es einige seiner schönsten Filme zu bewundern, oft mit einer Einführung. Bizarre Cinema freut sich sehr, dass es im März zusätzlich zu den im Metropolis-Programm angekündigten Einführungen noch zwei weitere De-Palma-Präsentationen geben wird:
Donnerstag, 13.3., 21.15 Uhr: Scarface, mit einer Einführung von Peter Clasen
Sonntag, 30.3., 21.15 Uhr: Die Unbestechlichen, mit einer Einführung von Marcus Müntefering
Anfang April erhalten wir internationale Unterstützung bei der Erkundung des Planeten De Palma: Der australische Filmwissenschaftler Adrian Martin und die spanische Filmkritikerin Cristina Álvarez López präsentieren als Weltpremiere den audiovisuellen Essay Count It Out: Motifs and Structures in the Cinema of Brian De Palma (Update vom 8.6.2014: Der Essay ist unter dem Titel [De Palma’s] Vision bei Mubi.com veröffentlicht worden), der sich mit zentralen Motiven und Strukturen im Werk von Brian De Palma beschäftigt. Der Titel Count It Out hat eine doppelte Bedeutung: Zum einen verweist er auf die Praxis De Palmas, im Schneideraum gemeinsam mit seinen Schnittmeistern die Montage einer Szene durch das rhythmische Klopfen seiner Finger vorzugeben. Zum anderen bedeutet er: Listen-Machen, Inventorisieren. Adrian Martin ist zurzeit Gastprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität, Autor von sechs Büchern (unter anderem The Mad Max Movies und Once Upon a Time in America) sowie Tausender von Artikeln und Rezensionen. Cristina Álvarez López ist Filmkritikerin, Künstlerin, Mitherausgeberin des spanischen Online-Magazins Transit und wird ab nächstes Semester ebenfalls an der Goethe-Universität unterrichten. Martin und Lopez arbeiten gemeinsam an einem Buch zu De Palma und haben eine Reihe von audiovisuellen Essays zu verschiedenen Filmthemen und Regisseuren produziert (unter anderem zu Jean-Pierre Melville, Leos Carax und Philippe Garrel).
4.4., 21 Uhr, freier Eintritt (in englischer Sprache)
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Brian De Palma im April im Metropolis-Kino:
Casualties of War
USA 1989, Brian De Palma, 113 Min, 35mm, OF, mit Michael J. Fox, Sean Penn
De Palmas auf wahren Ereignissen beruhender Vietnamfilm steht bis heute im Schatten von Apocalypse Now, Platoon und Full Metal Jacket, dabei entwickelt er eine ganz eigene radikale Sichtweise. Die Geschichte einer GI-Patrouille, die ein vietnamesisches Mädchen verschleppt, um sie wiederholt zu vergewaltigen und schließlich umzubringen, zeigt wie schon das Ende von De Palmas zweiter Spielfilm Greetings den Krieg als sanktioniertes Ausleben einer pathologischen Männlichkeit, die von Gewaltfantasien, Rassismus und Anpassung geprägt ist. Der Obergefreite Eriksson (Michael J. Fox in seiner besten Rolle), eine der wenigen positiven Männerfiguren im Werk De Palmas, verweigert sich als Einziger dem Gruppenzwang und bringt seine Kameraden schließlich vor Gericht. Selten war der Dschungel so dicht und der Feind so unsichtbar. Neben Fox und Sean Penn sorgen auch die Nebendarsteller, darunter John C. Reilly und John Leguizamo in ihren ersten Rollen, für sehr präzise Porträts.
1.4., 21.15 Uhr // 2.4., 21.15 Uhr
Passion
USA 2012, Brian De Palma, 102 Min., DCP, OmU, mit Rachel McAdams,
Noomi Rapace, Karoline Herfurth
„Grelle Vision zweier Business-Frauen, die sich in einer neoliberalen, neokorporativen World gegenseitig zerfleischen.“ – „Manchmal liest man unsinnige Sätzen wie: ,De Palma ist kein Schauspieler-Regisseur.‘ Der wunderbare Kuss-Wettbewerb zwischen Rachel McAdams und Karoline Herfurth, bei dem die Schauspielerinnen zweifellos das Skript improvisierend verbessert haben, beweist das Gegenteil.“ – „Spätestens seit The Fury versuchen Kommentatoren, De Palma als manischen Manieristen zu entlarven: sich selbst zitierend, variierend, anthologisierend – und dabei Material verwendend, das immer schon selbst auf den Vorlagen vorheriger Meister und Meisterwerke beruht. Aus diesem Blickwinkel erscheint De Palmas Kino heute als Resultat einer zunehmend barocken Spirale des Zitierens und Überarbeitens: für einige eine faszinierend post-postmoderne Angelegenheit, für andere unergiebige Selbsterschöpfung. Wie alle großen Werke De Palmas erinnert uns Passion an die entgegengesetzte Wahrheit: Der berauschende Thrill und der Kick des reinen Kinos, die uns sein Werk vermitteln, erwischen uns immer wie beim ersten Mal.“ (alle Zitate: Adrian Martin und Cristina Álvarez López)
4.4., 19 Uhr, Einführung: Adrian Martin und Cristina Álvarez López //
14.4., 19 Uhr
Count It Out: Motifs and Structures in the Cinema of Brian De Palma
Der australische Filmwissenschaftler Adrian Martin und die spanische Filmkritikerin Cristina Álvarez López präsentieren als Weltpremiere einen audiovisuellen Essay, der sich mit zentralen Motiven und Strukturen im Werk von Brian De Palma beschäftigt (siehe oben).
4.4., 21 Uhr, freier Eintritt (in englischer Sprache)
Raising Cain
USA 1992, Brian De Palma, 91 Min., 35mm, OF, mit John Lithgow,
Lolita Davidovich
Nach drei Big-Budget-Ausflügen kehrte De Palma mit diesem Psychothriller in intimere Hitchcock-Gefilde zurück. Sein Lieblingsschauspieler John Lithgow spielt sich als Psychologe Carter Nix in einer unvergesslichen Tour de Force durch eine Vielzahl von Aggregatzuständen männlicher Regression und Aggression. Der Verdacht seiner Frau, dass er Tochter Amy ein bisschen zu viel klinische Aufmerksamkeit widmet, führt zu einer Reihe von psychischen Grenzzuständen, Ausweichmanövern und Enthüllungen, für die De Palma unvergessliche optische Entsprechungen gefunden hat, allen voran eine tolle Steadicam-Sequenz in einer Polizeistation und eine Zeitlupenszene mit fallendem Kind, Speer und Pistole.
4.4., 22 Uhr // 15.4., 19 Uhr
Mission: Impossible
USA 1996, Brian De Palma, 110 Min., 35mm, OF, mit Tom Cruise, Jon Voight, Emmanuelle Béart
Der erste Teil des mittlerweile auf vier Filme angewachsenen Blockbuster-Franchise um die Abenteuer des Superagenten Ethan Hunt ist reines Action- und Spektakelkino und De Palmas finanziell erfolgreichster Film. Die Konstruktion ist komplex, der Rhythmus perfekt, und einige der Set-Pieces gehören zu den technisch eindrucksvollsten Sequenzen im Werk De Palmas, vor allem der in kompletter Stille sich vollziehende Einbruch Hunts in das CIA-Hauptquartier in Langley. Auch sonst gibt es für den aufmerksamen Cineasten viel zu bestaunen, unter anderem eine Reihe von Anspielungen auf Hitchcocks Notorious, einen tollen Flashback, in dem Bild und Ton ganz unterschiedliche Geschichten erzählen, und das Highspeed-Finale auf einem rasenden Zug.
5.4., 19 Uhr // 16.4., 21.15 Uhr
Carlito’s Way
USA 1993, Brian De Palma, 145 Min., 35mm, OF, mit Al Pacino, Sean Penn, Penelope Ann Miller
Ganz großes Schauspielkino wird hier, basierend auf Edwin Torres’ gleichnamigem Buch, geboten: Al Pacino spielt den puertoricanischen Crime-Lord Carlito Brigante, der nach fünf Jahren im Knast eigentlich gern ein ehrliches Leben führen würde. Doch die Loyalität zu seinem aalglatten Anwalt – gespielt von Sean Penn, dessen Mini-Pli Bradley Coopers Lockenpracht im aktuellen American Hustle vorwegnimmt – und seine Unfähigkeit, althergebrachte Ganovenehre abzulegen und mit der neuen Zeit zu gehen, reiten ihn immer tiefer in die Bredouille. Denn die Gesetze der Straße haben sich verdammt geändert. Eines der Meisterwerke der 90er-Jahre, mit einem Wahnsinns-Shootout in New Yorks Grand Central Station und Regisseur Paul Mazursky (Eine entheiratete Frau) in einem kleinen Cameo als Richter, gleich zu Beginn. Einer der drei Produzenten ist übrigens der Deutsche Willi Bär, früher einmal Chefredakteur der Filmillustrierten Cinema.
5.4., 21.15 Uhr, Einführung: Michael Ranze // 7.4., 21.15 Uhr
The Bonfire of the Vanities
USA 1990, Brian De Palma, 125 Min., 35mm, OF, mit Tom Hanks, Bruce Willis, Melanie Griffith
Auf dem Rückweg vom Flughafen nehmen der Börsenmakler Sherman McCoy und seine Freundin die falsche Ausfahrt, geraten in der South Bronx in den Hinterhalt zweier Schwarzer und verletzen auf der Flucht einen von ihnen so schwer, dass er ins Koma fällt. Nach dem Roman von Tom Wolfe schildert De Palma den Fall des „Master of the Universe“ McCoy und die politischen, sozialen, juristischen, medialen Schockwellen, die er mit sich bringt, als epische Gesellschaftssatire, die den Konsum-Bombast der späten Achtziger mit seinen eigenen Mitteln austreiben will. Ein schwieriges Unterfangen: Um dem eitlen Kapitalismus den Spiegel vorzuhalten, musste er sich mit ihm, das heißt dem Studio Warner Bros., arrangieren. So wurde McCoy sympathischer dargestellt als im Roman, Bruce Willis erhielt gegen De Palmas Wunsch die Rolle des Journalisten Peter Fallow, Zynismus und Rassismus vieler Akteure wurden abgeschwächt. Das Budget von 47 Millionen Dollar war trotzdem gut angelegt: Zeitraffer-, Steadicam- und Split-Screen-Sequenzen bieten ein pulsierendes Porträt von New York zu Beginn der Neunziger.
17.4., 21.15 Uhr // 18.9., 19 Uhr
The Black Dahlia
USA 2006, Brian De Palma, 121 Min., 35mm, OF, mit Josh Hartnett,
Aaron Eckhart, Scarlett Johansson
Am 15. Januar 1947 wurde auf einer Wiese in Los Angeles die Leiche einer jungen Frau gefunden: Der nackte Leib war in zwei Teile geschnitten, ihre Genitalien waren verstümmelt, ihr Gesicht verunstaltet. Bis heute ist der Mörder der „Schwarzen Dahlie“ nicht gefunden und ihre Geschichte Gegenstand vieler Gerüchte und Fiktionen. De Palmas Variante folgt weitgehend dem Roman von James Ellroy, in dessen Zentrum die beiden Cops Lee Blanchard und Bucky Bleichert stehen, deren zunehmend obsessive Suche nach den Hintergründen des Verbrechens tief hineinführt in eine korrupte, pathologische Welt jenseits des Hollywood-Glamours. Bei der aufwendigen Verfilmung mit großem Star-Aufgebot ist einiges von dem Schmutz und der Härte der Vorlage auf der Strecke geblieben, aber wie immer bei De Palma gibt es viele ausgeklügelte Plansequenzen und filmhistorische Anspielungen zu bewundern.
19.4., 21.15 Uhr // 20.4., 21.15 Uhr // 23.4., 21.30 Uhr
Snake Eyes
USA 1998, Brian De Palma, 98 Min., Blu-ray, OF, mit Nicolas Cage, Gary Sinise, John Heard, Carla Gugino
Nicolas Cage, nach einer ganzen Reihe von Big-Budget-Actionfilmen wie The Rock, Con Air und Face/Off gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere (und dazu noch ohne Frisuren-Problem), spielt in diesem Verschwörungsthriller den Polizisten Rick Santoro. Bei der Absicherung eines Boxkampfs kommt es zu einem Zwischenfall: Ein Attentäter erschießt ein Regierungsmitglied im Publikum. Santoro lässt sofort die Halle schließen, um den Täter nicht entkommen zu lassen. Doch ist er schnell genug, den Fall aufklären, ohne dass die gefüllte Boxarena zum Hexenkessel wird? Snake Eyes fasziniert wegen der typischen De-Palma-Trademarks: eine knapp 13-minütige Plansequenz zu Beginn, die scheinbar ohne Schnitt auskommt, viele Split-Screens und Hauptdarsteller, die permanent auf dem Gaspedal stehen. De Palma geht es nicht um das Finden des Täters, sondern um das Mysteriöse einer Beziehung zweier Menschen und wie sich alles verändert, wenn das Geheimnis sich allmählich lüftet.
25.4., 21.15 Uhr, Einführung: Jochen Oppermann // 28.4., 19 Uhr
Redacted
USA 2007, Brian De Palma, 90 Min., Blu-ray, OF, mit Patrick Carroll,
Rob Devaney
Wie Casualties of War erzählt Redacted nach einer wahren Begebenheit von den Verbrechen einer amerikanischen Armee-Einheit. Der Krieg findet jetzt im Irak statt, das Opfer ist ein 14-jähriges irakisches Mädchen, das vergewaltigt und ermordet wird. De Palma liefert von diesem Ereignis keine lineare Geschichte mit psychologisch nachvollziehbaren Figuren, sondern zerlegt es in all die disparaten digitalen News- und Doku-Splitter, aus denen sich die Zuschauer heute ihre Nachrichtenwelt zusammenbasteln: eingebetteter Handkamera-Journalismus, Videotagebücher, YouTube-Schnipsel, Überwachungsbilder. Dieser von der Kritik verschmähte und verkannte Experimentalfilm De Palmas zeigt eindrucksvoll die Radikalität und Intelligenz dieses Regisseurs, dessen Filme jedes Mal aufs Neue den Versuch unternehmen, die Manipulation der Bilder und die Manipulation durch die Bilder sichtbar zu machen.
26.4., 21.15 Uhr, Einführung: Volker Hummel // 30.4., 19 Uhr
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