29 August 2008
Blick in die Wolken
Der Blick in den Himmel scheint weiblichen Filmfiguren vorbehalten zu sein. In Gus van Sants Elephant ist Michelle die einzige Schülerin, die einmal nach oben schaut, in Lee Chang-dongs Secret Sunshine ist es die Hauptfigur Shin-ae, die auf dem Rücken liegend in den Himmel blickt. Ganz am Ende von Apichatpong Weerasethakuls Blissfully Yours löst sich Roong (Kanokporn Tongaram) vom verschwitzt vor sich hindämmernden Körper ihres Freundes Min (Min Oo) und sieht sich die Wolken an, die man im Gegenschuss am Himmel sich zusammenziehen sehen kann.
Diese Blicke nach oben, heraus aus dem Rahmen der Handlung, stellen den Fluss der Zeit für einen Moment still und machen ihn dadurch spürbar. In ihnen kommt ein intensiviertes Gefühl für die Gegenwart zum Ausdruck, doch in ihnen schwingt auch die Vergangenheit nach, und zugleich weisen die sich stetig wandelnden Wolkenformationen orakelhaft in die Zukunft und geben ein Ahnung von etwas, das seine endgültige Form noch nicht preisgibt. Die Wolken und der Himmel bilden in den drei genannten Filmen eine Sphäre außerhalb der Narration, in der sich die Blick der Protagonisten und der Zuschauer gemeinsam auf etwas Drittes richten, an dessen verhalten hoffnungsfroher, utopischer Ausgestaltung sie gemeinsam wirken. Die Bedeutung dieser Momente liegt jenseits der Erfahrungen der Figuren und des Publikums, sie lässt sich noch nicht ganz benennen, aber für den kurzen Augenblick eines gemeinsamen Innehaltens scheint sie greifbar nahe.
Blissfully Yours ist vor Kurzem auf DVD erschienen. Hier eine kurze Kaufempfehlung:
Ein junger Mann mit Sonnenbrand, dessen Haut sich pellt und der kein Wort spricht. Eine junge Frau, die einer Ärztin die Leiden des jungen Mannes erklärt und ihren Job hasst. Eine ältere Frau, die ein Kind möchte und die im Auto der Wunsch überkommt, jemanden anzufahren. Man könnte die sozialen Beziehungen dieser Figuren aufzählen und so tun, als ob Blissfully Yours von Generationskonflikten oder den Problemen illegaler burmesischer Flüchtlinge in Thailand handelt. Doch der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul zwängt seine Figuren nicht in Rollen, um dann von ihnen erzählen zu können, sondern führt sie hinaus aus der Stadt in ein Reich der spirituellen Transformation, Häutung und Veränderung: den Dschungel. Hier endet das Erzählen und das Pulsieren beginnt: Die Geräusche des Waldes drängen die Worte in den Hintergrund, die Körper nähern sich einander, driften wieder auseinander, kommen noch enger zusammen, die Sonnenstrahlen oszillieren im Rhythmus des im Wind schwankenden Blätterdaches, ein Schwanz wächst unter der streichelnden Hand einer Frau in einem Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlaf. Erotischer kann Film nicht sein. Großer Dank gebührt den Herausgebern der Revolver Edition, die diesen in Deutschland nie im Kino gezeigten Film herausgebracht haben. Das Bonus-Material erschient wie immer in Textform in einer der nächsten Ausgaben der unbedingt empfehlenswerten Zeitschrift Revolver.
Blissfully Yours, Thailand 2002, R: Apichatpong Weerasethakul, D: Kanokporn Tongaram, Min Oo, Jenjira Jansuda, Sprache: Thailändisch und Burmesisch, Untertitel: deutsch, Ton: Dolby Digital 2.0, Extras: keine, Vertrieb: Filmgalerie 451
Links:
> "You know, everything is artificial" – Nicolas Wackerbarth im Gespräch mit Apichatpong Weerasethakul
> Ekkehard Knörer über Blissfully Yours
> Ein guter Blog zum aktuellen thailändischen Kino ist Wise Kwai’s Thai Film Journal
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