03 Oktober 2018

ACAB! All Cops Are Beautiful (on film)

Veranstaltungshinweis: Von Oktober bis Dezember 2018 läuft die Reihe GOOD COPS BAD COPS – Der amerikanische Polizeifilm der 70er im Hamburger Metropolis-Kino.

Ordnungshüter als Figuren sind so alt wie das Kino selbst. In den 1910-Jahren zerlegten die Keystone Cops Mack Sennetts Studios, im Gangsterfilm der 30er jagten sie Capone und Dillinger, im Film Noir behinderten sie Privatdetektive bei der Arbeit. Doch erst zu Beginn der 70er rückten Polizisten von den Rändern ins Zentrum des Leinwandgeschehens: in Uniform oder schlecht sitzendem Zivil, als besessene Einzelgänger oder ungleiches Paar, als Streifenbeamten oder Homicide Detectives, als aufrechte Kämpfer für Law and Order oder restlos korrumpierte Seelen. Vor allem in der ersten Hälfte der Dekade wurden Cop-Filme zu einer der zentralen Erzählformen, um die dysfunktionalen Seiten der desillusionierten US-Gesellschaft auszuloten. In dem Genre verband sich das solide Handwerk einer Generation von Filmemachern, die noch im alten Studiosystem (Richard Fleischer, Don Siegel, Robert Aldrich) oder beim Fernsehen (Sidney Lumet, William Friedkin, John Frankenheimer) gelernt hatten, mit einer in den USA seit der Stummfilmzeit nie wieder dagewesenen Freiheit. Alte Schauspielstile trafen auf Method Acting, an die Stelle von Idealismus und Happy Endings traten Skepsis und Stasis, und man verließ die hermetischen Studiosets, um on location zu drehen, in Hinterhöfen, Spelunken, U-Bahn-Stationen, Pornokinos, Spielhöllen und Mietskasernen. Diese Filme bewegen sich durch die Straßen von San Francisco, L.A. und New York, um Prostitution, häusliche Gewalt, Korruption, Drogenhandel, Mord und Totschlag in all ihren Facetten aufzuspüren, manchmal suchend und zögerlich, manchmal in rasendem Tempo, denn eines hat sich seit den Keystone Cops nicht verändert: Nie sind Städte schöner, als wenn ihr Alltagsbetrieb bei rasenden Verfolgungsjagden außer Kraft gesetzt wird.

Die Filme im Oktober:


Dirty Harry
USA 1971, R: Don Siegel, DCP, DF, mit Clint Eastwood, Reni Santoni
1971, als Dirty Harry in den USA ins Kino kam, waren die meisten Kritiker alles andere als begeistert. Als „reaktionär“ und „faschistoid“ wurde Don Siegels Film gebrandmarkt. Auf jeden Fall ist es ein spannendes Duell zweier Figuren, die sich außerhalb der bürgerlichen Ordnung bewegen: Einzelgänger-Cop Clint Eastwood jagt den Scorpio-Killer durch das San Francisco der Späthippiezeit.
8.10., 19 Uhr, Einführung: Marcus Müntefering
9.10., 21.15 Uhr



Across 110th Street
USA 1972, R: Barry Shear, Blu-Ray, OmU, mit Anthony Quinn, Yaphet Kotto
Untermalt vom fantastischen Score von Bobby Womack, dessen Titelsong Tarantino in Jackie Brown kongenial eingesetzt hat, erzählt der Film von drei Brüdern, die bei einem Überfall auf ein Wettbüro in Harlem 300.000 Dollar ergattern, zwei Cops erschießen und daraufhin zu Freiwild für Mafia, Polizei und lokale Gangs werden. Anders als die meisten Blaxploitation-Filme, die Aufstieg und Fall ihrer Zuhälter- und Gangsterfiguren mit einer Aura von Glamour oder Komik umgaben, ist Across 110th Street konsequent düster und hoffnungslos, es gibt kein Entkommen aus dem Ghetto. Gedreht wurde in den Straßen von Harlem, in Bars, Polizeistationen, Mietskasernen, Hinterhöfen, „a real vision of hell“ (J. Hoberman).
10.10., 21.15 Uhr
11.10., 21.15 Uhr



Polizeirevier Los Angeles-Ost
USA 1972, R: Richard Fleischer, 35mm, DF, mit Stacy Keach, George C. Scott
1971 erschien mit The New Centurions ein Roman in den USA, der die Darstellung von Polizeiarbeit in Film und Literatur nachhaltig beeinflussen sollte. Basierend auf seinen Erlebnissen innerhalb der LAPD zu Beginn der Sechziger schildert Joseph Wambaugh die Ausbildung und frühen Jahre einer Handvoll junger Cops. Die Verfilmung bleibt mit ihrer episodischen Struktur und dem nüchternen Tonfall dicht am realistischen Gestus der Vorlage. Der Polizeidienst erscheint hier nicht als adrenalingeschwängerter Kampf gegen das eindeutig Böse, sondern als nie endende Sisyphusarbeit ohne Hoffnung auf Katharsis. Der fast schon europäisch-existenzialistische Grundton, die psychologisch genaue Figurenzeichnung und das feine Gespür für die Locations in East L.A. machen den Film zu einem Genre-Highlight.
14.10., 21.15 Uhr, Einführung: Volker Hummel
22.10., 21.15 Uhr



French Connection
USA 1971, R: William Friedkin, DCP, OF, mit Gene Hackman, Roy Scheider, Fernando Rey
Auftakt, Höhepunkt und Vollendung: Auch knapp 50 Jahre nach seiner Uraufführung ist French Connection das Maß aller Dinge im Polizeifilm-Genre. Neben der Performance von Gene Hackman als vor Wut und manischer Energie berstender Drogen-Cop Popeye Doyle und der legendären Verfolgungsjagd zu Fuß, im Auto und in der Hochbahn über 30 Blocks in Brooklyn sind es vor allem die naturalistisch eingefangenen Sounds, 86 unterschiedlichen Drehorte und unzähligen Gesichter der Stadt New York, die den Film unvergesslich machen. „In many ways, I felt this was a kind of crude poem to the city.“ (William Friedkin)
23.10., 21.15 Uhr
28.10., 21.15 Uhr, Einführung: Andreas Pflüger, Tatort- und Bestsellerautor (Operation Rubikon, Endgültig)



Serpico
USA 1973, R: Sidney Lumet, 35mm, DF, mit Al Pacino, John Randolph
Sah vor Serpico je ein Mainstream-Film so authentisch aus? Sidney Lumet hat seinen Cop-Krimi auf den Straßen von New York gedreht, und das spürt man in jeder Einstellung. Die wahre Geschichte von dem jungen Polizisten Frank Serpico (Al Pacino), der beim Kampf gegen korrupte Kollegen sein Leben riskiert, ist nicht nur spannender Krimi, sondern auch akribische Erkundung der finstersten Seiten einer Stadt.
29.10., 19 Uhr, Einführung: Frank Göhre, Hamburger Drehbuchautor (St. Pauli Nacht, Abwärts) und Schriftsteller (Die Kiez-Trilogie)
31.10., 21.15 Uhr

Die Filme im November:



Electra Glide in Blue
USA 1973, R: James William Guercio, Bluray, OF, 114 Min., mit Robert Blake, Billie Green Bush
Der einzige Film des Musikproduzenten William Guercio ist einer der eigenwilligsten Beiträge zum Polizeigenre: Statt in einer Großstadt spielt die Handlung in der Weite des amerikanischen Südwestens, seine Hauptfigur ist der zurückhaltende und ziemlich klein geratene Cop John Wintergreen, der sich auf seiner Harley Davidson 344 (dt. Verleihtitel) wohler fühlt als in der Gegenwart seiner Macho-Kollegen. Hat der Mann, dessen Leiche in der Wüste gefunden wird, Selbstmord begangen? Wintergreens erster Fall versackt bald in einer Vielzahl von Ambivalenzen und Zweifeln, Fakten scheinen genauso wenig greifbar wie die vor Hitze flirrende Landschaft Arizonas. Eine Verfolgungsjagd gibt’s auch – und eine im wahrsten Sinne des Wortes abgefahrene Schlusssequenz.
3.11., 22 Uhr
5.11., 21.30 Uhr



Cops and Robbers 
USA 1973, R: Aram Avakian, Bluray, OF, 89 Min., mit Cliff Gorman, Joseph Bologna
Inflation, stagnierende Löhne, Korruptionsvorwürfe, eskalierende Kriminalitätsraten, Streiks, Ölembargo: Als Cop stand man in den USA der frühen 70er mit beiden Beinen in der ökonomischen Krise. Zwei von New York’s Finest beschließen, ihre Pensionskassen aufzubessern, indem sie sich in ihren eigenen Uniformen verkleiden und für die Mafia einen riesigen Batzen Wertpapiere von einem der Börsenmakler an der Wall Street entwenden. Das ist der Plan. Doch Romanvorlage und Drehbuch stammen vom großen Crime-Comedian Donald E. Westlake, deshalb geraten die Dinge schon bald aberwitzig aus den Fugen.
6.11., 21.15 Uhr, Einführung: Volker Hummel
7.11., 21.30 Uhr



The Seven-Ups
USA 1973, R: Philip D’Antoni, DCP, OF, 103 Min., mit Roy Scheider, Tony Lo Bianco
Lasst uns nun Bill Hickman preisen: Nach Bullitt und The French Connection liefert der berühmte Stunt-Koordinator und -Fahrer hier seine dritte legendäre Verfolgungsjagd ab, die vielen Fans als die beste gilt. Auch sonst braucht sich The Seven-Ups nicht hinter seinen berühmten Vorläufern verstecken. Philip D’Antoni, Produzent von Bullitt und The French Connection, inszenierte diesmal selbst und verließ sich auf sein bewährtes Team von Komponisten, Ausstattern, Beratern und vor allem Roy Scheider. Er brilliert als Chef einer Einheit von Undercover-Cops, die mit nicht immer legalen Methoden versuchen, Straftätern Haftstrafen von mindestens sieben Jahren einzubrocken.
12.11., 21.15 Uhr
13.11., 21.15 Uhr



The Laughing Policeman
USA 1973, Stuart Rosenberg, 16mm, OF, 112 Min., mit Walter Matthau, Bruce Dern
Wenn Hollywood heute die globalen Bestseller von Jo Nesbø oder Stieg Larsson verfilmt, dann vor Ort in Stockholm oder Oslo. 1973, als Massenmord in San Francisco gedreht wurde, galten Krimis aus Skandinavien in den USA als Exoten. Der Film basiert auf dem Roman Endstation für neun des Ehepaars Sjöwall/Wahlöö, verlegt den Schauplatz von Stockholm nach San Francisco. Hier sterben bei einem Anschlag auf einen Bus neun Menschen, darunter ein Polizist. War er das eigentliche Ziel? Massenmord in San Francisco ist ein Rätselkrimi, der seinen Reiz daraus bezieht, zwei Profi-Cops bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Dass Walter Matthau und Bruce Dern perfekt harmonieren, macht den Film zu einem Genre-Highlight.
14.11., 21.15 Uhr
15.11., 21.30 Uhr



French Connection II
USA 1975, R: John Frankenheimer, 35mm, DF, 119 Min., mit Gene Hackman, Fernando Rey
Auswärtsspiel für Popeye Doyle: Der toughe Cop verfolgt Drogenboss Alain Charnier von New York nach Marseille. Für den Amerikaner ist das Terra incognita: Er mag Sprache und Kollegen nicht und unterschätzt die lauernden Gefahren, wird gekidnapped und unter Drogen gesetzt. Doch ein kleines Heroinproblem kann Popeye natürlich nicht aufhalten. Lebte Teil eins vor allem von den brillanten Actionszenen, ist die Fortsetzung deutlich langsamer, nimmt sich Zeit, den culture clash zu zelebrieren. Regisseur Frankenheimer ist so das Risiko eingegangen, die Fans des Vorgängers zu verschrecken. Und das ist ihm hoch anzurechnen in einem Business, das allzu oft auf Altbekanntes setzt.
27.11., 21.30 Uhr, Einführung: Marcus Müntefering
28.11., 21.15 Uhr

Hier das Programm für den Dezember

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Links zum Thema:
Dreckiges altes New York: Cruising, Night of the Juggler, William Friedkin, Joe Spinell etc.
Wie in den Siebzigern: Across 110th Street, The Wire, City by the Sea etc.
Fun City: New York in the Movies 1966–74 von J. Hoberman
Dirty Old New York aka Fun City: Jonathan Hertzbergs brillante Serie von Video-Essays über das prägentrifizierte New York im Kino

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