In Gesprächen ist mir schon oft der Gedanke gekommen, dass der (finanzielle) Erfolg oder Reinfall eines Films viel mit seiner sprachlichen Reproduzierbarkeit zu tun hat. Einige Filme lassen sich wunderbar in griffigen Formulierungen fassen, bei anderen bleiben die Worte schwammig, suchend, vage. Diese Unterschiede in der Beschreibbarkeit korrespondieren meistens nicht mit Unterschieden in der Klarheit der Filme und ihrer Bildsprache, sondern mit dem Grad, in dem die Werke nach Mustern funktionieren, die sich eben mehr oder weniger gut erzählen lassen. "Erzählen" ist hier, neben so öffentlichkeitswirksamen Memen wie Star-Power und behaupteter gesellschaftlicher Relevanz (RAF!, Stauffenberg!!, Hilde Knef!!!), der wesentliche Begriff. Und dann passierte das, und dann das, und dann, stell dir vor, PASSIERTE DAS! Kindsmord, Krebs, Erdbeben. Wie aber erzählt man einen Film wie Jerichow, schnell und griffig UND angemessen? "Eine Frau zwischen zwei Männern, einer muss sterben!" Das ist mindestens ebenso ungenau wie die Behauptung, Tom Tykwers The International sei der Film zur Finanzkrise.
Filme des Rape-Revenge-Genres leben geradezu von dem Widerspruch, dass sie sich allzu gut und griffig in sensationelle Worte kleiden lassen und zugleich in ihrer Wirkung rhetorisch fast gar nicht reproduzieren lassen. Seinen Audiokommentar auf der DVD von I Spit on Your Grave (1978) beginnt Regisseur Meir Zarchi passenderweise, indem er Phrasen der gängigsten Kritikermeinungen zu seinem Werk aneinanderreiht: "You are about to see one of the most disgusting and misogynistic films in the history of motion pictures. A vile bag of garbage filled to the rim with torture, rape and mutilation. Watch this and be cursed forever." – "One of the truly unique masterpieces of cinema which dares to go where no other filmmaker ventures. A portrait of a lady which has the power to fight back." Die Sätze habe ich, bis auf Roger Eberts "vile bag of garbage", frei erfunden, aber so ähnlich waren die Reaktionen, mit ein bisschen zeitlichem Abstand zwischen der Verteufelung und der Wiederentdeckung. Kranker Scheiß für Voyeure (Ebert) oder Empowerment für Feministinnen (Carol J. Glover) – das sind die beiden sprachlich griffigsten Haltungen zum Film, die sich weniger widersprechen als in ihrer direkten Opposition widerspiegeln.
Oppositionen, Spiegelungen, Umkehrungen strukturieren alle Rape-Revenge-Filme, wie man ganz paradigmatisch an I Spit on Your Grave sehen kann: Stadt vs Land, Frau vs Männer, Stille vs Lärm, Entwicklung vs Stillstand, erlittene Gewalt vs ausgeübte Gewalt. Bedeutet der Genuss des Films notwendigerweise, dass man sich für eine Seite entscheiden muss? Dass man, wie Ebert beobachtet hat, "Stick it in" schreit, oder, später dann, "Cut it off!"? Oder muss im Gegenteil jede ernsthafte Rede über den Film damit beginnen, dass man offenbart, diese Gefühle nicht gehabt zu haben?
Vielleicht kommt man der Sache ja auf den Grund, wenn man sich ihr mit Slavoj Zizek nähert oder vielmehr mit dem halbverdauten Wissen, dass ich über seine Philosophie zu glauben habe. Was mir an ihm gefällt, ist seine Art, nicht Antworten auf vom allgemeinen Diskurs gestellte Fragen (Müll oder Meisterwerk?) zu geben, sondern nachzudenken darüber, warum gerade diese Fragen gestellt werden und nicht andere. Warum also muss ein Film über die Vergewaltigung einer Frau entweder voyeuristisch oder aufklärerisch sein? Warum darf man ihn nicht anders GENIESSEN? "Kino ist die ultmative perverse Kunst. Es gibt dir nicht, was du begehrst. Es sagt dir, wie du begehren sollst." (Zizek)
Dieses Begehren, das beim Genuss eines Rape-Revenge-Films auftaucht, sich verlagert, wieder verschwindet, ist unheimlich, und es lässt sich dafür auch nur schwer eine Sprache finden jenseits von "Stick it in" oder "Cut it off!". Verdammung und Glorifizierung sind zwei der einfachsten Methoden, die Geister des eigenen Begehrens sprachlich zu bannen, ohne dass man damit der Wahrheit näher kommt. Ich glaube, dass man, um beschreiben zu können, warum I Spit on Your Grave kein Meisterwerk und schon gar kein Müll, sondern ein außerordentlich genau konstruierter und schön fotografierter Film ist mit einer sehr präzisen Idee davon, was eine Vergewaltigung ist und wie man diese Idee in Bilder umsetzt, einen Schritt vor und einen Schritt zurück machen muss, hinein in eine konkrete Beschreibung, hinaus aus dem eigenen Affekt in die Genre-Betrachtung.
Der Schritt zurück offenbart, dass I Spit on Your Grave genau so funktioniert wie andere Rape-Revenge-Movies wie Mother’s Day oder der ähnlich strukturierte Death Proof: Er gibt zugleich Raum für das Allerextremste, die Überschreitung jeder Grenze, sowohl in der Darstellung der Erniedrigung der Frau als auch in der Gestaltung ihres Rückschlags. Dafür braucht es nur wenig, die Grenze ist schnell überschritten, oft unsichtbar, aber man weiß als Zuschauer: Jenseits geht alles. Dieses Offenheit ist sehr aufregend. Zugleich gibt es kaum ein Genre, das in solchem Maße begrenzt ist, bei dem so klar ist, wie es ausgeht, der kathartische Effekt kommt garantiert. Auch das ist sehr befriedigend. Radikale Offenheit bei gleichzeitiger fast schon klaustrophobischer Enge, ich glaube, dass ist einer der Gründe, warum Rape-Revenge-Filme mir so viel Genuss bereiten.
Der Schritt hinein führt bei I Spit on Your Grave direkt in eine Darstellung der Natur, die umso idyllischer und unberührter wirkt, je ungeheuerlicher die Dinge werden, die sich in ihr abspielen. Ich glaube, dass Geheimnis des Films besteht in dieser Einbettung in eine leichte sommerliche Landschaft, das Strömen des Flusses, das Rauschen der Bäume. Anders als in Mother’s Day gibt es in Meir Zarchis Filme nie das Gefühl einer überschrittenen Grenze, die Stimmung wandelt sich nicht, die Musik steigert sich nicht, ganz nüchtern blickt die Kamera auf die Vergewaltigungen und die späteren Morde, ohne das Geschehen satirisch oder durch Horror-Elemente zu forcieren. Diese Darstellung, die nichts hinzufügt und nichts kaschiert, zwingt den Zuschauer, so er denn überhaupt bereit ist hinzuschauen, zu einer Konzentration des Blicks auf eine Reihe von Akten, die in ihrer radikalen Unnatürlichkeit selten so genau gefilmt worden sind. Zugleich erlauben die schönen Bilder der Natur auch einen Genuss dessen, was zwischen den Gewalttaten liegt, wie ja auch Tarantinos Death Proof nicht nur ein Film über Morde mit Autos ist, sondern in erster Linie ein Film über das Plaudern, das Witzemachen, das Flirten, das Spielen, das Aushandeln. Aber davon lässt sich eben nicht so griffig sprechen wie Filmkritiker das meistens tun zu müssen glauben.
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Sonntag, 22. Februar, 14.30 Uhr, 3001 Kino: Ms. 45 (OV, USA 1981, Regie: Abel Ferrara)
mit einer Einführung von Michael Ranze
Donnerstag, 5. März, 19 Uhr, Abaton Kino: The Pervert’s Guide to Cinema (USA 2006, Regie: Sophie Fiennes mit Slavoj Zizek)
zu Gast: Sophie Fiennes und Slavoj Zizek
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